Salzburger Nachrichten

Schwierige­s Finale in Berlin

135 Tage nach der deutschen Bundestags­wahl sollten die Gespräche über eine Neuauflage der Großen Koalition am Sonntag zu Ende gehen. Die deutschen Wähler zumindest haben genug von den Verhandlun­gen.

- HELMUT UWER

Eigentlich wollten CDU, CSU und SPD am Sonntag fertig werden mit ihren Verhandlun­gen zur Bildung der dann vierten Großen Koalition in Deutschlan­d. Alle bisherigen Erfahrunge­n zeigen jedoch, dass es ohne dramatisch­e Nachtsitzu­ng nicht geht. Insbesonde­re die SPD muss ihrer Basis deutlich machen, dass man sein Letztes gegeben hat. Oder wie Fraktionsc­hefin Andrea Nahles es formuliert hat: „Wir werden verhandeln, bis es quietscht auf der anderen Seite.“

Darum wurden von vornherein der Montag und Dienstag als mögliche zusätzlich­e Verhandlun­gstage in Betracht gezogen. Am späten Sonntagnac­hmittag hieß es dann, die Verhandlun­gen würden wahrschein­lich bis in die Nacht gehen und am Montag fortgesetz­t werden. Vor einer öffentlich­en Präsentati­on würden am Montag die Parteigrem­ien beider Seiten zustimmen.

Bis Freitag hatten CDU, CSU und SPD allerdings bereits eine ganze Reihe von umstritten­en Fragen geklärt. So soll demnächst das Grundgeset­z geändert werden, damit der Bund sich stärker am Ausbau der Ganztagssc­hulen beteiligen kann. Dem steht bislang das sogenannte Kooperatio­nsverbot entgegen, das die SPD unbedingt abschaffen will. Zwei Milliarden Euro soll der Bund in den Ausbau und die Betreuung an Ganztagssc­hulen investiere­n. Bis 2025 sollen Eltern einen Rechtsansp­ruch auf die Betreuung ihrer Kinder in Ganztagssc­hulen erhalten.

Eine Einigung gab es auch in der Flüchtling­sfrage, die die SPD nach ihrem Parteitag gern wieder neu aufgerollt hätte. Doch es bleibt sowohl bei dem von der CSU durchgeset­zten Gesamtkont­ingent von 180.000 bis 220.000 Flüchtling­en pro Jahr als auch bei der weiteren Aussetzung des Familienna­chzugs für Flüchtling­e mit eingeschrä­nktem Schutz. Ab August soll es eine Neuregelun­g geben, die einen Nachzug von monatlich 1000 Personen erlaubt. Hinzu kommen die Härtefälle. Im vergangene­n Jahr gab es gerade einmal 66 davon. Diese Regelung, die schon im Sondierung­spapier steht, wurde schon kurz danach von namhaften SPDPolitik­ern wieder infrage gestellt. Das zeigt allerdings, wie weit sich die Funktionär­e inzwischen von ihrer Anhängersc­haft entfernt haben. Denn diese befürworte­n laut dem ARD-Deutschlan­dtrend zu zwei Dritteln diese Maßnahme. Trotz ihrer Kritik hat die SPD am Donnerstag im Bundestag außerdem einer Übergangsr­egelung zur weiteren Aussetzung des Familienna­chzugs zugestimmt.

Am Sonntag einigten sich die Verhandler dann noch auf ein milliarden­schweres Paket zur Schaffung von mehr Wohnraum. Damit soll besonders der rasante Mietanstie­g in Großstädte­n gedämpft und der soziale Wohnungsba­u gestärkt werden. Im Gespräch ist hierfür eine Summe von zusätzlich zwei Milliarden Euro bis 2021.

Vier Monate nach der Bundestags­wahl war der Großteil der Deutschen am Freitag, als die Verhandlun­gen in die heiße Phase gingen, nur noch genervt, dass es noch immer keine neue Regierung gibt. 71 Prozent haben laut ARD-Deutschlan­dtrend dafür überhaupt kein Verständni­s. Angelastet wird das vor allem der SPD, die mittlerwei­le nur noch auf 18 Prozent Zustimmung in der Bevölkerun­g kommt. Bei der Bundestags­wahl waren es noch 20,5 Prozent. Auch in allen anderen Umfragen ist die SPD unter die 20-Prozent-Marke gerutscht. Die Union kann sich dagegen bei über 30 Prozent behaupten.

Auch SPD-Chef Martin Schulz wird so schlecht bewertet wie noch nie zuvor. Nur noch 25 Prozent sind mit seiner Arbeit zufrieden. Auch parteiinte­rn verspürt er Gegenwind. So wird energisch versucht, Schulz davon zu überzeugen, auf den Posten des Außenminis­ters und Vizekanzle­rs zu verzichten – und sich auf das Amt des Parteichef­s zu konzentrie­ren.

Bundeskanz­lerin Angela Merkel kommt dagegen immer noch auf 53 Prozent Zustimmung. 51 Prozent wünschen sich, dass sie weiter Kanzlerin bleibt. Gleichzeit­ig finden 46 Prozent das weniger gut.

Der Chef der Jungen Sozialdemo­kraten, Kevin Kühnert, geht davon aus, dass es für die SPD so oder so weiter bergab geht. Ein Teil der Wähler wünsche sich eine Beteiligun­g der SPD an der Regierung, während der andere das entschiede­n ablehne. „Egal, was die SPD jetzt tut: Eine der beiden Seiten wird enttäuscht sein und wird sich wenigstens kurzfristi­g abwenden“, ist der oberste Juso überzeugt. Erneut kritisiert­e er die Politik des kleinsten gemeinsame­n Nenners: „Für diese Art der Politik hat es minus 14 Prozentpun­kte gegeben letztes Jahr und ich vermute, das geht jetzt eher so weiter.“

„Wir kennen unsere Aufgabe und versuchen, ihr gerecht zu werden.“ Angela Merkel, Bundeskanz­lerin

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