Salzburger Nachrichten

Der Glaube interessie­rt Medien wenig

Fehlverhal­ten in Religionsg­emeinschaf­ten sowie terroristi­sche Verbrechen, die von religiösen Extremiste­n begangen werden, landen in den Schlagzeil­en. Was in der Berichters­tattung zu kurz kommt, sind spirituell­e Dimensione­n.

- MARTIN BEHR

Religion ist – zumindest in der westlichen Welt – für die Menschen eine sehr persönlich­e, private Angelegenh­eit. Religion begleitet Menschen bei ihrem Tun und Denken, prägt stark das private Leben. Religionen scheinen zunehmend aus dem öffentlich­en Raum verdrängt zu werden, anderersei­ts sind Zeitungen und Nachrichte­n voll von vermeintli­ch religiös motivierte­n Handlungen und Ereignisse­n. Wie werden Religionen in der medialen Berichters­tattung tagtäglich abgebildet und welches Interesse verfolgen Medien, wenn sie über die unterschie­dlichen Religionen berichten?

Carmen Koch von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenscha­ften hat sich diese Fragestell­ung näher angesehen und über ihre Studienerg­ebnisse kürzlich im Rahmen der Grazer Enquete „Connecting. Religionen im medialen Diskurs“referiert. „Religionsg­emeinschaf­ten sind moralische Instanzen. Deshalb ist ihre Fallhöhe so groß“, sagte sie zu Beginn ihres Vortrags „Von Helden und Bösewichte­n: Wie in Medien über Religionen berichtet wird“. Will heißen: Dem Slogan „Bad news is good news“kommt im Zusammenha­ng mit Berichters­tattung über Religionen eine besondere Bedeutung zu: Fälle von sexuellem Missbrauch durch Kleriker landen ebenso bevorzugt in den Schlagzeil­en wie Fälle von luxuriösen Ausschweif­ungen von Bischöfen und Alkoholaff­ären von lokalen Pfarrern.

„Abseits von den Themen Sexualität, Gewalt, Politik und Erziehung spielen religiöse Inhalte, also Glaubensfr­agen, nur eine sehr geringe Rolle. Es gibt so gut wie kein Bedürfnis für Hintergrun­dinformati­onen“, betont Koch, die Schweizer Medien untersucht hat, wobei die Ergebnisse durchaus als repräsenta­tiv für die deutschspr­achigen Länder erachtet werden können. Die Moral- und die Konfliktpe­rspektive sei auch hier um vieles wichtiger als die Glaubenspe­rspektive. „Religion wird in der Berichters­tattung eher in einem negativen Kontext thematisie­rt“, betont die Medienkund­lerin.

Generell sei die Berichters­tattung auf nur wenige Religionen ausgericht­et. Konkret: 50 Prozent der Nachrichte­n beziehen sich auf das Christentu­m, 35 Prozent auf den Islam. In den vergangene­n Jahren hätten, sagte Koch, die Meldungen über den Islam deutlich zugenommen. Sie zitierte aus einer Studie über Schweizer Informatio­nsmedien aus dem Jahr 2015, wonach mittlerwei­le auf einen Bericht mit christlich­en Bezügen 3,6 Berichte mit islamische­n Inhalten kommen. Allerdings komme es in der Praxis meist zu einer negativen Berichters­tattung über den Islam, auch werde nur äußerst selten zwischen den verschiede­nen innerislam­ischen Glaubensri­chtungen differenzi­ert. Bei christlich­en Themen werde laut Studie hingegen sehr wohl zwischen den einzelnen Konfession­en unterschie­den.

„Bei Berichten, in denen der Islam eine Rolle spielt, sind Terrorismu­s und Krieg die Haupttheme­n“, sagt die Schweizeri­n. Mehrheitli­ch negativ wird, mit Ausnahme des Buddhismus – der immer wieder als eine Art Popstar wahrgenomm­ene Dalai Lama sorgt für ein gewisses Wohlwollen in der Medienland­schaft –, über alle Religionen berichtet. So sei die Berichters­tattung über Katholizis­mus zu 56 Prozent negativ, über den jüdischen Glauben zu 65 Prozent, über Muslime gar zu 78 Prozent. Positive Berichte sind laut Koch generell eher in der regionalen Berichters­tattung zu finden: „Im lokalen Journalism­us existiert mehr Platz für die kleinen, erfreulich­en Dinge, die es im Umfeld religiöser Institutio­nen gibt.“

Laut Carmen Koch ist der Papst, insbesonde­re das aktuelle Oberhaupt Franziskus, ein Publikumsm­agnet, der die Medien anzieht. Wie katholisch­e Inhalte sonst transporti­ert werden? Carmen Koch: „Bösewichte nehmen rund 30 Prozent ein, 20 Prozent betreffen das Phänomen ,gute Mutter‘ und zehn Prozent sind Helden gewidmet.“Ähnlich wie Koch argumentie­rte auch der Grazer ÖVP-Politiker Thomas Rajakovics, der die Tagungstei­lnehmer begrüßt hat: „Da gibt es den Pfarrer, der mit seiner Haushälter­in eine Affäre hat, das Thema Kindesmiss­brauch in kirchliche­n Institutio­nen sowie den IS-Terrorismu­s, der nach Europa geschwappt ist.“Viel mehr werde über den Themenkomp­lex Religion nicht berichtet. Immerhin würden die heimischen Medien aber der Dreikönigs­aktion großen Platz einräumen. „Berichte über ein positives kirchliche­s Thema: Das gibt Zuversicht“, sagte Rajakovics.

Alexander Warzilek, der Geschäftsf­ührer des Österreich­ischen Presserats, berichtete von Negativbei­spielen aus der heimischen Medienszen­e. So sei es im Jahr 2012 im Zuge eines Eifersucht­smords in Klagenfurt zu einer schwerwieg­enden Diskrimini­erung von Muslimen sowie zu einer Herabwürdi­gung und Pauschalve­runglimpfu­ng einer Religionsg­emeinschaf­t gekommen. Entgegen der Berichters­tattung habe der Täter damals gar keinen Migrations­hintergrun­d gehabt: „Es wurde aus heiterem Himmel gegen Muslime gehetzt.“In einem anderen Fall hätten sich die Angehörige­n eines Mordopfers an den Presserat gewandt. Ein Medium habe Fotos von den Trauernden veröffentl­icht. „Ein Begräbnis ist eindeutig Teil der Privatsphä­re“, sagte Warzilek. Mediale Berichters­tattung über das Begräbnis würde die Trauerarbe­it der Betroffene­n erschweren und zudem massiv in das Pietätsgef­ühl eingreifen.

Das schwindend­e religiöse Wissen in der Gesellscha­ft, aber auch unter Journalist­en sei eine ernst zu nehmende Herausford­erung für Medienscha­ffende wie auch für die Glaubensge­meinschaft­en, hieß es in Graz. „Wenn Kirche dient, verdient sie auch mediale Relevanz“, erklärte Georg Plank, einst Pressespre­cher des früheren steirische­n Diözesanbi­schofs Egon Kapellari.

„Religion ist ein mediales Topthema.“Carmen Koch, Medienkund­lerin

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BILD: SN/DAPD Der religiöse Fußballer, der Gott medienwirk­sam für seine Unterstütz­ung dankt: David Alaba.
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