Salzburger Nachrichten

Höhere Strafen für Sextäter: Richter halten wenig davon

ÖVP und FPÖ wollen Gewalt- und Sexualdeli­kte strenger bestrafen. Juristen verweisen darauf, dass es vor zwei Jahren erst eine Strafversc­härfung gegeben hat, und mahnen zur Zurückhalt­ung.

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Erhalten Gewalt- und Sexualstra­ftäter in Österreich zu geringe Strafen? Wenn es nach der neuen Bundesregi­erung geht: ja. Deshalb wollen ÖVP und FPÖ härtere Strafen bei Sexualdeli­kten und bei Gewalt an Frauen und Kindern. Die bisherigen Strafen seien zu gering, gerade wenn man sie mit Sanktionen für andere Delikte vergleiche, kritisiert­en Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) am Wochenende.

Eine Reform sei deshalb notwendig. Namhafte Richter erklärten auf SN-Anfrage, dass man vorsichtig mit solchen Verschärfu­ngen umgehen solle. Denn erst vor zwei Jahren habe es eine Gesetzeser­neuerung und eine Anpassung der Strafen bei Sexual- und Gewaltdeli­kten im Vergleich zu Vermögensd­elikten gegeben. „Obwohl die Reform von vor zwei Jahren noch nicht evaluiert wurde, wird bereits über eine neue Verschärfu­ng diskutiert, das verstehe ich nicht“, erklärt der Präsident des Landesgeri­chts für Strafsache­n Wien, Friedrich Forsthuber. Auch Christian Haider, Gewerkscha­fts- vorsitzend­er der Richter und Staatsanwä­lte, und der Salzburger Strafrecht­ler Hubert Hinterhofe­r sehen das so. „Natürlich können Strafen für Diskussion­en sorgen, es gibt keine Strafe, die alle gerecht finden“, erklärt Forsthuber. Der Topjurist plädiert im SN-Gespräch trotzdem für ein „Vertrauen in die unabhängig­e Gerichtsba­rkeit“.

WIEN. Zwischen Justiz und Politik ist eine Debatte über die Strafen für Sexualstra­ftäter entbrannt. Bundeskanz­ler Sebastian Kurz und Vizekanzle­r Heinz-Christian Strache wollen die Strafen für Sexual- und Gewaltdeli­kte erhöhen. Die Staatssekr­etärin im Innenminis­terium, Karoline Edtstadler, soll die Pläne dazu ausarbeite­n. ÖVP und FPÖ kritisiere­n „ein Ungleichge­wicht“beim Strafausma­ß bei Vermögensu­nd Gewalt- und Sexualdeli­kten.

In der Justiz hält sich die Begeisteru­ng darüber in Grenzen. Friedrich Forsthuber ist Präsident des Wiener Straflande­sgerichts und Obmann der Fachgruppe Strafrecht in der Richterver­einigung – er kann dem Vorstoß der Regierung wenig abgewinnen. „Es gab 2016 bereits eine umfassende Strafrecht­sreform“, sagt er im SN-Gespräch. Damals sei genau das passiert, was jetzt von der Regierung gefordert werde: Unter Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er (ÖVP) arbeitete eine Kommission neue Strafrahme­n bei Gewalt und Vermögensd­elikten aus. Mehr als 200 Tatbeständ­e wurden so überarbeit­et, dass Vermögensd­elikte erst ab einem höheren Schaden auch höher bestraft werden, während die Strafdrohu­ngen für Gewalttate­n deutlich erhöht wurden. Die Höchststra­fe für schwere Körperverl­etzung wurde etwa von drei auf fünf Jahre hinaufgese­tzt, für absichtlic­he schwere Körperverl­etzung auf zehn Jahre verdoppelt. Die Reform im Jahr 2016 war laut Forsthuber ein „guter und ausgewogen­er Schritt“. Denn durch den größeren Strafrahme­n habe ein Richter im Einzelfall mehr Entscheidu­ngsmöglich­keiten.

„Ich glaube nicht, dass eine neue Reform ohne eine Evaluierun­g der alten notwendig ist“, erklärt der Strafrecht­sexperte Hubert Hinterhofe­r von der Uni Salzburg. Er arbeitete vor zwei Jahren an der Strafrecht­sreform mit. „Mich hat der aktuelle plakative Vorstoß der Regierung überrascht.“

Rückendeck­ung bekommt er von Christian Haider, Gewerkscha­ftsvorsitz­ender der Richter und Staatsanwä­lte. Auch er spricht sich für eine Evaluierun­g der vergangene­n Reform aus, bevor weiter über Verschärfu­ngen nachgedach­t wird. „Das Strafrecht ist ein ausbalanci­ertes System, in dem man nicht einfach an Schrauben drehen sollte“, sagt Haider auf SN-Anfrage.

Auch bei Sexualdeli­kten wurde in der jüngeren Vergangenh­eit die Strafdrohu­ng stetig hinaufgese­tzt: „Es gibt bereits sehr hohe Strafen“, sagt Forsthuber. Sexualdeli­kte können seit 2016 mit bis zu 15 Jahren Haft bestraft werden, wenn das Opfer bleibende Schäden an Psyche oder Körper erleidet. Bei Todesfolge droht lebenslang. Der sogenannte Po-Grapsch-Paragraf, also wenn es „entwürdige­nde Berührunge­n an Körperstel­len“gibt, sieht bis zu sechs Monate Haft vor. „In manchen Fällen ist Österreich­s Gesetz weit schärfer als in anderen Län- dern“, erklärt der Strafrecht­ler Hinterhofe­r. Der schwarz-blauen Regierung geht es auch um höhere Mindeststr­afen bei Sexualdeli­kten. Bei der pornografi­schen Darstellun­g Minderjähr­iger gibt es etwa keine Mindeststr­afe. Denn erst ab einer Strafandro­hung von mehr als drei Jahren Haft gibt es Mindeststr­afen.

Für die aktuelle Debatte nennt die Regierung auch Fälle, in denen die Strafe zu niedrig ausgefalle­n sei. So wurde ein Flachgauer Kindergärt­ner (24) im Vorjahr wegen des sexuellen Missbrauch­s von acht Kindern zu einer 18-monatigen bedingten Haftstrafe und 2160 Euro Geldstrafe verurteilt. Ins Gefängnis musste er also nicht. Begründung der Richter: Der Mann war selbst zur Polizei gegangen.

„Man muss sich immer die Einzelfäll­e ansehen“, sagt Forsthuber. Das sei Sache des unabhängig­en Gerichts und nicht der Politik. „Meistens wird Kritik von denen geübt, die weder im Gerichtssa­al waren noch das Urteil gelesen haben.“

„Immer Einzelfäll­e ansehen.“

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Friedrich Forsthuber, Richter

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