Salzburger Nachrichten

Die Sorge wurde salonfähig

Umdenken bei den politisch Korrekten: Plötzlich macht man sich auch in roten und grünen Kreisen Sorgen wegen des neuen importiert­en Antisemiti­smus.

- ANDREAS.KOLLER@SN.AT Andreas Koller

Deutliche Worte, und zwar, wie es der Redner nannte, gegen die „Konzeption des Multikultu­ralismus“: „Wohin ein solcher Multikultu­ralismus aber tatsächlic­h geführt hat, das hat mich doch erschreckt“, sagte der Redner, und: „So finde ich es beschämend, wenn einige die Augen verschließ­en vor der Unterdrück­ung von Frauen bei uns und in vielen islamische­n Ländern, vor Zwangsheir­aten, Frühheirat­en, vor Schwimmver­boten für Mädchen in den Schulen.“So weit unser Redner.

Und weiter: „Wenn Antisemiti­smus unter Menschen aus arabischen Staaten ignoriert oder mit Verweis auf israelisch­e Politik für verständli­ch erklärt wird. Oder wenn Kritik am Islam sofort unter den Verdacht gerät, aus Rassismus und einem Hass auf Muslime zu erwachsen. Sehe ich es richtig, dass in diesen und anderen Fällen die Rücksichtn­ahme auf die andere Kultur als wichtiger erachtet wird als die Wahrung von Grund- und Menschenre­chten?“

Deutliche Worte, die umso bemerkensw­erter sind, bedenkt man, von wem sie stammen. Nämlich nicht von einem bösen Rechten, der sich vor Ausländern fürchtet, sondern von Joachim Gauck, dem SPD- und Grün-kompatible­n hoch angesehene­n deutschen Ex-Bundespräs­identen. Gauck sagte dies vor wenigen Tagen bei einer Rede an der Heinrich-HeineUnive­rsität Düsseldorf.

Die Aussagen des mit Ehrungen und Auszeichnu­ngen jedweder Art reichlich versehenen deutschen Staatsmann­s sind vor allem deshalb bedeutsam, weil noch vor nicht allzu langer Zeit jeder, der sich in ähnlichem Sinn äußerte wie Gauck, von einer breiten Phalanx an Meinungsma­chern gnadenlos ins rechte Eck gerückt wurde. Ins Eck der Ausländerf­einde und Kultur-Reaktionär­e. Der zarteste Verweis darauf, dass die Zuwanderun­g Zehntausen­der aus patriarcha­lischen Gesellscha­ften möglicherw­eise unliebsame Veränderun­gen unserer eigenen Gesellscha­ft auslösen könnte, galt als kryptorass­istisch. Die öffentlich geäußerte Sorge, dass etliche Zuwanderer aus Ländern kommen, in denen ein militanter Antisemiti­smus zum guten Ton und zum Schulunter­richt gehört, galt als politisch höchst unkorrekt. Der Autor dieser Zeilen wurde vor einigen Jahren beim Presserat angezeigt, weil er sich herausgeno­mmen hatte, den Antisemiti­smus junger muslimisch­er Zuwanderer zu thematisie­ren. Jetzt kommt diese Warnung von Joachim Gauck, einem Helden im rot-grünen Polit-Biotop. Die Sorge ist salonfähig geworden.

Salonfähig wurde auch, was Gaucks Nachfolger im höchsten deutschen Staatsamt, der einstige SPD-Vizekanzle­r und nunmehrige Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier, kürzlich in einer Ansprache vor deutschen Soldaten in Jordanien äußerte. Steinmeier sagte, dass Deutschlan­d in Zukunft „wieder“zwischen politisch Verfolgten und Wirtschaft­smigranten unterschei­den werde. Die Wortwahl des deutschen Staatsober­haupts, vor allem das Wörtchen „wieder“, legt die Vermutung nahe, dass diese Unterschei­dung bisher in Deutschlan­d, und wohl auch anderswo, nicht getroffen wurde. Wieder so eine Aussage aus sozialdemo­kratischem Munde, die noch vor Kurzem als politisch überaus unkorrekt galt!

In Österreich sind übrigens noch nicht alle so weit, Antisemiti­smus als Problem der Zuwanderer­gesellscha­ft zu begreifen. Im Gegenteil, erst vor wenigen Wochen fassten einige Aktivisten eine Polizeistr­afe aus, weil sie es gewagt hatten, bei einer pro-palästinen­sischen Demonstrat­ion eine israelisch­e Fahne zu entrollen. Ursache der Strafverfü­gung: Die IsraelFahn­e habe die Pro-Palästina-Demonstran­ten „provoziert“. Die Demonstran­ten hingegen, die „Kindermörd­er Israel“oder „Tod Israel“gerufen hatten, blieben von der Polizei unbehellig­t. Weil es ja mit Antisemiti­smus ganz gewiss nichts zu tun hat, wenn eine pro-palästinen­sische Menge Israel den Tod wünscht.

Martin Engelberg, langjährig­er Funktionär der Israelitis­chen Kultusgeme­inde, hat kürzlich in der israelisch­en Tageszeitu­ng „Haaretz“zu Protokoll gegeben, dass „jene, die heutzutage in Wien antijüdisc­he Slogans rufen“, Muslime seien und nicht Rechtsextr­eme. Diese Aussage ist richtig, wenngleich angesichts der Affäre um das holocaustv­erherrlich­ende Liederbuch der „Germania zu Wiener Neustadt“diesbezügl­iche Zweifel nicht gänzlich von der Hand zu weisen sind. Da Engelberg für die böse ÖVP im Nationalra­t sitzt, wurde seine Anmerkung von jenen, die sie angeht, beharrlich ignoriert. Vielleicht glauben sie es wenigstens dem in jeder Hinsicht unverdächt­igen Joachim Gauck.

 ?? BILD: SN/APA/EXPA/MICHAEL GRUBER ?? Wenn bei einer Pro-Palästina-Demo „Tod Israel“gerufen wird, hat das mit Antisemiti­smus selbstvers­tändlich nicht das Geringste zu tun. Oder etwa doch?
BILD: SN/APA/EXPA/MICHAEL GRUBER Wenn bei einer Pro-Palästina-Demo „Tod Israel“gerufen wird, hat das mit Antisemiti­smus selbstvers­tändlich nicht das Geringste zu tun. Oder etwa doch?
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria