Sozialdemokraten gehören auf das Familienbild
Die europäische Sozialdemokratie ist derzeit am Boden. Sie wird in der EU wie in Österreich dringend gebraucht.
Das Pendel schlägt derzeit nach rechts
Das waren noch Zeiten: Als sich Anfang der 2000er-Jahre die Staats- und Regierungschefs der damals 15 EU-Mitgliedsländer auf Gipfeltreffen zum traditionellen Familienbild zusammenstellten, waren die Mehrheit davon Sozialdemokraten. Die prominentesten unter ihnen: Tony Blair (England) und Gerhard Schröder (Deutschland). Heute, 18 Jahre später, zählt die Union 28 Staaten, davon werden nur sechs von Sozialdemokraten regiert.
Die ehemals stolzen Arbeiterparteien haben in Europa nicht mehr viel zu sagen, außer in Malta, der Slowakei, Rumänien, Schweden, Portugal und Italien. Und vielleicht bald wieder in Deutschland, wo sie drauf und dran sind, zum wiederholten Mal als Juniorpartner in eine Große Koalition mit der CDU/CSU einzutreten. Auch wenn sie das eigentlich gar nicht möchten. Doch der deutsche Bundespräsident hat an die politische Verantwortung dieser staatstragenden Kraft erinnert und sie an den Verhandlungstisch gezwungen. Die Partei befindet sich im Dilemma.
Was ist bloß los mit der Sozialdemokratie? Müssten nicht angesichts eines ausufernden Neoliberalismus in der globalisierten Welt, angesichts zunehmender Ungerechtigkeiten in der Verteilung des Wohlstands, angesichts stets größer werdender Klüfte zwischen Arm und Reich, angesichts immer prekärerer Arbeitsverhältnisse auch für junge Menschen, müssten da nicht längst die sozialdemokratischen Kassen klingeln und die Menschen scha- renweise überlaufen? Das Gegenteil ist der Fall.
Die Gesellschaft hat sich gewandelt, die klassische Klientel der einstigen Arbeiterpartei gibt es in diesem Sinne nicht mehr. Die Partei hat es heute mit vielen Gruppen von Arbeitnehmern zu tun, mit den besonders Gebildeten, mit den Sesshaften, mit den Mobilen, aber auch mit jenen, die sich vor der Migration fürchten, die ihren Job durch Zuzug gefährdet sehen. Sie fühlen sich von nationalen, konservativen, aber auch linken Populisten angesprochen.
So wie Europa braucht auch Österreich die Sozialdemokratie. Derzeit taumelt die Partei auf Selbstfindungskurs durch die politische Landschaft. Die Hin- und Hergerissenheit zwischen linken und konservativen Roten konnte man zuletzt am Beispiel der Wiener SPÖ und ihrer Obmannwahl beobachten. Ein tiefer Spalt geht durch die Partei. Es sieht derzeit nicht so aus, als könnte jemand diese Kluft so schnell wieder schließen.
Parteichef Christian Kern sucht noch seinen Weg. Die Wahl des nicht von ihm favorisierten Wiener Stadtrats Michael Ludwig zum Nachfolger von Langzeit-Bürgermeister Michael Häupl trägt nicht gerade zur Stärkung von Kerns Position bei. Er hätte gern Andreas Schieder an der Spitze der Wiener Partei gesehen.
Das Land braucht eine starke Sozialdemokratie. Die neue Regierung, die angetreten ist, um das Land nachhaltig zu verändern, braucht Kontrolle. Seit es die Grünen im Nationalrat nicht mehr gibt, ist die Oppositionsrolle den Neos zugefallen, solange die SPÖ noch nicht in der neuen Rolle des Kontrollors Tritt gefasst hat. Die lässt sich nur aus einer Position der Selbstsicherheit gut ausfüllen. Derzeit ist nach wie vor das Glaskinn angesagt. Man hat den Eindruck, dass die SPÖ noch immer beleidigt ist, weil sie nicht mehr in der Regierung sitzt.
Parteichef Christian Kern hätte das Zeug, die Partei wieder nach oben zu bringen. Er verkörpert den modernen Typus Politiker mit klaren Vorstellungen von der Zukunft. Die Frage ist nur, ob ihn seine Partei auch lässt. Die Enttäuschung ist bei vielen Funktionären groß. Kern hat Werner Faymann im Mai 2016 abgelöst. Die Erwartungen jener, die den ehemaligen Bahnmanager auf den Führerstand der Partei hievten, waren enorm. Er konnte sie beim ersten Anlauf nicht erfüllen. Doch das liegt nicht nur an ihm, sondern auch an jenen, die ihn als Wunderwuzzi geholt haben, ihm dann aber nicht freie Hand gelassen haben.
Das politische Pendel in Europa schlägt nach rechts. Es ist eine Frage der Zeit, bis es sich wieder in die Gegenrichtung bewegt. Von selbst wird das nicht passieren. Aber die Chance besteht. Dazu braucht es das geeignete Führungspersonal und glaubwürdige Antworten auf die neuen Fragen der Zeit.