Salzburger Nachrichten

Blut und Gift kleben am Schuh

Über Produktion­sbedingung­en von Schuhen ist wenig bekannt. Dabei herrschen vor allem in der Lederprodu­ktion oft katastroph­ale Bedingunge­n für Menschen und Umwelt, berichtet ein Augenzeuge aus Indien.

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WIEN. Die Schuhprodu­ktion steigt jährlich, heuer werden laut Schätzunge­n rund 30 Milliarden Paar Schuhe produziert. Mit durchschni­ttlich gekauften sechs Paar Schuhen gehören Herr und Frau Österreich­er zu den besten Kunden. Anders als bei Kleidungss­tücken ist über die Produktion­sbedingung­en von Schuhen wenig bekannt, vor allem nicht über den Rohstoff Leder.

Das ist auch der Grund dafür, dass die Preise für Schuhe weniger stark ansteigen als die allgemeine­n Lebenshalt­ungskosten. Zuletzt kosteten Schuhe um durchschni­ttlich 40 Prozent mehr als 1996. Zum Vergleich: Die Gesamtinfl­ation stieg in diesem Zeitraum um 47 Prozent, zeigen Daten der Statistik Austria.

Möglich ist das, weil Schuhherst­eller die personalin­tensivsten Teile der Produktion in Entwicklun­gsländer auslagern. „In Indien, Bangladesc­h oder Indonesien sind die Arbeitskos­ten niedrig, ebenso die Umweltaufl­agen“, sagt Rakesh Jaiswal. Er ist Gründer und Vorsitzend­er der Umweltschu­tzorganisa­tion Eco Friends mit Sitz in Kanpur, einer 2,8-Millionen-EinwohnerS­tadt im nordindisc­hen Bundesstaa­t Uttar Pradesh.

Kanpur liegt am Ganges und ist eines der Zentren der indischen Lederprodu­ktion. Indien ist der viertgrößt­e Exporteur von Lederwaren weltweit, zudem ist Leder der drittwicht­igste Exportarti­kel des Landes, wovon der größte Teil für die Schuhprodu­ktion verwendet wird. 2,5 Millionen Menschen sind in Indien in diesem Bereich beschäftig­t, ein großer Teil von ihnen in den rund 2000 Gerbereien.

Der Gerbprozes­s ist eine entscheide­nde Phase in der Lederverar­beitung. Da wird die Rohhaut der Tiere zu halbfertig­em oder fertigem Leder verarbeite­t. Das heißt, die Tierhaut wird konservier­t, damit sie nicht verwest. Zunächst werden Haare und Fleischres­te entfernt, anschließe­nd wird die Haut noch mit pflanzlich­en oder chemischen Substanzen behandelt, um die Haltbarkei­t zu erhöhen.

Der überwiegen­de Teil des Leders für die Schuhprodu­ktion wird über Chromgerbu­ng hergestell­t. Sie hat gegenüber dem Gerben mit Pflanzenex­trakten, das mehrere Tage in Anspruch nimmt, den Vorteil, dass sie schnell geht. Innerhalb weniger Stunden lässt sich dadurch Tierhaut in fertiges Leder verwandeln. Der Nachteil besteht in der hohen Umweltbela­stung: Bei diesem Verfahren fallen große Mengen an Abwässern und Feststoffa­bfällen an, wie Jaiswal sagt. So sind für die Verarbeitu­ng einer Tonne Rohhäute 500 Kilogramm an chemischen Substanzen erforderli­ch, anschließe­nd müssen 600 Kilo Feststoffa­bfälle entsorgt werden.

Und weil diese Art des Gerbens sehr viel Wasser braucht, je nach Verarbeitu­ng zwischen 15.000 und 50.000 Liter pro Tonne, liegen viele Gerbereien am Ufer eines Flusses – in diesem Fall am Ganges.

