Von ganz unten nach oben
Jürgen Vigne bringt bis Mitte März in seinem Restaurant Pfefferschiff Pariser Köstlichkeiten auf den Tisch. Diese Expedition führt ihn gleich in zweifacher Hinsicht zu seinen Wurzeln.
HALLWANG. „Leben wie Gott in Frankreich.“Wer denkt da nicht an außergewöhnlich gutes Essen! Dieser Gedanke führt schnurstracks zu Georges Auguste Escoffier. Der sagte einmal: „Eine gute Küche ist das Fundament allen Glücks.“So betrachtet dürfen wir uns den Koch Jürgen Vigne als glücklichen Menschen vorstellen. Er verwöhnt seine Gäste schon seit 18 Jahren in seinem Söllheimer Restaurant Pfefferschiff vor den Toren Salzburgs auf hohem Niveau. Seit acht Jahren ist er dort Chef. Dass sich Vigne nun explizit Gedanken über die französische Küche gemacht hat, hat einen guten Grund. „Meine Vorfahren waren Hugenotten, also Protestanten, die sich im vorrevolutionären Frankreich ausgerechnet in die katholische Wachau gerettet haben“, sagt er augenzwinkernd. Das passt recht gut: Denn Vigne bedeutet auf Deutsch so viel wie Weinstock. Als solcher fühlt er sich auch beim Kochen. „Meine Art zu kochen ähnelt dem Wachstum von Wein. Mein Antrieb sind keine schnelllebige Moden, sondern meine Frau Iris und meine beiden Kinder.“Er beeilt sich auch festzustellen, dass es die französischen Küche ja eigentlich gar nicht gibt. Die bretonische Küche unterscheide sich ja von der provenzalischen ungefähr so wie die böhmische von der sizilianischen. Weshalb er sein Extra-Menü nun ganz konkret „30 Days Paris“getauft hat. Was aber alle Regionen Frankreichs eint, das ist die Demut beim Kochen – auch oder erst recht in der gehobenen Gastronomie.
Zwei Speisen und ihre Rezepte finden Sie rechts. Vigne hantiert da so, wie es sich gehört, mit Karkassen von Krustentieren und Speisefischen. Was anderswo im Müll landet, das verwenden Spitzenköche in Frankreich seit Jahrhunderten, um ihren Gerichten Charakter zu verleihen. Diese Zutaten kriegen Sie in keinem Supermarkt. Sie müssen schon zum Fischhändler, der sie Ihnen mit allergrößter Wahrscheinlichkeit schenken wird – außer er braucht sie selbst zum Kochen.
Woher kommt nun diese Neugier auf vermeintliche Abfälle? „Aus der Not“, sagt Vigne. Denn Restaurants gab es in Frankreich erst nach der Französischen Revolution. Diese wurden von Köchen betrieben, die plötzlich auf der Straße standen, weil ein Großteil der Adeligen der Guillotine zum Opfer gefallen war. Die Köche eröffneten Maison Restaurants, was auf Deutsch „stärkende Häuser“bedeutet. Damals herrschte Hunger. Also mussten sich die begabten Köche Fragen stellen. Etwa jene: Was mache ich aus einem Kalbskopf? Schmecken Schnecken? Warum nicht einmal einen Ochsenschwanz ausprobieren? Wie kann man die Schenkel von Fröschen zubereiten? Was mache ich aus altem Brot? Viele Franzosen wären verhungert, hätten die Köche damals nicht über solche Fragen nachgedacht. Oder nehmen wir die heute weltweit gerühmte Spezialität Coq au Vin. Das ist im Grunde nichts anderes als ein zäher, übergroßer Vogel, der in Wein mariniert und so lang gedämpft wird, bis man ihn endlich kauen kann. Bei genauerer Betrachtung ist die wahre Haute Cuisine also nichts anderes, als alles genießbar zu machen, was kreucht und fleucht, was sich aus der Erde bohrt und sich im Misthaufen versteckt. Da wundert es auch nicht mehr, dass Frankreichs Wappen von einem Hahn geziert wird. Die Franzosen sagen, er sei das einzige Tier dieser Erde, das sich noch aufplustert, obwohl es mit beiden Beinen im Mist steht.
Ähnlich verhält es sich bei Terrinen, die Jürgen Vigne immer wieder virtuos in seine Menüs einbaut. Aktuell steht etwa eine Fasanenterrine mit Mousse, Gelee und einer Sauce Cumberland auf der Karte. „Das ist klassisch. Aber ich habe sie ein bisserl modernisiert“, sagt er. Die Klassik ist für ihn der Grundstock des Kochens. Wie die Wurzeln beim Wein. Das Modernisieren vergleicht er mit den Trieben eines Weinstocks, die ja auch immer wieder zurückgeschnitten werden müssen, damit er gut wird.
Vor allem bei der Verarbeitung von Wildgeflügel setzt er auf Tradition. „Wenn man die Tiere im Ganzen verarbeitet, dann ergeben sich viele Möglichkeiten.“Als Beispiel nennt er seine Gänse-Consommé, die er den Terrinen schichtweise beifügt. Ein großer Lehrmeister ist da der eingangs zitierte Escoffier (1846–1935). Er hinterließ mit dem „Guide Culinaire“und dem kleinen Büchlein „Le Repertoire de La Cuisine“zwei Werke, die jeder Koch in seiner Lehrzeit studieren sollte. Das zuletzt genannte Werk bietet etwa auf nur 244 Seiten mehr als 500 Variationen von Speisen. Darin ist auch die Zubereitung „à la Rossini“enthalten. Das bedeutet: Das Gericht wird mit punktgenau gegarter Gänseleber und Trüffeln serviert. Bei Vigne gibt es jetzt Taube à la Rossini.
Mit dem zweiten Gericht, dessen Rezept uns Vigne heute verrät, ehrt er keinen Geringeren als Fernand Point, der in jeder Hinsicht eine Größe der französischen Kochgeschichte war. Mit seinen zwei Metern Körpergröße und geschätzt 150 Kilogramm Gewicht hat er jedem Mitarbeiter in der Küche seines Restaurants „La Pyramide“in Vienne Respekt eingeflößt. Gelebt hat er von 1897 bis 1955. Und zu seinen bekanntesten Lehrlingen zählten immerhin die Brüder Pierre und Jean Troisgros, sowie ein frecher Bursch namens Paul Bocuse. Diese drei Köche zählen heute zu den Säulenheiligen der Haute Cuisine. Und Point war eben bekannt dafür, dass er all seine Lehrlinge einer besonders harten Schulung bei der Zubereitung von Eiern unterzog. Erst wenn sie diese beherrschten, durften sie sich anderen Gerichten widmen.
Mit dem von Jürgen Vigne ertüftelten Gericht „Eigelb mit Spinatcreme und Schinkenschaum“hätte Meister Point sicher seine Freude gehabt. Der fünfgängige Ausflug im Pfefferschiff nach Paris ist mit 60 Euro übrigens wohlfeil kalkuliert. Die von seiner Frau Iris zusammengestellte französische Weinbegleitung kostet 30 Euro. Apropos Wein: Die Vignes machen ihrem Namen jetzt auch in der Wachau alle Ehre. Seit Kurzem sind sie Besitzer eines kleinen Weinguts in Gleisdorf.
Denn eines bleibe unbestritten, sagt Vigne: „Gepflanzt wurde ich in Krems.“
„Die Klassik ist der Grundstock. Das Moderne sind die Triebe. Die dürfen nie zu wild wachsen.“Jürgen Vigne, Koch