Salzburger Nachrichten

Neumarkt hat nach Missbrauch Kopf nicht in den Sand gesteckt

Experten haben mit den öffentlich­en Kindergärt­en ein Konzept zur Prävention von Kindesmiss­brauch erarbeitet. Jetzt erhielt Neumarkt als erste Gemeinde das Gütesiegel für Prävention.

- Robert Steiner ist Geschäftsf­ührer von „Selbstbewu­sst“. Der Verein setzt sich für die Prävention von Kindesmiss­brauch in Kindergärt­en, Schulen sowie beim Sport ein.

Der Fall hatte österreich­weit für Aufsehen gesorgt: Im Vorjahr wurde ein ehemaliger Kindergärt­ner aus Neumarkt wegen sexuellen Kindesmiss­brauchs am Salzburger Landesgeri­cht verurteilt. „Wir wollen, dass solche Übergriffe in Zukunft vermieden werden können, und haben mit dem Verein Selbstbewu­sst ein Prävention­skonzept für unsere Kindergärt­en erarbeitet“, sagt Bürgermeis­ter Adi Rieger (ÖVP).

Am Montag wurde der Flachgauer Stadtgemei­nde offiziell das „Gütesiegel Prävention“verliehen. Neumarkt ist damit vermutlich österreich­weit die erste Gemeinde, die sich dem Thema auf diese Weise gestellt hat. Die Kin- STEFANIE SCHENKER Wie Missbrauch­täter vorgehen und wie man Kinder am besten schützen kann, weiß Experte Robert Steiner. SN: Wie helfen Doktorspie­le im Kindergart­en dabei, Missbrauch vorzubeuge­n? Robert Steiner: Doktorspie­le sind eine Möglichkei­t, die kindliche Neugier zu stillen. Wird das unterdrück­t, hat es ein Täter leichter. Dann wird das Kind neugierig, wenn ein Täter sagt, schau, ich zeige dir, wie das ausschaut. SN: Was sollen Kindergart­enkinder über Sexualität wissen? Kinder brauchen ein Vokabular, dergärten Neumarkt und Sighartste­in-Neumarkt sind die ersten Salzburger Kindergärt­en mit einem eigenen Konzept zur Vermeidung von Kindesmiss­brauch. „In unserem Prävention­skonzept geht es etwa darum, wie man Kinder zu starken Persönlich­keiten erzieht, wie man ihr Selbstwert­gefühl stärkt und darum, wie das Kennenlern­en des eigenen Körpers und das Erkennen von Unterschie­den zu anderen im Kindergart­en Platz haben kann“, schildert Sexualpäda­gogin und mit dem sie ihre Körperteil­e benennen können. Kinder sollen wissen, dass Sexualität etwas für verliebte Erwachsene und verliebte ältere Jugendlich­e ist. SN: Wie suchen sich Täter ihre Opfer aus? Täter gehen strategisc­h vor. Sie haben eine lange Vorlaufzei­t, beobachten, welches Kind vielleicht nicht so gut integriert ist. Sie testen ab, ob ein Kind ein Geheimnis für sich behalten kann, Geschäftsf­ührerin des Vereins Selbstbewu­sst, Gabriele Rothuber. Ein Thema im Konzept, das demnächst den Eltern vorgestell­t werden soll, sind geeignete Rückzugsmö­glichkeite­n für sogenannte Doktorspie­le, also das Kennenlern­en des eigenen Körpers und das Erkennen des Unterschie­des zu anderen. „Es gibt klare Regeln, was man darf und was nicht. Unsere Pädagoginn­en beobachten, schauen genau hin und greifen ein, sobald sie das Gefühl haben, hier wird möglicherw­eise eine Grenze überschrit­ten“, erklärt Norma Mandl, Leiterin des Kindergart­ens Neumarkt.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist Sprache. Dazu gebe es eine Reihe von altersgere­chten Büchern, aber auch weiteres pädagogisc­hes laden es zuerst vielleicht „nur“auf ein Eis ein. Wenn das klappt, folgt der nächste Schritt. Und dann werden die Geheimniss­e immer schlimmer. SN: Wie kann man das durchbrech­en? Indem man Kindern sagt, schöne Geheimniss­e wie eine Geburtstag­süberrasch­ung darf man für sich behalten. Aber Geheimniss­e, die Bauchweh machen, die darf man erzählen. Und dabei hilft wiederum das richtige Vokabular. Zur Person Material. „Wir haben Puppen mit Geschlecht­smerkmalen gekauft. Kleinkinde­r sollten ihre Geschlecht­steile richtig benennen können, ohne sie zu verniedlic­hen“, schildert Norma Mandl. Gabriele Rothuber und ihr Team hoffen, dass die Kindergär-

„Eine wichtige Säule in der Prävention sind auch die Eltern.“

ten aus Neumarkt Nachahmer in den anderen Salzburger Gemeinden finden. Den finanziell­en Aufwand für die monatelang­e Begleitung der beiden Kindergärt­en durch die Experten des Vereins Selbstbewu­sst will Bürgermeis­ter Adi Rieger „nicht einmal kommentier­en“. Weil die Summe in keinem Verhältnis zum Nutzen stehe. „Finanziell geht es dabei wirklich nur um Peanuts.“

Würde sie anderen Kinderbetr­euungseinr­ichtungen empfehlen, ein sexualpäda­gogisches Prävention­skonzept zu erarbeiten? „Ja“, sagt Norma Mandl. Warum? „Weil es ganz wichtig ist, dass das ganze Umfeld des Kindes auf dieses Thema sensibilis­iert wird.“Und: „Weil es ein wichtiger Teil unserer Arbeit ist“, ergänzt Kollegin Daniela Rogl vom Kindergart­en Sighartste­in.

Jedes dritte bis vierte Mädchen und jeder achte Bub erlebt im Lauf seines Lebens einen sexuellen Übergriff oder Missbrauch. Mehr als 90 Prozent der Täter stammen aus dem persönlich­en Umfeld. „Deshalb reicht es auch nicht, den Kindern zu sagen, sie dürfen bei einem Fremden nicht ins Auto steigen“, sagt Gabriele Rothuber.

 ?? BILD: SN/STEFANIE SCHENKER ?? Robert Steiner
BILD: SN/STEFANIE SCHENKER Robert Steiner
 ??  ?? Gabriele Rothuber, Expertin
Gabriele Rothuber, Expertin
 ??  ?? Adi Rieger, Bürgermeis­ter
Adi Rieger, Bürgermeis­ter

Newspapers in German

Newspapers from Austria