Filmen bei Unfällen verletzt Opfer ein zweites Mal
Nicht genug, dass Unfallopfer Schmerzen erleiden, sie sind zunehmend schamlosen Gaffern ausgesetzt.
Blaulicht ist ein Blickfang. Wo es aufblitzt, ist etwas los. Neugierige Blicke folgen ihm, Hälse recken sich. Immer öfter bleibt es nicht bei ein paar Sekunden des Hinschauens: Schaulustige wollen mehr von dem beklemmenden Grusel haben, den das Warnsignal verheißt.
Dabei werden sie immer radikaler. Ein Grund liegt in der Hand: Mit Smartphones werden sie zu „Reportern“, die ihren Freunden möglichst schnell von den Ereignissen berichten wollen. Dafür fotografieren oder filmen sie Unfallorte und -opfer, die sich – ansprechbar oder nicht – schlecht dagegen wehren können. Nicht nur, dass sie meist verletzt sind. Auch ihre Persönlichkeitsrechte werden durch dieses dreiste Draufhalten zerstört. Im schlimmsten Fall erfahren Angehörige zuerst aus dem Internet, dass einem ihrer Lieben etwas zugestoßen ist, und zwar bevor Profis die Nachricht von einem Unfall überbringen können.
Medien berichten immer wieder von Rettungseinsätzen, bei denen Notfallsanitäter ihre Arbeit nicht ungehindert tun können. Um überhaupt zu ihren Patienten zu gelangen, müssen sie sich oft erst den Weg durch die Reihen der Neugierigen bahnen. Der Lärmpegel bei hitzigen Diskussionen der Zuschauer verhindert, dass die Retter miteinander sprechen können. Haben sie dann mit ihrer Arbeit begonnen, werden auch sie fotografiert und gefilmt. Und damit abgelenkt. Auf Kosten der Opfer.
Der Voyeurismus bei Unfällen treibt bizarre Blüten. Sanitäter berichten, dass ihre Ausrüstung und Apparate sogar einfach beiseitegeräumt werden, damit Leute zu besseren Bildern und waghalsigeren Perspektiven für ihre Fotos kommen. Ein solches Verhalten ist schamlos und entbehrt jeglichen Anstands. Sogar gestandene Einsatzkräfte macht das fassungslos. Es scheint, als setze der Hausverstand auf der Jagd nach vermeintlichen Sensationen aus. Dabei ist es etwas Natürliches, dass Menschen hinschauen, wenn etwas passiert. Immerhin gilt es in Sekundenbruchteilen abzuklären, ob man selbst in Gefahr ist. Doch wenn dieses erste Sich-Versichern beendet ist, sollte man den Ort des Geschehens verlassen, so man nicht helfen kann. Der Impuls, das Handy zu zücken, rührt nicht von irgendeinem Urinstinkt. Er soll die Sensationsgier befriedigen. Doch wenn unter Hochdruck Wunden versorgt und Leben gerettet werden, brauchen Sanitäter Ruhe und Platz zum Arbeiten. Was sie ganz sicher nicht brauchen, sind Gaffer, die sich wichtig und breit machen.