Der Glaube interessiert Medien wenig
Fehlverhalten in Religionsgemeinschaften sowie terroristische Verbrechen, die von religiösen Extremisten begangen werden, landen in den Schlagzeilen. Was in der Berichterstattung zu kurz kommt, sind spirituelle Dimensionen.
Religion ist – zumindest in der westlichen Welt – für die Menschen eine sehr persönliche, private Angelegenheit. Religion begleitet Menschen bei ihrem Tun und Denken, prägt stark das private Leben. Religionen scheinen zunehmend aus dem öffentlichen Raum verdrängt zu werden, andererseits sind Zeitungen und Nachrichten voll von vermeintlich religiös motivierten Handlungen und Ereignissen. Wie werden Religionen in der medialen Berichterstattung tagtäglich abgebildet und welches Interesse verfolgen Medien, wenn sie über die unterschiedlichen Religionen berichten?
Carmen Koch von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften hat sich diese Fragestellung näher angesehen und über ihre Studienergebnisse kürzlich im Rahmen der Grazer Enquete „Connecting. Religionen im medialen Diskurs“referiert. „Religionsgemeinschaften sind moralische Instanzen. Deshalb ist ihre Fallhöhe so groß“, sagte sie zu Beginn ihres Vortrags „Von Helden und Bösewichten: Wie in Medien über Religionen berichtet wird“. Will heißen: Dem Slogan „Bad news is good news“kommt im Zusammenhang mit Berichterstattung über Religionen eine besondere Bedeutung zu: Fälle von sexuellem Missbrauch durch Kleriker landen ebenso bevorzugt in den Schlagzeilen wie Fälle von luxuriösen Ausschweifungen von Bischöfen und Alkoholaffären von lokalen Pfarrern.
„Abseits von den Themen Sexualität, Gewalt, Politik und Erziehung spielen religiöse Inhalte, also Glaubensfragen, nur eine sehr geringe Rolle. Es gibt so gut wie kein Bedürfnis für Hintergrundinformationen“, betont Koch, die Schweizer Medien untersucht hat, wobei die Ergebnisse durchaus als repräsentativ für die deutschsprachigen Länder erachtet werden können. Die Moral- und die Konfliktperspektive sei auch hier um vieles wichtiger als die Glaubensperspektive. „Religion wird in der Berichterstattung eher in einem negativen Kontext thematisiert“, betont die Medienkundlerin.
Generell sei die Berichterstattung auf nur wenige Religionen ausgerichtet. Konkret: 50 Prozent der Nachrichten beziehen sich auf das Christentum, 35 Prozent auf den Islam. In den vergangenen Jahren hätten, sagte Koch, die Meldungen über den Islam deutlich zugenommen. Sie zitierte aus einer Studie über Schweizer Informationsmedien aus dem Jahr 2015, wonach mittlerweile auf einen Bericht mit christlichen Bezügen 3,6 Berichte mit islamischen Inhalten kommen. Allerdings komme es in der Praxis meist zu einer negativen Berichterstattung über den Islam, auch werde nur äußerst selten zwischen den verschiedenen innerislamischen Glaubensrichtungen differenziert. Bei christlichen Themen werde laut Studie hingegen sehr wohl zwischen den einzelnen Konfessionen unterschieden.
„Bei Berichten, in denen der Islam eine Rolle spielt, sind Terrorismus und Krieg die Hauptthemen“, sagt die Schweizerin. Mehrheitlich negativ wird, mit Ausnahme des Buddhismus – der immer wieder als eine Art Popstar wahrgenommene Dalai Lama sorgt für ein gewisses Wohlwollen in der Medienlandschaft –, über alle Religionen berichtet. So sei die Berichterstattung über Katholizismus zu 56 Prozent negativ, über den jüdischen Glauben zu 65 Prozent, über Muslime gar zu 78 Prozent. Positive Berichte sind laut Koch generell eher in der regionalen Berichterstattung zu finden: „Im lokalen Journalismus existiert mehr Platz für die kleinen, erfreulichen Dinge, die es im Umfeld religiöser Institutionen gibt.“
Laut Carmen Koch ist der Papst, insbesondere das aktuelle Oberhaupt Franziskus, ein Publikumsmagnet, der die Medien anzieht. Wie katholische Inhalte sonst transportiert werden? Carmen Koch: „Bösewichte nehmen rund 30 Prozent ein, 20 Prozent betreffen das Phänomen ,gute Mutter‘ und zehn Prozent sind Helden gewidmet.“Ähnlich wie Koch argumentierte auch der Grazer ÖVP-Politiker Thomas Rajakovics, der die Tagungsteilnehmer begrüßt hat: „Da gibt es den Pfarrer, der mit seiner Haushälterin eine Affäre hat, das Thema Kindesmissbrauch in kirchlichen Institutionen sowie den IS-Terrorismus, der nach Europa geschwappt ist.“Viel mehr werde über den Themenkomplex Religion nicht berichtet. Immerhin würden die heimischen Medien aber der Dreikönigsaktion großen Platz einräumen. „Berichte über ein positives kirchliches Thema: Das gibt Zuversicht“, sagte Rajakovics.
Alexander Warzilek, der Geschäftsführer des Österreichischen Presserats, berichtete von Negativbeispielen aus der heimischen Medienszene. So sei es im Jahr 2012 im Zuge eines Eifersuchtsmords in Klagenfurt zu einer schwerwiegenden Diskriminierung von Muslimen sowie zu einer Herabwürdigung und Pauschalverunglimpfung einer Religionsgemeinschaft gekommen. Entgegen der Berichterstattung habe der Täter damals gar keinen Migrationshintergrund gehabt: „Es wurde aus heiterem Himmel gegen Muslime gehetzt.“In einem anderen Fall hätten sich die Angehörigen eines Mordopfers an den Presserat gewandt. Ein Medium habe Fotos von den Trauernden veröffentlicht. „Ein Begräbnis ist eindeutig Teil der Privatsphäre“, sagte Warzilek. Mediale Berichterstattung über das Begräbnis würde die Trauerarbeit der Betroffenen erschweren und zudem massiv in das Pietätsgefühl eingreifen.
Das schwindende religiöse Wissen in der Gesellschaft, aber auch unter Journalisten sei eine ernst zu nehmende Herausforderung für Medienschaffende wie auch für die Glaubensgemeinschaften, hieß es in Graz. „Wenn Kirche dient, verdient sie auch mediale Relevanz“, erklärte Georg Plank, einst Pressesprecher des früheren steirischen Diözesanbischofs Egon Kapellari.
„Religion ist ein mediales Topthema.“Carmen Koch, Medienkundlerin