Einander zuhören ist fundamental
Die preisgekrönte Doku „Atelier de Conversation“des Salzburgers Bernhard Braunstein erzählt von den großen Dingen.
Mit seinem ersten abendfüllenden Dokumentarfilm „Atelier de Conversation“ist dem Salzburger Bernhard Braunstein ein Geschenk gelungen: „Atelier“ist ein tief humanistischer Film wider den Zeitgeist, über offene Konversationsrunden für Französischlernende im Centre Pompidou in Paris. Menschen aus aller Welt üben hier die neue Sprache, sanft moderiert von Bibliothekarinnen, anhand der ganz großen Themen: Heimweh. Liebe. Wirtschaftskrise. Männer und Frauen. Mit teils minimalem Vokabular wird überraschend präzis argumentiert, und Braunstein schaut und hört ganz genau hin. SN: „Atelier de Conversation“ist aus Ihrer eigenen ParisErfahrung entstanden. Wie kam es dazu? Bernhard Braunstein: Ich hab immer in Salzburg gelebt, hab hier studiert und einen großen Freundeskreis gehabt. Aber ich wollte gern einmal in einer Großstadt leben, eine neue Sprache lernen, ein anderes Leben ausprobieren. Und da gibt es dieses Phantasma von Paris, dieser großartigen Stadt der vielen Kinos, des Lichts, der Liebe, und irgendwie war das anziehend für mich. Ich hab mich dann relativ spontan entschlossen, nach Paris zu ziehen, ohne ein Wort Französisch zu sprechen, und hab geglaubt, nach ein paar Monaten in dem Land kann ich bestimmt die Sprache. SN: Ein Sprachkurs war keine Option? Die ersten Monate war ich vor allem fast täglich im Kino. Und ich hab dann auch einen Sprachkurs gemacht, aber mit 30 Jahren noch mal zur Schule gehen und Hausaufgaben machen, das war heftig. Aber es gibt im Centre Pompidou diese riesige Bibliothek, und die ist ein ganz besonderer Ort, und die bieten gratis Multimediasprachkurse an. Und dann gab es da eine kleine Tafel, auf der stand „Atelier de Conversation“, das fand gerade an dem Tag statt.
„Die ganze Welt sitzt da zusammen.“
SN: Daraus hat sich Ihr Film entwickelt? Ja, ich war sofort fasziniert. Jeder kann da hingehen, auch ohne Voranmeldung, es ist kostenlos, und dadurch ist die Hemmschwelle niedrig, das Publikum bunt gemischt. Und so ist es möglich, dass da in einem kleinen Raum die ganze Welt zusammensitzt und miteinander plaudert, alle Kontinente, Hautfarben und Religionen, Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen nach Paris gekommen sind und die Sprache zu lernen versuchen. SN: Was sind das für Menschen? Die haben die unterschiedlichsten Geschichten. Im Französischen spricht man von den „migrants“, den Einwanderern, und das wird oft so dargestellt, als sei das eine gefährliche große Masse. Dabei ist die Pauschalisierung das Gefährliche, denn das sind ja lauter Individuen: der Zahnarzt aus Syrien, die Bäckerin aus Japan, der Richter aus der Türkei, der Kalligraf aus Irak und die Polizistin aus New York, und dann eben auch ich. Und wir alle teilen die Erfahrung, was das mangelhafte Beherrschen der Sprache betrifft. Es hilft enorm, sich zu trauen, da zu reden, man wird nicht korrigiert, sondern plaudert einfach drauflos. und die Leute sind sehr aufmerksam und hören einem wirk- lich zu, und das hilft extrem, wenn du merkst, der andere schaut dir ins Gesicht und will dich wirklich verstehen. Und das ist so einfach, aber ganz entscheidend, dieses Zuhören. SN: Es ist ja eine Binsenweisheit: Wenn zwei einander zuhören und verstehen wollen, können sie einander nicht mehr hassen. Und das beginnt natürlich in dem Moment, in dem sie miteinander reden, das ist schon ein großer Schritt. Ich finde es erschreckend, dass die Gesellschaft so eine Tendenz hat, sich wieder abzukapseln, obwohl das doch ganz und gar nicht den Anforderungen an die Wirklichkeit entspricht, weil wir leben einfach in einer multikulturellen Welt, da ist es ja absurd, zu sagen, man will von den anderen nichts wissen. Das Einanderzuhören wirkt heute fast naiv, obwohl es eigentlich etwas ganz Fundamentales ist, ganz etwas tief Menschliches und Wichtiges. SN: Sind Sie seither in Paris geblieben? Die letzten acht Jahre war ich hauptsächlich dort, und jetzt pendle ich beruflich zwischen Österreich und Frankreich. Derzeit bereite ich zwei Projekte in Wien vor, darunter mein erstes Spielfilmprojekt, über zwei Zivildiener, die zum ersten Mal im Altersheim mit Tod und Leid konfrontiert werden, und die sich vor dieser erschütternden Erfahrung in eine Casino-Parallelwelt flüchten. Das wird eine Tragikomödie, aber an Originalschauplätzen und mit Laiendarstellern, ich bleibe also bei meinem dokumentarischen Ansatz, aber bis zum Drehbeginn wird es noch zwei, drei Jahre dauern. Film: „Atelier de Conversation“. Dokumentarfilm, Frankreich/Österreich 2017. Regie: Bernhard Braunstein. Start: 9. 2. Vorstellungen in Anwesenheit des Regisseurs: Das Kino, 9. 2., 20 Uhr, Stadtkino Hallein, 11. 2., 11.30 Uhr.