Ein „Bürgerkrieg, geführt von Frauen“, bringt das Wahlrecht
Die britische Suffragettenbewegung kämpfte jahrelang für das Frauenwahlrecht, am Ende auch mit radikalen Mitteln. Angeführt wurde der militante Widerstand von der Aktivistin Emmeline Pankhurst. Die Suffragettenbewegung Frauen kämpfen für ihre Rechte
LONDON. Bevor Emily Davison als Märtyrerin in die Geschichte einging, saß die Frauenrechtlerin bereits etliche Male im Gefängnis. Sie hatte randaliert, sabotiert, Steine geworfen, eine Bombe gelegt und Briefkästen angezündet. Beim männlichen Establishment war sie berüchtigt, von ihren Mitstreiterinnen verehrt.
Während des Pferderennens Epsom Derby im Jahr 1913 schritt Davison zum Äußersten. Die 41-Jährige rannte durch die Absperrung auf die Strecke und hatte offenbar vor, dem Hengst des britischen Königs George V. eine Suffragettenflagge an den Zaum zu stecken. Doch sie bezahlte den Versuch, medienwirksam eine politische Botschaft zu senden, mit dem Leben. Das Pferd überrannte Davison, sie erlitt einen Schädelbruch. Vier Tage später starb sie. Auf ihrem Grabstein steht der Slogan der Suffragettenbewegung: „Taten, nicht Worte“.
Im Sommer soll zu Davisons Gedenken im Norden Englands eine Statue aufgestellt werden – stellvertretend für die Women’s Social and Political Union (WSPU), die 1903 von Emmeline Pankhurst gegründet wurde. Sie war die Anführerin, Antreiberin und Organisatorin. Vom US-Magazin „Time“wurde die Frauenrechtlerin einmal zu einer der bedeutendsten Menschen des 20. Jahrhunderts erklärt. Und ihr Name ist es, der gerade täglich in britischen Schlagzeilen auftaucht: Vor 100 Jahren, am 6. Februar 1918, führte Großbritannien ein eingeschränktes Frauenwahlrecht ein.
Dieses Erbe hat Helen Pankhurst tief geprägt. Die Urenkelin von Emmeline Pankhurst hat gerade ein Buch mit dem Titel „Taten, nicht Worte“herausgebracht – über Feminismus, Damals und Heute.
Das Thema bestimmt auch ihr Leben: „Ich spüre das Bedürfnis, weiter zu kämpfen, weil mein Name mir eine Stimme verleiht“, sagt die Aktivistin. Doch Pankhurst meint in Zeiten von #MeToo-Debatten einen Wandel zu erkennen. „Es passiert weltweit gerade etwas, die Einstellungen ändern sich.“Gleichwohl gebe es viele Parallelen zwischen dem Feminismus von vor 100 Jahren und jenem von heute: „Frauen sagen: Es ist genug.“Und noch immer forderten sie Normen heraus. Nur damals seien die Aktivistinnen eingesperrt und ausgeschlossen worden, seien in Hungerstreiks getreten. „Emmeline war eine Ikone“, so Pankhurst über ihre Urgroßmutter. „Sie und die anderen Suffragetten dienen im Königreich noch immer als Vorbild.“
Dabei kämpfte die Bewegung mit militanten Mitteln. Dem vorausgegangen war ein jahrzehntelanger, zäh verlaufender Protest verschiedener Gruppen. Schon ab Mitte des 19. Jahrhunderts engagierten sich Frauen aus dem Bürgertum für das Wahlrecht und die Gleichstellung der Frau mit Petitionen, Lobbyarbeit und Flugblättern. Die Herrenelite ignorierte die Forderungen, amüsierte sich, die Medien verspotteten die Aktivistinnen als Suffragetten – eine Bezeichnung, die die Frauen dann in ihrem Sinne einsetzten.
Weil sich nichts änderte, gründete die frustrierte und wütende Pankhurst die WSPU. Anfangs noch geprägt von zivilem Ungehorsam wurde die Bewegung mit wachsender Mitgliederzahl radikaler, aber auch organisierter. Sie warb mit Fahnen und Flugblättern, immer in den Erkennungsfarben Weiß, Grün und Lila. „Sie haben sich eine Marke aufgebaut, da waren sie ihrer Zeit voraus“, sagt Helen Pankhurst.
Die Verfechter des aktiven Widerstands bezogen Frauen aus der Arbeiterklasse mit ein, sorgten mit spektakulären Aktionen für Furore, kappten Telefonleitungen, zündeten Geschäfte an und warfen Fensterscheiben ein. Oft landeten sie im Gefängnis, traten in Hungerstreiks und machten nach ihrer Haftentlassung weiter. Es eskalierte. Pankhurst, deren drei Töchter ebenfalls aktiv waren, nannte den Kampf im Jahr 1913 „Bürgerkrieg der Frauen“.
Auch in anderen Ländern gab es Frauenrechtsbewegungen, aber nirgends waren sie lauter als in Großbritannien. Das Establishment im Königreich zeigte sich jedoch starr. Dann brach der Erste Weltkrieg aus. Es war eine Pause für die Suffragetten, Pankhurst und viele Mitstreiterinnen unterstützten die Waffenproduktion. Während die Männer an der Front kämpften und starben, schufteten die Frauen in den Fabriken, pflegten die Verwundeten und brachten die Ernte ein.
Aber erst am 6. Februar 1918 war es dann so weit: Das Parlament verabschiedete ein Gesetz, das Frauen ein Wahlrecht geben sollte. Im Gegensatz zu ihren Landsmännern galt es nur ab einem Alter von 30 Jahren und es war gebunden an Besitzverhältnisse. Erst 1928 erfolgte echte Gleichberechtigung – zumindest an der Urne.
„Mein Name verleiht mir eine Stimme.“
Als Suffragetten wurden die Frauen bezeichnet, die Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem in Großbritannien und den Vereinigten Staaten für ihre Rechte kämpften. In erster Linie ging es damals um das Wahlrecht – daher auch der Name Suffragetten, vom französischen „suffrage“(Wahl). Eine der Hauptakteurinnen in der britischen Frauenrechtsbewegung war Emmeline Pankhurst. Sie gründete 1903 die Women’s Social and Political Union, die sich zuerst friedlich für die Rechte der Frauen einsetzte. Später wurden sie radikaler, es kam zu Hungerstreiks und gewaltsamen Protesten. Am 18. November 1910, dem „Black Friday“, wurde eine Kundgebung von der Polizei niedergeknüppelt. Eingeführt wurde das Wahlrecht für Frauen in Großbritannien erst 1918 – und vorerst nur für Frauen über 30 Jahre. Emmeline Pankhurst starb, nur wenige Wochen bevor das Gesetz verabschiedet wurde. Viel früher, schon ab 1893, durften Frauen in Neuseeland wählen. 1902 bekamen die Frauen in Australien das Wahlrecht. In Europa waren die skandinavischen Länder die ersten, Schlusslicht ist Liechtenstein, wo Frauen erst seit 1984 wählen dürfen.