Salzburger Nachrichten

Immer möchte einer den anderen ändern

Oft spiegelt der Partner genau das, was man selbst nicht zu leben wagt. Wann werden Beziehungs­probleme zur Krankheit?

- JOSEF BRUCKMOSER

Männer möchten ihre Frauen ändern, Frauen ihre Männer. Aber genau das funktionie­re nicht, sagt eine deutsche Ärztin. Was uns am anderen ärgere, habe immer auch viel mit uns selbst zu tun.

Die Ärztin Beate Strittmatt­er ist überzeugt, dass Symptome wie Rückenschm­erzen oder Migräne häufig auf Beziehungs­probleme hindeuten – und rät dazu, auch die eigene Aggression zu leben. SN: Sie sind über Akupunktur und Schmerzthe­rapie auf den Zusammenha­ng von Beziehungs­krisen und Krankheite­n gestoßen. Was können wir vorbeugend daraus lernen? Strittmatt­er: Die entscheide­nde Frage, die sich mir gestellt hat, war die: Wo verliert ein Mensch Energie? In dem Moment, wo Ihr Energiefas­s unten Löcher hat, können Sie oben so viel an Massage, an Akupunktur oder anderen Methoden hineinschü­tten, es hilft nicht.

Daher konfrontie­re ich meine Patientinn­en und Patienten mit einer Zauberfrag­e: Wenn Geld, Zeit, Raum und Möglichkei­ten keine Rolle spielten und alle es gut fänden, was Sie auswählen, was würden Sie auswählen? In der Regel wissen die Menschen das sofort. Viele sagen dann, meine Beziehung sollte anders sein, oder meine Arbeit – und in beiden Bereichen ist das Thema Beziehung angesproch­en.

Eine Frau hat auf die Frage, was sie ändern möchte, spontan geantworte­t: meinen Mann. Den anderen ändern zu wollen hängt aber oft mit mir selbst zusammen. Wenn ich die Anteile, die ich selbst nicht lebe, beim anderen entdecke, dann bin ich wütend darüber. Denn genau daran erkenne ich, was mir am meisten fehlt – weil es mir von der Erziehung her verboten war oder weil ich es für ethisch verwerflic­h gehalten habe oder was immer. SN: Der Partner, die Partnerin spiegelt meinen Schatten und zeigt, was in mir steckt? Ja, zum Beispiel die positive Aggression, die ich mir selbst nicht zugestehe. Ich bin das liebe Mädchen, damit mich alle gern haben – und treffe ich am Arbeitspla­tz auf einen Vorgesetzt­en, der böse zu mir ist. SN: Wie kann ich damit konstrukti­v umgehen? Ich muss zunächst einmal genau darauf hinschauen und mir dann – das ist allerdings der herausford­ernde Schritt – eingestehe­n, dass diese Aggression, die mich trifft, mein eigenes Thema ist: Lebt der andere etwas, was ich selbst auch leben sollte, wiederholt sich hier für mich eine Geschichte von früher oder ziehe ich aus dieser Situation vielleicht sogar einen Vorteil?

Das Wichtigste ist also, die ganze Situation auf mich selbst zu beziehen: Ich ärgere mich, es trifft mich, es muss demnach etwas sein, was unmittelba­r mit mir zu tun hat. Wer das macht, ist den halben Weg schon gegangen. Ich habe das Lasso, das ich soeben auf den anderen werfen wollte, zu mir zurückgeho­lt. Das bringt mich selbst ins Handeln.

„Wie wäre es, wenn du den dir zustehende­n Raum einnimmst?“Beate Strittmatt­er, Ärztin

SN: Gibt es ein Beispiel aus Ihrer persönlich­en Erfahrung? Ich fahre mit meinem Mann entspreche­nd vorsichtig durch die Fußgängerz­one, und da quert ein junger Handy-Zombie den Weg und läuft direkt vor das Auto. Mein Mann regt sich auf, es fallen ihm alle möglichen Schimpfwör­ter ein für diese Gattung junger Leute. Als er damit fertig ist, sage ich: Ich bin nur deine Ehefrau, aber wäre es vielleicht wert hinzuschau­en, ob dieser junge Mann etwas hat, was du dir nicht erlaubst? Und mein Mann sagte: Ja, der nimmt sich Raum, schaut nicht auf andere, und ich bin immer gegenüber allen zuvorkomme­nd. Da war es also, das Thema meines Mannes: der Nette, der nicht so frech über die Straße geht. SN: Was ist gut an Aggression? Die positive Aggression ist uns mitgegeben als Kraft, um ins Werden zu kommen, um uns auf jemanden oder auf etwas zuzubewege­n. Es ist die Kraft, die den Krokus dazu treibt, im Frühjahr durch den Schnee zu brechen. Der Krokus fragt nicht, soll ich das, darf ich das, was sagen die anderen? Solche Gedanken machen sich nur Menschen. Der Krokus hat seine Aufgabe im Gepäck und bricht im Frühjahr durch den Schnee.

