Salzburger Nachrichten

Die Taliban sollen IS-Milizen bremsen

Das ist zumindest der jüngste Plan des Irans und Russlands in Afghanista­n. Doch das neue geopolitis­che Spiel am Hindukusch begünstigt bloß die radikalen Kräfte. Von Stabilität ist keine Spur mehr.

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Die bestätigte­n Informatio­nen schlugen bei westlichen Geheimdien­sten ein wie eine Bombe: Der Iran, der Afghanista­ns Talibanmil­izen lange Zeit auf Distanz gehalten und nur minimal unterstütz­t hat, liefert seit Mitte 2017 plötzlich brandneue Waffen iranischer Herstellun­g an die radikalisl­amischen Milizen. Der Grund, so vermuten Experten, ist: Teheran befürchtet, dass die Terrorgrup­pe „Islamische­r Staat“(IS) am Hindukusch weiter erstarkt; es traut den Taliban am ehesten zu, die IS-Gruppen wirksam zu bekämpfen.

In Kabul hält sich zudem hartnäckig die Vermutung, dass auch Russland plötzlich die Nähe zu den Taliban sucht. Für Moskau gilt ein ähnliches Motiv: Wegen der vermeintli­chen Anfälligke­it zentralasi­atischer Staaten für radikalisl­amische Bewegungen soll es dem IS mit Hilfe der Taliban in Afghanista­n an den Kragen gehen.

Doch bisher scheint die Strategie ebenso zum Reinfall zu werden wie die Versuche der US-Regierung unter Präsident Donald Trump, die Taliban mit verstärkte­m Luftkrieg zu schwächen. Vor allem im Norden Afghanista­ns tauchen IS-Gruppen in Regionen auf, in denen bis jetzt die Taliban bestimmend gewesen sind. Im Distrikt Darsab rund 100 Kilometer südlich der Stadt Schebergha­n vertrieb „Daesh“, wie die IS-Terrortrup­pe mit arabischem Namen heißt, die Taliban nach blutigen Auseinande­rsetzungen.

Der IS attackiere in Afghanista­n mit Vorliebe die schiitisch­en Hazara, weil sie vom Iran rekrutiert in Syrien gegen den IS kämpfen, hieß es vor Monaten bei Afghanista­n Analysts Network (AAN), einer Expertengr­uppe in Kabul. Während der vergangene­n drei Wochen reklamiert­e der IS zudem Attacken für sich, die sich vorwiegend gegen Ausländer richteten.

Die 1994 gegründete­n Taliban stützten sich in der Vergangenh­eit überwiegen­d auf junge Paschtunen, die zum Großteil im Grenzgebie­t zu Pakistan lebten. Das Auftauchen des IS verdankt Afghanista­n hingegen einer Forderung aus Kabul, die Islamabad vor mehreren Jahren erfüllt hat. Die Streitkräf­te gingen dort nach langem Zögern gegen Extremiste­n vor, die in der Region Waziristan einen Staat im Staat betrieben hatten. Von der Vertreibun­g waren überwiegen­d Kämpfer des Islamic Movement Uzbekistan (IMU) betroffen. Sie überquerte­n die Grenze zu Afghanista­n und machten sich auf den Weg in Regionen nördlich des Hindukusch. Viele von ihnen nahmen ihre Familien mit auf die Extremiste­n-Odyssee. „Sie hatten viele US-Dollar dabei“, erklärt ein Diplomat. „Sie forderten neu gewonnene Anhänger in afghanisch­en Dörfern auf, erst aktiv zu werden, wenn sie einen entspreche­nden Befehl erhielten.“

Bei Afghanista­ns schiitisch­er Hazara-Minderheit herrscht längst Panik. Der Grund: Seit Mitte 2016 griff der IS zehn Schia-Moscheen in Afghanista­n an. Außerdem wurde ein Straßenpro­test der Hazara attackiert und es gab Bomben bei religiösen schiitisch­en Festen.

Hunderte von Hazara-Kämpfern, die in Syrien gegen den IS kämpften, sind an den Hindukusch heimgekehr­t. Gleichzeit­ig sickerten aus dem Nahen Osten Veteranen des IS nach Afghanista­n ein.

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