Senkrechtstarter ist abgestürzt
Die Verhandler in Berlin biegen auf die Zielgerade ein. Aber 54 Prozent der Deutschen sind dagegen, dass SPD-Chef Martin Schulz Minister im Kabinett der Großen Koalition (GroKo) wird.
BERLIN. Alle drei an den GroKo-Verhandlungen beteiligten Parteichefs stehen unter Druck. Doch am stärksten drückt die Last auf SPDChef Martin Schulz. Nach einem fulminanten 100-Prozent-Start ging es stetig bergab. Nicht nur gingen wichtige Landtagswahlen verloren. Schulz reihte auch Fehler an Fehler. Zum einen verkündete er noch in der Wahlnacht, dass es keine Neuauflage der Großen Koalition geben werde. Da hatte er sich bereits festgelegt, dass er nie als Minister in ein Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel eintreten werde.
Das erste Versprechen hat er bereits kassiert. Nach erfolgreichen Sondierungen verhandelt die SPD nun seit einer Woche über eine GroKo. Bei der Schlussrunde am Montag ging es vor allem um zwei Punkte: um sachgrundlose Befristungen von Jobs sowie um gleiche Ärztehonorare für Privat- und Kassenpatienten. Von Letzterem verspricht sich die SPD die Abschaffung der „Zwei-Klassen-Medizin“. Die aber könnte teuer werden, denn es gibt weitaus mehr Kassen- als Privatpatienten. Eine Änderung bei den sachgrundlosen Befristungen würde nur etwas bringen, wenn man die Sonderreglungen für den öffentlichen Dienst abschafft. Denn dort gibt es die meisten sachgrundlosen Befristungen, allen voran im Hochschulbereich.
Schulz denkt nun nach sich häufenden Medienberichten auch nicht mehr daran, auf einen Ministerposten zu verzichten. Das ist nachvollziehbar, will er nicht zum Grüßaugust werden. Denn bliebe er nur Parteichef, hätte er nicht nur Fraktionschefin Andrea Nahles als weiteren Machtfaktor zu berücksichtigen, sondern auch den Vizekanzler – wer immer das dann sein wird. Sein Handlungsspielraum würde also erheblich eingeschränkt. Dem Vernehmen nach will Schulz unbedingt ins Kabinett. Dafür ist er angeblich sogar bereit, auf seinen Posten als Parteichef zu verzichten. Der wackelt ohnehin immer mehr. Nicht nur sein Zickzackkurs wird kritisiert. Man hält ihm auch vor, er könne nicht führen und sei in vielen Themen nicht sattelfest. Immer mehr Parteigenossen fordern aber seinen Verzicht auf ein Ministeramt. Am Wochenende hat sich auch Ex-Kanzlergattin Doris Schröder-Köpf zu Wort gemeldet. Es sei „sehr schwer zu vermitteln, dass der Vorsitz der Partei vereinbar ist mit der Organisationstätigkeit eines Vizekanzlers und der Reisetätigkeit eines Außenministers“.
Laut einer Forsa-Umfrage vom Montag plädieren 54% der Wähler für einen Verzicht. Selbst unter SPD-Anhängern ist eine Mehrheit von 47% dafür. Nur 44% wollen Schulz als Minister sehen. 71% der SPD-Anhänger befürworten dagegen, dass Außenminister Sigmar Gabriel im Amt bleibt. Er ist derzeit der beliebteste SPD-Politiker. Angeblich hat Schulz ihm im letzten Jahr versprochen, in einer GroKo dürfe er Außenminister bleiben. Inzwischen aber ist das Band zwischen ihnen zerrissen. GroKo oder keine GroKo? Das letzte Wort haben die rund 450.000 SPD-Mitglieder. Das Ergebnis der Mitgliederbefragung soll am 3. März vorliegen.