Beim Regulieren geht es um das richtige Maß
Die Wettbewerbsbehörde sieht Handlungsbedarf im Onlinehandel. Warum die Kartellwächter jetzt auch Bestattungsfirmen im Visier haben.
WIEN. Wie wirksam Kartellbehörden sein können, hat sich nach der Insolvenz der deutschen Fluglinie Air Berlin gezeigt. Die Lufthansa wollte den Konkurrenten samt der Österreich-Tochter Niki übernehmen – aber die EU-Kommission als zuständige Behörde hat diesen Plan vereitelt, um eine Marktkonzentration mit höheren Ticketpreisen zu verhindern. Theo Thanner, der Chef der heimischen Bundeswettbewerbsbehörde BWB, sieht sich in seiner Einschätzung bestätigt, „dass die Lufthansa um das Wettbewerbsrecht herumfliegen wollte“.
Um solche Situationen zu vermeiden, schlägt Thanner vor, kartellrechtliche Überlegungen gleich in das Insolvenzverfahren einzubeziehen. Denn bei Bedarf „muss man schnell handeln, da geht es ja auch um Arbeitsplätze“. Es könne nicht sein, dass Deals bis ins Detail ausverhandelt würden – um dann von den Kartellbehörden gekippt zu werden. Thanner will mehr gesamtwirtschaftliche Betrachtung, „man muss Kartellrecht neu denken“.
Neuland betreten die Wettbewerbshüter auch im Onlinehandel. Auffällig oft gebe es identische Preisangebote für Produkte, zeigten etwa Stichproben bei Waschmaschinen, hier seien einige Verfahen anhängig. Auch am Markt für Onlinewerbung sieht Thanner Handlungsbedarf. Der konzentriere sich auf ganz wenige ausländische Anbieter wie Google oder Facebook. Um den Abfluss von Werbeeinnahmen ins Ausland zu verhindern, „versuchen wir kartellrechtskonforme Modelle zu entwickeln“, sagte Thanner im Klub der Wirtschaftspublizisten. Im Zeitalter der globalisierten Wirtschaft und des Internets seien länderweise Marktbetrachtungen nicht zeitgemäß.
Die BWB versteht sich als Hüterin des Wettbewerbs, die sich im Interesse der Verbraucher für funktionierende Märkte und gegen Preisabsprachen einsetzt. Die 2002 gegründete Behörde hat bisher 4600 Zusammenschlüsse geprüft, 500 Kartellfälle bearbeitet und Geldbußen über 200 Mill. Euro verhängt. In Summe gab es 140 Hausdurchsuchungen, acht davon im Vorjahr. Aktuell befasst sich die BWB unter anderem mit dem Verdacht auf deutlich überhöhte Preise für Medikamente wie ein Hormonpräparat (Calcitonin) oder ein Antidepressivum (Anafranil), das zum 58-Fachen des Fabriksabgabepreises (5,14 Euro) um 297 Euro angeboten wurde. Österreich sei das einzige Land in Europa, wo das Medikament und nicht ein Wirkstoff verschrieben werde, sagt Thanner.
Im Interesse der Verbraucher hielte der BWB-Chef es auch für sinnvoll, angesichts neuer Wettbewerber wie Uber oder Airbnb über bestehende Regulierungen bei Taxis, der Quartiervermittlung oder für nicht rezeptpflichtige Produkte in Apotheken nachzudenken. Mitunter würden Argumente auch vorgeschoben, um neue Wettbewerber auszubremsen, deutet Thanner an.
Die BWB appelliert auch an Bestattungsunternehmen, ihre Preise im Internet zu veröffentlichen. In diesem Bereich gebe es kaum Preistransparenz. Und nach einem Todesfall stehe kaum jemandem der Sinn nach einem Preisvergleich.
„In manchen Bereichen müssen wir das Kartellrecht neu denken.“