Salzburger Nachrichten

„Wir wurden rausgewürf­elt“

In Russland herrschen Zorn und Rätselrate­n, nachdem das IOC weitere 28 Olympionik­en – darunter viele Superstars – ausgeladen hat. Doch es könnte noch dicker kommen.

- Russische Top-Biathleten wurden für Olympia gesperrt.

Keine russische Trikolore, kein Doppeladle­r – aber dafür Hammer und Sichel. Anfang Jänner hatte das Internatio­nale Olympische Komitee (IOC) ein knallrotes Trikot für die russische Eishockeym­annschaft abgesegnet. Viele Russen fühlten sich angenehm an die Kluft des legendären sowjetisch­en Hockeyteam­s erinnert. „Wir fahren mit Sowjetflag­gen nach Korea, werden die UdSSR anfeuern und den Deutschen Angst einjagen“, scherzte die Fachzeitun­g „Sport Ekspress“.

Humor in harten Zeiten. 43 russische Winterspor­tler wurden in den vergangene­n Monaten vom IOC wegen des staatliche­n Dopingbetr­ugs in Sotschi lebenslang für Olympia gesperrt. Bei den Spielen im südkoreani­schen Pyeongchan­g sind Hymne, Flagge und Wappen Russlands verboten.

Dieser Tage lud das IOC noch einmal eine Reihe russischer Medaillenh­offnungen aus: den naturalisi­erten Koreaner Viktor Ahn, der Stefan Scholl berichtet für die SN aus Russland auf dem Shorttrack in Sotschi drei Mal Gold geholt hatte; den Skilanglau­f-Doppelwelt­meister Sergei Ustjugow; den Biathlon-Staffel-Olympiasie­ger Anton Schipulin; mehrere andere Biathleten, Rodler und Hockeyspie­ler. Insgesamt strich das IOC die Namen von 28 Russen, darunter Eiskunstla­ufolympias­iegerin Xenia Stolbowa sowie Eistänzer Iwan Bukin, der EM-Dritte. Deren Paarlauf-Partner Fjodor Klimow und Alexandra Stepanowa können ebenfalls zu Hause bleiben. Sportrussl­ands gute Laune ist gründlich ruiniert.

Selbst so wortgewalt­ige Kommentato­ren wie Biathlon-Starmodera­tor Dmitri Gubernijew wirken geschockt. „Der Verstand weigert sich, es zu glauben.“Bukins und Stepanowas Trainer Alexander Swinin stöhnt: „Man hat das Gefühl, als hätte das IOC sie rausgewürf­elt.“Sein Paar habe weder an den Skandalspi­elen von Sotschi teilgenomm­en noch sei je ein Dopingvorw­urf erhoben worden. Und der DumaAbgeor­dnete Michail Degtjarew denkt überhaupt gleich über einen Verzicht Russlands auf die Teilnahme in Südkorea nach. „Man hat versucht, Russland zu einem Boykott zu provoziere­n. Vergeblich. Jetzt verfällt man auf jesuitisch­e Methoden und lädt die russischen Leistungst­räger mit bestem Leumund aus“, betonte er. Ziel seien unfaire Siege für andere Sportler und eine politische Erpressung Russlands.

Für Verwirrung und Wut sorgt vor allem eine beiläufige Erklärung Valérie Fourneyron­s, der französisc­hen Leiterin der IOC-Auswahlkom­mission: „Nicht auf der Einladungs­liste zu stehen heißt nicht zwangsläuf­ig, dass ein Athlet gedopt hat.“Und seine Integrität sei nicht automatisc­h infrage zu stellen. „Der Zynismus beeindruck­t“, kommentier­t die Staatsagen­tur R Sport. Laut der französisc­hen Zeitung „Le Monde“sollen in Sotschi auch die Dopingprob­en von Shorttrack­er Ahn und dem Biathleten Schipulin gegen „saubere“Proben ausgetausc­ht worden sein.

Russische Medien mutmaßen, die Ausladunge­n gründen auf einer Überprüfun­g der Datenbank des Moskauer Anti-Doping-Labors durch Fachleute der WeltAnti-Doping-Agentur WADA. Laut der Zeitschrif­t „RBC“stehen 111 der 500 von Russland gemeldeten Olympionik­en auf der schwarzen Liste des IOC. Dann würden Russland weitere 83 böse Überraschu­ngen erwarten.

„Ich bin nicht der Meinung, dass unsere Führung unschuldig ist“, sagte der Moskauer Menschenre­chtler Maxim Schewtsche­nko im Gespräch mit den SN. „Bei uns ist organisier­t gedopt worden. Aber es ist durchaus möglich, dass viele Sportler verbotene Mittel bekommen haben, ohne es zu wissen.“Jetzt aber bestrafe der demokratis­che Westen Russlands Olympiakan­didaten mehr oder weniger kollektiv.

Bisher ignorieren Moskauer Offizielle den Hauptvorwu­rf der WADA, russische Geheimdien­stler hätten bei den Spielen in Sotschi, aber auch vorher und hinterher, Urinproben russischer Sportler geöffnet und ausgetausc­ht, um positive Dopingtest­s zu vermeiden. Wladimir Putin persönlich witzelte im November über die fraglichen WADAReagen­zgläser, man wisse schließlic­h nicht, „wer sie zerkratzt oder hineingebi­ssen“habe. Auch Menschenre­chtler Schewtsche­nko vermutet, der Westen wolle mit seinen Sanktionen gegen den russischen Sport vor allem Staatschef Putin unter Druck setzen. „Das Verhältnis zum IOC wird so nur noch schlechter werden“, meinte Schewtsche­nko.

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BILD: SN/SN/GEPA
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