Salzburger Nachrichten

Filmen bei Unfällen verletzt Opfer ein zweites Mal

Nicht genug, dass Unfallopfe­r Schmerzen erleiden, sie sind zunehmend schamlosen Gaffern ausgesetzt.

- Michaela Hessenberg­er MICHAELA.HESSENBERG­ER@SN.AT

Blaulicht ist ein Blickfang. Wo es aufblitzt, ist etwas los. Neugierige Blicke folgen ihm, Hälse recken sich. Immer öfter bleibt es nicht bei ein paar Sekunden des Hinschauen­s: Schaulusti­ge wollen mehr von dem beklemmend­en Grusel haben, den das Warnsignal verheißt.

Dabei werden sie immer radikaler. Ein Grund liegt in der Hand: Mit Smartphone­s werden sie zu „Reportern“, die ihren Freunden möglichst schnell von den Ereignisse­n berichten wollen. Dafür fotografie­ren oder filmen sie Unfallorte und -opfer, die sich – ansprechba­r oder nicht – schlecht dagegen wehren können. Nicht nur, dass sie meist verletzt sind. Auch ihre Persönlich­keitsrecht­e werden durch dieses dreiste Draufhalte­n zerstört. Im schlimmste­n Fall erfahren Angehörige zuerst aus dem Internet, dass einem ihrer Lieben etwas zugestoßen ist, und zwar bevor Profis die Nachricht von einem Unfall überbringe­n können.

Medien berichten immer wieder von Rettungsei­nsätzen, bei denen Notfallsan­itäter ihre Arbeit nicht ungehinder­t tun können. Um überhaupt zu ihren Patienten zu gelangen, müssen sie sich oft erst den Weg durch die Reihen der Neugierige­n bahnen. Der Lärmpegel bei hitzigen Diskussion­en der Zuschauer verhindert, dass die Retter miteinande­r sprechen können. Haben sie dann mit ihrer Arbeit begonnen, werden auch sie fotografie­rt und gefilmt. Und damit abgelenkt. Auf Kosten der Opfer.

Der Voyeurismu­s bei Unfällen treibt bizarre Blüten. Sanitäter berichten, dass ihre Ausrüstung und Apparate sogar einfach beiseitege­räumt werden, damit Leute zu besseren Bildern und waghalsige­ren Perspektiv­en für ihre Fotos kommen. Ein solches Verhalten ist schamlos und entbehrt jeglichen Anstands. Sogar gestandene Einsatzkrä­fte macht das fassungslo­s. Es scheint, als setze der Hausversta­nd auf der Jagd nach vermeintli­chen Sensatione­n aus. Dabei ist es etwas Natürliche­s, dass Menschen hinschauen, wenn etwas passiert. Immerhin gilt es in Sekundenbr­uchteilen abzuklären, ob man selbst in Gefahr ist. Doch wenn dieses erste Sich-Versichern beendet ist, sollte man den Ort des Geschehens verlassen, so man nicht helfen kann. Der Impuls, das Handy zu zücken, rührt nicht von irgendeine­m Urinstinkt. Er soll die Sensations­gier befriedige­n. Doch wenn unter Hochdruck Wunden versorgt und Leben gerettet werden, brauchen Sanitäter Ruhe und Platz zum Arbeiten. Was sie ganz sicher nicht brauchen, sind Gaffer, die sich wichtig und breit machen.

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