Guter Bulle, präsenter Bulle?
Law and Order. Mehr Polizei, mehr Sicherheit: Die Politik setzt seit jeher auf diese Formel. In Studien lässt sich der Zusammenhang aber kaum belegen. Es kommt mehr auf das Wie der Polizeiarbeit an.
Etwa 27.000 Polizisten sind in Österreich im Dienst. Sie schreiben Strafzettel, helfen, ausgebüxte Kühe von der Autobahn zu holen, oder jagen Verbrecher. Die Zahl der Anzeigen und Verurteilungen sinkt laut Erhebungen der Statistik Austria über die letzten Jahre gesehen. Aber die Menschen in Österreich fühlen sich zunehmend unsicher, wie etwa Umfragen des österreichischen Programms für Sicherheitsforschung KIRAS ergeben. Der noch frische Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) will das „Problem“in Angriff nehmen, mit 2100 neuen Planstellen will er mehr Polizisten auf die Straße bringen und vor allem für mehr subjektive Sicherheit sorgen. Die Menschen sollen sich sicherer fühlen. Dabei ist aus wissenschaftlicher Sicht keineswegs klar, dass mehr Polizisten etwas ändern.
Zum Thema gibt es eine Vielzahl an Studien, die am Ansatz „Mehr Polizei ist gleich mehr Sicherheitsgefühl“zweifeln lassen. Den Grundstein legte das „Kansas City Preventive Patrol Experiment“. Dabei schickten Wissenschafter um George L. Kelling Anfang der 1970er-Jahre die Polizisten in der US-Stadt Kansas City mit unterschiedlichen Strategien auf die Straßen. Die Stadt wurde in drei Zonen unterteilt: In einer Zone wurde die Polizeipräsenz auf das Zwei- bis Dreifache verstärkt, in der zweiten unverändert gelassen. In der dritten Zone verzichteten die Cops ganz auf Patrouillen – sie rückten nur aus, wenn sie von Bewohnern gerufen wurden. Das Ergebnis: In keiner der drei Zonen kam es zu wesentlichen messbaren Veränderungen. Die Leute fühlten sich gleich sicher wie vorher, auch die Zahl der Verbrechen blieb unverändert.
Erhöhte Polizeipräsenz kann sogar einen gegenteiligen Effekt haben: Menschen fühlen sich unsicherer, zumindest unter gewissen Umständen. Die Furcht vor Kriminalität steigt etwa leicht an, wenn Polizei in einer Wohngegend wahrgenommen wird, wie die deutschen Forscher Bertrand Lisbach und Gerhard Spiess anhand von Umfragen mit 20.000 Bürgern feststellten.
Natürlich kann mehr Polizeipräsenz das Sicherheitsgefühl auch verbessern. Es komme eben auf die Dosis an, argumentiert der Soziologe Karl-Heinz Reuband. Zeige sich mehr Polizei, steige die subjektive Sicherheit zunächst. Überschreite sie aber eine Schwelle, und die Polizisten tauchten zu oft auf, nehme die subjektive Sicherheit wieder ab, schreibt er in einem Artikel. Am sichersten fühlten sich Menschen dort, „wo die Polizei mindestens ein Mal die Woche, aber nicht täglich gesehen wird“, stellt Reuband fest. Gleichzeitig wirkt sich die gefühlsmäßige Einschätzung der Örtlichkeiten aus, an denen man sich befindet. Ist ein Bürger mit der Umgebung vertraut und nimmt sie als sicher war, fühlt er sich, so die Untersuchung, durch ein Mehr an Polizei unsicherer. Nimmt jemand einen Ort schon grundsätzlich als unsicher wahr, führt verstärkte Polizeipräsenz dagegen zu mehr subjektiver Sicherheit. Das ergab eine Erhebung der niederländischen Wissenschafterin Evelien van de Veer aus dem Jahr 2012.
Kann man selbst beeinflussen, wie sicher man sich fühlt? Offenbar nur bedingt. „Sicherheit ist ein Hintergrundgefühl“, sagt der Kriminalsoziologe Reinhard Kreissl im Gespräch mit den „Salzburger Nachrichten“. Es sei wie mit dem Einschlafen, dem Spontansein oder gar der Liebe, meint er: Man könne sich eine Emotion zwar „vornehmen“, doch deshalb werde sie in der Regel keineswegs eintreten. Sich sicher zu fühlen, auch das könne man nicht selbst beeinflussen, äußere Faktoren gäben den Ausschlag. Die Sicherheit trete immer dann in den Vordergrund, wenn man sie thematisiere. Das sei durch die Äußerungen von Politik und Medien häufig der Fall. „In Ihrem Alltag wird Ihnen kaum ein schwerer Kriminalitätsfall unterkommen“, sagt Kreissl. „Aber Sie lesen natürlich die Zeitung.“Ein Mord in Salzburg, ein Raubüberfall in Innsbruck, eine Vergewaltigung in Wien: Man werde mit „Crime News“teils regelrecht bombardiert. Allerdings passieren die Taten nicht an den Orten, an denen wir uns täglich bewegen: im Job, im Stammbeisl, beim Fußballverein. „Durch dieses Überberichten wird die Kriminalität überschätzt“, sagt Kreissl.
