Die Sorge wurde salonfähig
Umdenken bei den politisch Korrekten: Plötzlich macht man sich auch in roten und grünen Kreisen Sorgen wegen des neuen importierten Antisemitismus.
Deutliche Worte, und zwar, wie es der Redner nannte, gegen die „Konzeption des Multikulturalismus“: „Wohin ein solcher Multikulturalismus aber tatsächlich geführt hat, das hat mich doch erschreckt“, sagte der Redner, und: „So finde ich es beschämend, wenn einige die Augen verschließen vor der Unterdrückung von Frauen bei uns und in vielen islamischen Ländern, vor Zwangsheiraten, Frühheiraten, vor Schwimmverboten für Mädchen in den Schulen.“So weit unser Redner.
Und weiter: „Wenn Antisemitismus unter Menschen aus arabischen Staaten ignoriert oder mit Verweis auf israelische Politik für verständlich erklärt wird. Oder wenn Kritik am Islam sofort unter den Verdacht gerät, aus Rassismus und einem Hass auf Muslime zu erwachsen. Sehe ich es richtig, dass in diesen und anderen Fällen die Rücksichtnahme auf die andere Kultur als wichtiger erachtet wird als die Wahrung von Grund- und Menschenrechten?“
Deutliche Worte, die umso bemerkenswerter sind, bedenkt man, von wem sie stammen. Nämlich nicht von einem bösen Rechten, der sich vor Ausländern fürchtet, sondern von Joachim Gauck, dem SPD- und Grün-kompatiblen hoch angesehenen deutschen Ex-Bundespräsidenten. Gauck sagte dies vor wenigen Tagen bei einer Rede an der Heinrich-HeineUniversität Düsseldorf.
Die Aussagen des mit Ehrungen und Auszeichnungen jedweder Art reichlich versehenen deutschen Staatsmanns sind vor allem deshalb bedeutsam, weil noch vor nicht allzu langer Zeit jeder, der sich in ähnlichem Sinn äußerte wie Gauck, von einer breiten Phalanx an Meinungsmachern gnadenlos ins rechte Eck gerückt wurde. Ins Eck der Ausländerfeinde und Kultur-Reaktionäre. Der zarteste Verweis darauf, dass die Zuwanderung Zehntausender aus patriarchalischen Gesellschaften möglicherweise unliebsame Veränderungen unserer eigenen Gesellschaft auslösen könnte, galt als kryptorassistisch. Die öffentlich geäußerte Sorge, dass etliche Zuwanderer aus Ländern kommen, in denen ein militanter Antisemitismus zum guten Ton und zum Schulunterricht gehört, galt als politisch höchst unkorrekt. Der Autor dieser Zeilen wurde vor einigen Jahren beim Presserat angezeigt, weil er sich herausgenommen hatte, den Antisemitismus junger muslimischer Zuwanderer zu thematisieren. Jetzt kommt diese Warnung von Joachim Gauck, einem Helden im rot-grünen Polit-Biotop. Die Sorge ist salonfähig geworden.
Salonfähig wurde auch, was Gaucks Nachfolger im höchsten deutschen Staatsamt, der einstige SPD-Vizekanzler und nunmehrige Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, kürzlich in einer Ansprache vor deutschen Soldaten in Jordanien äußerte. Steinmeier sagte, dass Deutschland in Zukunft „wieder“zwischen politisch Verfolgten und Wirtschaftsmigranten unterscheiden werde. Die Wortwahl des deutschen Staatsoberhaupts, vor allem das Wörtchen „wieder“, legt die Vermutung nahe, dass diese Unterscheidung bisher in Deutschland, und wohl auch anderswo, nicht getroffen wurde. Wieder so eine Aussage aus sozialdemokratischem Munde, die noch vor Kurzem als politisch überaus unkorrekt galt!
In Österreich sind übrigens noch nicht alle so weit, Antisemitismus als Problem der Zuwanderergesellschaft zu begreifen. Im Gegenteil, erst vor wenigen Wochen fassten einige Aktivisten eine Polizeistrafe aus, weil sie es gewagt hatten, bei einer pro-palästinensischen Demonstration eine israelische Fahne zu entrollen. Ursache der Strafverfügung: Die IsraelFahne habe die Pro-Palästina-Demonstranten „provoziert“. Die Demonstranten hingegen, die „Kindermörder Israel“oder „Tod Israel“gerufen hatten, blieben von der Polizei unbehelligt. Weil es ja mit Antisemitismus ganz gewiss nichts zu tun hat, wenn eine pro-palästinensische Menge Israel den Tod wünscht.
Martin Engelberg, langjähriger Funktionär der Israelitischen Kultusgemeinde, hat kürzlich in der israelischen Tageszeitung „Haaretz“zu Protokoll gegeben, dass „jene, die heutzutage in Wien antijüdische Slogans rufen“, Muslime seien und nicht Rechtsextreme. Diese Aussage ist richtig, wenngleich angesichts der Affäre um das holocaustverherrlichende Liederbuch der „Germania zu Wiener Neustadt“diesbezügliche Zweifel nicht gänzlich von der Hand zu weisen sind. Da Engelberg für die böse ÖVP im Nationalrat sitzt, wurde seine Anmerkung von jenen, die sie angeht, beharrlich ignoriert. Vielleicht glauben sie es wenigstens dem in jeder Hinsicht unverdächtigen Joachim Gauck.