„Mozarts Musik hat 1000 Gesichter“
Piotr Anderszewski ist ein Mensch, der gern nachdenkt. Über Musik und Form, über Zeit und Auszeit. Und er spielt großartig Klavier. Bei der Mozartwoche bewies er seine Meisterschaft im Verbund mit den Wiener Philharmonikern.
Das Musik-Business sucht Salzburg in Schüben heim. Derzeit vereint die Mozartwoche etliche Strippenzieher der klassischen Musikwelt an der Salzach. Auch Piotr Anderszewski ist Teil der Industrie. Als Pianist von Weltrang muss er gewissen Regeln des Geschäfts gehorchen: CD-Präsentationen, Interviews, Fototermine.
Dennoch tickt Anderszewski etwas anders. Der 48-Jährige zieht sich zeitweise zurück, legt lange Pausen ein – bis zum 14-monatigen Sabbatical. „Das war notwendig, um Zeit für mich zu haben. So wundervoll ein Künstlerleben ist: Es ist ein Leben unter Druck. Ich wollte keine Maschine werden. Das wäre das Schlimmste“, erzählt der gebürtige Pole im SN-Gespräch.
Aus seinem Umfeld kamen damals Warnungen und Bedenken. „In unserer Zeit ist alles so schnell, neue Pianisten schießen wie Pilze aus dem Boden. Meine Freunde hatten Angst, man könnte mich vergessen. Ich selbst glaube nicht daran. Wenn man Substanzielles zu sagen hat, erinnern sich Menschen.“
Anderszewski hat etwas zu sagen. 1990 erregt der damals 21-Jährige erstmals Aufmerksamkeit, als er sich vom Klavierwettbewerb in Leeds trotz Siegeschancen zurückzieht. Er sei mit seinem Spiel unzufrieden gewesen, heißt es. Dieser Eigensinn, diese Fähigkeit zur Selbstreflexion spiegelt sich in seinem Klavierspiel. Mitreißend linear wirken seine Interpretationen, ohne dass es ihnen an Seele fehlte. Vielleicht ist es diese Vielschichtigkeit, die ihn zu Mozart führt. „Ich wuchs mit seiner Musik auf, das sind meine ersten Erinnerungen. Wenn Mozart etwas sagt, dann meint er gleichzeitig etwas anderes. Mozarts Musik kann tausend Gesichter haben, aber es sind immer mindestens zwei – Gesicht und Maske. Darum werde ich niemals müde, Mozart zu spielen.“
Das C-Dur-Klavierkonzert, KV 505, ist derzeit ein wichtiger Wegbegleiter des Wahl-Franzosen. Bei der Mozartwoche interpretierte es Anderszewski gemeinsam mit den Wiener Philharmonikern. Sehr romantisch wirkt diese Mozart-Sicht, der füllige philharmonische Klang legt sich wohlig weich über den Klavierpart. Anderszewski fügt sich uneitel ins große Ganze, verstärkt den Pedaleinsatz und bettet seine Klavierlinien in lyrische, weiche Farben. Nur dort, wo Dirigent Alain Altinoglu allzu sehr auf Behäbigkeit setzt, zieht er das Tempo an.
Begriffe wie Harmonie und Kompromiss hätte man früher kaum mit diesem eigenwilligen Künstler verbunden. „Wenn man als Musiker nicht eine gewisse Offenheit an den Tag legt, dann läuft man Gefahr, autistisch zu werden“, erläutert Anderszewski. „Als ich jünger war, wollte ich meinen Weg gehen – unabhängig von den Umständen. Dabei kann man aber auch unglücklich werden.“
Konsequenter kann der Pole seine Vorstellungen – auch im wunderbar lichten B-Dur-Konzert, KV 595 – auf seiner neuen CD-Einspielung (Warner Classics) mit dem Chamber Orchestra of Europe umsetzen. Klarsichtig, kontrastreich, kammermusikalisch intim klingt dieser Mozart. Anderszewski hält dabei alle Zügel in der Hand, auch die Kadenz im C-Dur-Konzert stammt aus seiner Feder.
Doch auch hier gilt: Alles entsteht aus dem Material des Werks, aus dessen Form. „Musikalische Architektur ist wichtig für mich. Wenn ich ein Stück beginne, dann muss ich das andere Ende sehen. Ich habe stets die letzten Akkorde im Kopf und im Herzen.“
Nach den letzten Akkorden im Großen Festspielhaus feierte das Publikum am Mittwoch den Pianisten. Es passt zur Persönlichkeit dieses Musikers, dass er Mozart eine grüblerische Janáček-Zugabe hinterherschickt. Triumph ohne Widerworte? Anderszewski gibt uns lieber ein Rätsel mit auf den Weg.
„Ich wollte keine Maschine werden. Deshalb lege ich Pausen ein.“