Auch, ob tatsächlich die Kriminalität durch mehr Kontrollen und mehr Polizisten auf der Straße sinke, sei umstritten. Es gebe wohl verschiedene, parallel wirkende Effekte. Viele Delikte würden überhaupt erst durch Kontrollen festgestellt, etwa Drogenverkäufe, sagt Kreissl. Schicke man mehr Polizisten auf die Straße, stiegen auch die festgestellten Vergehen. Gerade beim Drogenhandel bringe das effektiv aber wenig. Warum? Kreissl: „Die Nachfrage nach Drogen ist immer da. Wenn sie mehr Kontrollen machen, steigt der Preis. Das heißt letztlich, die Verkäufer verziehen sich irgendwo anders hin.“Das Problem lasse sich also meist nur verschieben, aber nicht verdrängen. Das Gleiche gelte für Einbrüche. Würde in einer Gegend verstärkt Streife gefahren, würde sich dort zwar die Zahl der Einbrüche verringern. Insgesamt lässt sich laut Kreissl aber kein kausaler Zusammenhang herstellen. Oder einfacher: „Mehr Uniformierte auf der Straße reduzieren an sich noch nicht die Kriminalität.“
Auch Videokameras verhindern kaum Straftaten. Wie ein Experte der deutschen Wochenzeitung „Die Zeit“Ende 2016 sagte, fühlten sich Anwohner oder Passanten durch sie nicht sicherer. Wenn es um Sicherheit geht, sind soziale Maßnahmen wesentlicher, wie aus verschiedenen Studien hervorgeht.
Die Kriminalitätsangst ist eine Art Puffer für alle anderen Ängste. Wer in seinem Leben unsicher ist, arbeitslos, einsam oder nicht weiß, wie er die nächste Miete bezahlen soll, hat auch mehr Angst, Opfer eines Verbrechens zu werden. Wer in diesen Bereichen sorgenfrei ist, hat dagegen das Gefühl, sein Leben unter Kontrolle zu haben, und ist laut einer Arbeit der Wissenschafterin Dina Hummelsheim resistenter gegen Ängste. Forschungen der Kriminologen Thomas Feltes, Susanne Krasmann und anderer kommen zu ähnlichen Ergebnissen. Hier kann der Staat Positives bewirken, indem er vor einem sozialen Absturz absichert. Bei tatsächlicher Kriminalität ist es ähnlich.
„Die Polizei hat die Arschkarte, weil sie immer dann zum Einsatz kommt, wenn die Politik versagt“, sagt Soziologe Kreissl. Drehe man Obdachlosenhilfe, Sozialhilfe, Drogenarbeit ab, würden Leute auf der Straße landen und dort schnell in Kontakt mit der Polizei kommen. Und lasse man Stadtviertel verfallen, locke das Drogenhändler und Obdachlose an, erklärt Kreissl. Sein Rezept: Leute, die Hilfe brauchen, tatsächlich unterstützen, junge Leute mit Jobs versorgen und kein Grätzel verkommen lassen.
Wobei: Die Ergebnisse dieser Studien untermauern keineswegs, dass die Zahl der Polizisten auf der Straße gar keine Rolle spielt. Was sie aber aussagen: Nur die Zahl der Polizisten zu erhöhen löst allein keine Probleme.
Für Kreissl ist die Polizei eine Art Dienstleistungsorganisation. Ob die Bevölkerung in Österreich mit ihr zufrieden sei, wisse aber niemand ganz genau. Wie schnell war die Polizei nach einem Notruf vor Ort, wie war der Kontakt zwischen Polizisten und Bürgern, wurde das Problem gelöst? Kreissl plädiert dafür, diese Dinge in einer Kundenzufriedenheitsstudie zu erheben. „Von 80 Prozent der Kriminalität weiß die Exekutive dank Hinweisen aus der Bevölkerung“, sagt Kreissl. Je besser das Verhältnis und je mehr Vertrauen zwischen beiden Seiten, desto besser könne die Polizei arbeiten.