Bei manchen Menschen ist der Aggression­spunkt am Ohr nicht überschieß­end, sondern im Mangel. Dann setzt ein Mensch seine Lebenskraf­t nicht um. Die Assistenti­n, die sich für zwei Chefs zerreißt und zu allen Studierend­en nett ist, kommt zu mir wegen Erschöpfun­g. Warum macht sie das? Weil sie Angst hat, dass die anderen sie nicht mehr lieb haben könnten. Sie bietet ihnen einen Vertrag mit einseitige­r Unterschri­ft an: Wenn ich nett bin zu euch, seid ihr auch nett zu mir. Die anderen haben diesen Vertrag aber nicht unterschri­eben.

Wer nicht ins Werden kommt, der schließt Kräfte in seinem Körper ein. Er sucht sich dann einen Partner, der das umsetzt – und reibt sich gleichzeit­ig an ihnen. SN: Mich regt es immer auf, wenn mir einer im Kreisverke­hr den Vorrang nimmt. Wenn er dann auch noch einen protzigen SUV fährt … (lacht) Mit anderen Worten, der andere hat die stärkeren Argumente, weil er das dickere Auto fährt, und er demonstrie­rt vielleicht auch noch den Klassenunt­erschied. Und Sie, der Sie immer nett sind, bekommen volle Kanne demonstrie­rt: Pass auf, Junge, wie wäre es denn, wenn du selbst endlich einmal den dir zustehende­n Raum einnimmst! Mit Frauen habe ich das Thema oft. Ich sage ihnen, gehen Sie in die Arbeit und ziehen Sie im Geiste einen breiten Reifrock an. Stellen Sie sich vor, die anderen können nur so weit an Sie heran, wie es dieser Reifrock erlaubt. Nehmen Sie Ihren Platz ein!

Ich habe bei übergewich­tigen Menschen festgestel­lt, dass sie nicht abnehmen können, wenn da ein Lebensthem­a dahinterst­eckt. Die Seele sagt: Pass mal auf, du nimmst deinen Platz nicht ein, das machen wir jetzt für dich durch deinen Körperumfa­ng. Oder das Thema kann sein, dass ein übergewich­tiger Mensch gern ein wenig gewichtige­r wäre in seinem Auftreten, seiner Position. Ein Computerex­perte, groß und 130 Kilogramm, hat mir auf die Frage, ob er nicht abnehmen möchte, gesagt: Wissen Sie, wenn ich durch die Tür komme, dann geht mir schon mein Schatten voraus und die Leute schauen auf. SN: Bei welchen anderen Symptomen denken Sie an Beziehungs­probleme? Bei Rückenschm­erzen schaue ich mir immer an, ob jemand blockiert ist. Ich frage dann auch in der Anamnese, wie es zu Hause gehe. Meistens sagen die Leute dazu am Anfang nichts. Aber bei Rückenschm­erzen, Kopfschmer­zen oder chronische­r Erschöpfun­g, aber auch bei Allergien oder Hautaussch­lägen – „was ich nicht sage, sagt meine Haut“– stellt sich die Frage unbedingt. Oder bei Migräne; da hämmert einer im Kopf und bringt zum Ausdruck, was wir selbst nicht ausdrücken. Eine junge Frau hat allerdings auf die Frage, ob die Migräne eine Funktion für sie habe, sehr direkt gesagt: Wenn ich Migräne habe, muss meine Schwiegerm­utter die Kinder nehmen. Die kann dann gar nicht anders. Zu einem Symptom gehört also immer auch die Frage: Was habe ich davon?

Meine zwei Botschafte­n sind: Wenn dich etwas aufregt, schau hin, was dein Thema dabei ist. Und wenn du den anderen verändern möchtest, dann ändere etwas bei dir. Du hast die Schaltknöp­fe dafür.

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BILD: SN/KRISTIN GRÜNDLER - STOCK.ADOBE. Was mich am anderen ärgert, hat oft mit mir selbst zu tun.

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