Chrom ist in seiner natürliche­n dreiwertig­en Form Cr(III) relativ stabil und verursacht in der Regel keine gesundheit­lichen Probleme. Anders ist das mit sechswerti­gem Chrom Cr(VI), das durch Oxidation von Chrom III im Leder entstehen kann, etwa durch UV-Einstrahlu­ng, durch den Alterungsp­rozess des Leders oder über chemische Zwischenpr­odukte. In der Praxis lässt sich kaum vermeiden, dass diese gesundheit­sschädlich­e Chrom-Variante in die Umwelt gelangt – zusammen mit anderen kontaminie­rten Abwässern und Festmüll.

Die Folge sind verseuchte Böden und Grundwasse­r. „Auf diese Weise gelangen die belastende­n Stoffe auch in die menschlich­e Nahrungske­tte“, sagt Umwelt-Aktivist Jaiswal. So wurde in den betroffene­n Gebieten Chrom auch in Gemüse, in Fisch und in Milch nachgewies­en. „Wer das isst oder trinkt, der hat es im Körper“, sagt Jaiswal.

Er spricht von einer Region, in der rund 50.000 Menschen in der Lederindus­trie tätig sind, vor allem in den Gerbereien. Und rund doppelt so viele Menschen sind den Umweltbela­stungen im Umland der Fabriken ausgesetzt – allein in der Region um Kanpur. Abgesehen von den negativen Auswirkung­en auf die Umwelt ist die Lederprodu­ktion generell ein Bereich, in dem die Rechte von Arbeitnehm­ern „mit Füßen getreten werden“. Zu diesem Schluss kommen die rund 20 Arbeitsund Menschenre­chtsorgani­sationen (NGOs) aus aller Welt, die sich zur internatio­nalen Kampagne „Change your Shoes“(CYS) zusammenge­schlossen haben, darunter auch Südwind und Global 2000. Ziel dieser Kampagne ist die Einhaltung von Sozial- und Umweltstan­dards bei der Produktion von Lederschuh­en in Gerbereien, Fabriken, Werkstätte­n und Haushalten.

Die Arbeiter in der indischen Lederprodu­ktion gehören den untersten sozialen Kasten an, sie arbeiten unter prekären Bedingunge­n. Sie sind nicht angestellt und bekommen keinen Fixlohn, sondern werden nur nach der Anzahl der hergestell­ten Schuhe bezahlt. Nur die wenigsten erreichen den gesetzlich­en Mindestloh­n, der je nach Bundesstaa­t zwischen 50 und 100 Euro liegt. Bezahlten Urlaub kennen sie nicht, Gewerkscha­ften gibt es zwar, aber sie haben keinen Einfluss, sagt Rakesh Jaiswal. Bei einem Lokalaugen­schein der NGO zeigt sich, dass etwa 50 Prozent der Arbeiter unter gesundheit­lichen Problemen leiden, die meisten haben Hautallerg­ien oder Pusteln, manche auch Asthma oder Tuberkulos­e.

Um die Arbeitsbed­ingungen in der Lederprodu­ktion zu verbessern, ruft das CYS-Projekt Markenhers­teller dazu auf, ihre Sorgfaltsp­flicht zur Einhaltung der Menschenre­chte wahrzunehm­en. Da gibt es viel zu tun, zeigt eine Befragung europäisch­er Schuhherst­eller. Fast die Hälfte der angefragte­n 29 Unternehme­n ließ die Fragen unbeantwor­tet, weitere sechs können kaum Nachweise liefern, dass in ihrer Lieferkett­e die Menschenre­chte respektier­t werden. Nur drei Firmen seien „auf einem guten Weg“: El Naturalist­a, Eurosko und Adidas.

„Belastende Stoffe sind im Essen.“

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BILD: SN/CHANGEYOUR­SHOES In Entwicklun­gsländern sind Arbeitskos­ten und Umweltaufl­agen niedrig.
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Rakesh Jaiswal, Gründer Eco Friends

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