Wilde Glocken gegen den Winter
Karneval in Ptuj. Die älteste Stadt Sloweniens putzt sich im Fasching besonders auf: mit alten Masken und symbolträchtigen Umzügen.
Der Sonntag beginnt mit Majestäten. Prächtig geschmückt, huldvoll aus der Kutsche grüßend, umringt von der königlichen Garde. So, wie es sich gehört. Wer allerdings in Ptuj, zu Deutsch Pettau, Faschingsprinz oder Prinzessin sein möchte, kann auf keinerlei Geburtsrecht pochen. Dieser Titel, diese Ehre, muss erworben werden. Durch persönliche Verdienste ums Gemeinwohl der Stadt. Jener Stadt, die ein Mal im Jahr zur Faschingshochburg Sloweniens wird, wenn über das Pflaster ihrer historischen Gässchen beim „Kurentovanje“ganze Heerscharen an Maskenfiguren ziehen. Erst der Prinz und seine Prinzessin, dann die „Pflüger“, die „Orači“. Knallende Peitschen, traditionelle Lieder und der mitgeführte Pflug sollen für fruchtbaren Boden sorgen. Es folgen alsbald die „Kopjaš“, die mit Bändern geschmückten Lanzenträger und die „Ploharji“, die Bohlenträger mit der „Heiratspuppe“. Auch hier geht es um eines der ältesten Anliegen der Menschheit: Fruchtbarkeit und ein gutes Erntejahr. Ptuj ist Mitglied im Europäischen Karnevalsverband. Und so tauchen auch farbenfrohe Gastgrüppchen auf, aus der Schweiz, aus Deutschland, Mazedonien und Österreich. Der imposante Zug aus sechs Planwagen und Traktoren jedoch, der sich jetzt am Rathaus vorbeiwälzt, stammt aus dem Nachbardorf. Wie aus dem Bilderbuch der Klischees: sonnenbraun geschminkte Gesichter, schwarze Perücken, Klimperschmuck und bunte Kittel, Wahrsagerin, Messerschleifer, Musikanten und Hühnerdiebe. So treten die „Zigeuner“von Dornava auf. „Ich glaube, in dem Dorf gibt es niemanden, der nicht als ,cigan‘ auftritt“, sagt Jan Ciglenečki und schmunzelt. Für ihn als Pettauer ist der Karneval eine lieb gewonnene Tradition, obwohl er sich für eine gemütliche Pause lieber auf die ruhigere Terrasse des „Muzikafe“zurückzieht, die von der Wintersonne gewärmt wird. Immerhin ist hier ja auch ein wenig Karneval, denn die Wirtin, Stanka Vauda, zeichnet als Kostümbildnerin für die Faschingsdeko der Stadt verantwortlich.
Die namensgebenden Kurenti, die mit ihren dichten Zotteln, Hörnern und umgeschnallten Kuhglocken sehr an die alpinen Perchten und Krampusse erinnern, sind also nur ein Teil der rund 2000 Masken. Wahrscheinlich jedoch die lautesten. „Rund 700 Kurenti werden es diesmal schon sein.“Jan grinst schief. Nicht einfach, mit der eigenen Stimme gegen den ohrenbetäubenden Lärm der auf und ab wippenden Kuhglocken anzukommen. Dabei hat Jan Ciglenečki gar nicht so empfindliche Ohren – hat er doch erst am Vorabend mit seiner Rockband „New Ex“auf der Kellerbühne des Muzikafe aufgegeigt. Ganz ohne Maske oder Faschingsschal in Regenbogenfarben.
Wer – von Krapfen, Wurst, Speck und Suppe gestärkt – den Faschingsumzug zum Anlass nimmt, die Stadt Ptuj selbst in Augenschein zu nehmen, wird nicht enttäuscht. Die lebhafte Geschichte der seit 7000 Jahren besiedelten Stadt, als Zollstation der Bernsteinstraße, Besitztum der Salzburger Erzbischöfe und auch als Residenz des Wallenstein-Mörders Walter Leslie, dessen Familie so wenig Geld in die Erhaltung des Schlosses steckte, dass die erboste Bürgerschaft den Stadtturm nur mit drei Uhren ausstattete: Keine davon war vom Schloss aus zu sehen.
So führt also ein Spaziergang zum Dominikanerkloster mit seiner prachtvollen Stuckfassade, zur römischen Stele, zum klassizistischen Stadttheater, zur Galerie Mihelič in einem Rundturm am Drauufer und schließlich – über Draukiesel-Pflaster – bergauf zum Schloss. Wegen seiner Instrumentensammlung, der Masken-Ausstellung und Gemälde. Und nicht zuletzt wegen des wunderbaren Rundumblicks auf Stadt, Ebene und Fluss, der gleich nach der Stadt zu einem weitläufigen See gestaut wird.
Letzte Glocken scheppern, Gelächter verklingt zwischen den barocken Fassaden der Bürgerhäuser, Männer mit roten Gesichtern und Masken unter den Arm geklemmt prosten einander zu. Mädchen ziehen den Lippenstift nach. Jetzt wird in den Gasthäusern und Bars weitergefeiert. Wenn es sein muss, bis in die Morgenstunden. Auf jeden Fall, bis der Winter besiegt ist.