Salzburger Nachrichten

Der Rechtsstaa­t hat ein Rechtferti­gungsprobl­em

Die Politik fordert harte Strafen gegen Sexual- und Gewalttäte­r. Die gibt es bereits. Die Richter sollten sie auch verhängen.

- Marian Smetana MARIAN.SMETANA@SN.AT

Wie so oft in diesem Land wird eine Diskussion emotional, aber ohne Fakten geführt. So auch beim Vorstoß der Regierung für eine Verschärfu­ng des Strafrecht­s für Gewalt- und Sexualdeli­kte. Der Jubel vieler ist den Regierungs­parteien sicher. Denn wer will sich schon auf die Seite von jemandem stellen, der Kinder vergewalti­gt oder Frauen verprügelt? Doch die Richter und Anwälte sind angesichts der höheren Strafen skeptisch, selbst Opferschut­zorganisat­ionen sind vorsichtig. Das sollte dem juristisch­en Laien und der Politik zu denken geben.

Topjuriste­n und Wissenscha­fter weisen darauf hin, dass es erst vor Kurzem eine umfassende Strafversc­härfung gegeben habe. Sie plädieren daher für eine sachliche Debatte. Nur: Die Fakten für eine solche sachliche Debatte fehlen leider. Wie lange gehen Vergewalti­ger oder Gewalttäte­r durchschni­ttlich in Haft? Man weiß es nicht. Hat sich seit der letzten Strafrecht­sreform in den Gerichtssä­len etwas verändert? Unklar. Die Justiz führt keine Statistik.

Genau eine solche Statistik und ihre Auswertung wären wichtig, bevor man zum nächsten Schritt schreitet. Unser Zusammenle­ben wird durch ein ausgeklüge­ltes, sensibles Rechtssyst­em geregelt. Genauso sensibel sollten Reformen in diesem komplexen Regelwerk sein. Nur schnell an dem Rädchen „Straferhöh­ung“ in der Justizmasc­hinerie zu drehen hilft vor allem den Opfern solcher schlimmen Verbrechen nicht. Die Bürger und die Politik sollten auf die Experten hören, die Tag für Tag mit diesen Fällen zu tun haben. Sie haben fernab der oft reißerisch­en Schlagzeil­en wirklich Ahnung von den Bedürfniss­en der Opfer, von den Motiven der Täter, von den Urteilen der Richtersch­aft.

Doch auf der anderen Seite muss sich die Justiz die Frage gefallen lassen, warum sie als ungerecht empfunden wird. Viele verstehen nicht, warum ein schwerer sexueller Missbrauch nicht mit einer Gefängniss­trafe geahndet wird (obwohl das Gesetz eine solche ermöglicht), während es für ein Finanzdeli­kt eine Haftstrafe setzt.

Ein Rechtsstaa­t, den die Bürger nicht mehr verstehen, hat ein Problem. Ein gewaltiges. Denn er verliert seine Legitimati­on. Dieses Problem kann aber nicht durch eine Erhöhung des Strafmaßes gelöst werden. Wie wäre es damit, die möglichen Strafen – die im Vergleich zu anderen Ländern laut Experten sehr hoch sind – auszuschöp­fen? Schuld und Sühne ins Lot zu bringen liegt aber an den unabhängig­en Richtern und nicht an der Politik.

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