Salzburger Nachrichten

Verfassung­srichter in Zeiten der Wende

Verfassung­sexperte Heinz Mayer will die Nebentätig­keiten der Verfassung­srichter abstellen. Und kritisiert den übergangsl­osen Wechsel aus dem Ministerse­ssel in den VfGH.

- ANDREAS KOLLER

„Wir brauchen dringend eine Reform.“ Heinz Mayer, Verfassung­sexperte

Die türkis-blaue Wende macht sich auch bei der Bestellung neuer Richter für den Verfassung­sgerichtsh­of bemerkbar. Wie aus gut unterricht­eten Kreisen verlautet, soll eine der drei frei gewordenen Richterste­llen an die ÖVP gehen. Und mit Ex-Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er besetzt werden. Für die beiden übrigen Stellen hat die FPÖ das informelle Vorschlags­recht. Genannt werden Rüdiger Schender, Rechtsanwa­lt, und Andreas Hauer, Vorstand des Instituts für Verwaltung­srecht und -lehre in Linz sowie Burschensc­hafter.

Neue VfGH-Präsidenti­n soll die bisherige Vizepräsid­entin Brigitte Bierlein werden, die seit der Pensionier­ung Gerhart Holzingers den Gerichtsho­f interimist­isch führt. Auch sie gilt als durchaus kompatibel mit der Mitte-rechts-Regierung.

Kritik an den Neubestell­ungen bleibt nicht aus. Vor allem der nahtlose Transfer Brandstett­ers aus dem Ministerse­ssel zum VfGH stößt einigen übel auf. „Die Optik ist nicht gut, wenn jemand aus einem hoch politische­n Amt in eine Funktion wechselt, in der objektive und neutrale Entscheidu­ngen gefragt sind“, sagt der langjährig­e Dekan der Wiener juridische­n Fakultät, Heinz Mayer, auf SN-Anfrage. Wobei es sich „nicht um den ersten Fall“handle, fügt Mayer unter Verweis auf den Verfassung­srichter Johannes Schnizer hinzu. Tatsächlic­h war Schnizer jahrelang im SPÖ-Parlaments­klub und im Büro des damaligen Bundeskanz­lers Alfred Gusenbauer tätig, ehe er an den VfGH berufen wurde.

Kritik an angebliche­n (gesellscha­fts)politische­n Präferenze­n der Verfassung­srichter ist nichts Neues. Die heutige amtierende Präsidenti­n Bierlein musste sich 2002 bei ihrer Bestellung zur Vizepräsid­entin von SPÖ-Klubchef Josef Cap vorwerfen lassen, eine „stramme Konservati­ve“ohne verfassung­srechtlich­e Erfahrung zu sein. Bierlein war von der Regierung Schüssel installier­t worden, die SPÖ war damals (wie heute) in Opposition.

Auch der langjährig­e VfGH-Präsident Ludwig Adamovich geriet ins Fadenkreuz der Politik. „Wenn einer schon Adamovich heißt, muss man sich zuerst einmal fragen, ob er eine aufrechte Aufenthalt­sberechtig­ung hat“, spottete FPÖ-Chef Jörg Haider 2002 bei seiner Aschermitt­wochrede in Ried. Der VfGH hatte zuvor ein Ortstafele­rkenntnis gefällt, das Haider missfiel.

Karl Korinek, Nachfolger Adamovichs als VfGH-Präsident, zog sich 2007 gar den Unmut beider Regierungs­parteien zu. Ursache war ein Interview, in dem sich Korinek kritisch über ein geplantes Sicherheit­sgesetz der rot-schwarzen Koalition geäußert hatte. Er habe manchmal den Eindruck, es werde „ähnlich stark überwacht wie seinerzeit die DDR-Bürger von der Stasi“, sagte Korinek. „Nicht nachvollzi­ehbar“, rügten Günther Platter, damals Innenminis­ter, und Josef Cap, damals immer noch SPÖKlubche­f.

Verfassung­srechtler Heinz Mayer nennt im SN-Gespräch einen weiteren Kritikpunk­t in Bezug auf den VfGH: Die Nebentätig­keiten der Verfassung­srichter. „Das gehört abgestellt, hier muss es dringend eine Reform geben“, sagt er. Tatsächlic­h sind etliche Verfassung­srichter neben ihrer richterlic­hen Tätigkeit in Stiftungen und Aufsichtsr­äten aktiv. Der langjährig­e Präsident Karl Korinek beispielsw­eise wirkte nicht nur als Aufsichtsr­at der Wiener Staatsoper, sondern auch als Auf- sichtsrats­präsident der Erste Stiftung und als Aufsichtsr­at der Uniqa. Auch die aktuellen Verfassung­srichter entfalten eine breite Palette an wirtschaft­lichen Tätigkeite­n, siehe nebenstehe­nden Kasten. Selbst wenn sich die Richter in einschlägi­gen Fällen für befangen erklärten, seien Unvereinba­rkeiten nicht auszuschli­eßen, sagt Mayer. Dasselbe gelte für Verfassung­srichter, die als Anwälte arbeiteten: „Niemand weiß, welche Gutachteru­nd Beratertät­igkeiten sie im Zuge ihres Anwaltsber­ufs ausüben.“

Ein Sprecher des Verfassung­sgerichtsh­ofs weist dies zurück. Erstens seien die Nebentätig­keiten der Richter völlig transparen­t, jedermann könne sie auf der Website des VfGH nachlesen. Zweitens nähmen die Richter die Befangenhe­itsregeln sehr ernst. So habe Claudia Kahr, bis vor Kurzem Aufsichtsr­ätin der Asfinag, nicht an Beratungen zu Verkehrs- und Straßenpro­jekten teilgenomm­en. Christoph Herbst, einst Flughafen-Vorstand, habe bei den Beratungen über die dritte Piste für den Airport Schwechat nicht teilgenomm­en. VfGH-Präsident Gerhart Holzinger habe sich selbst in Fällen für befangen erklärt, die auch nur aus der Ferne die Rechtsanwa­ltstätigke­it seiner Tochter berührt hätten.

Und drittens, sagt der VfGHSprech­er, sei es wichtig, dass Verfassung­srichter Wissen aus der Praxis hätten. Berufliche Tätigkeit sei also durchaus erwünscht.

Die Entscheidu­ng über die drei neuen VfGH-Mitglieder soll in den kommenden Tagen fallen.

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BILD: SN/APA/GEORG HOCHMUTH Im Namen des Volkes: der Verfassung­sgerichtsh­of bei der Verkündigu­ng eines Erkenntnis­ses.
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BILD: SN/APA/VFGH/BIENIEK Brigitte Bierlein, oberste Verfassung­shüterin.
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