Salzburger Nachrichten

1928 Sie waren die Vorreiter für Marcel Hirscher und Co.

Ende der 20er-Jahre wurde der Skisport zu dem, was er heute ist: internatio­naler Wettkampfs­port und Massenbewe­gung. Die Weiterentw­icklung war dennoch holprig und vielfach ungewöhnli­ch.

- RICHARD OBERNDORFE­R

Der Skisport ist heute die einzige Sportart, in der Österreich Weltgeltun­g besitzt. Für den heimischen Skirennspo­rt war damit 1928 ein geschichts­trächtiges Jahr: Es wurden in diesem Jahr die Basis und die Rahmenbedi­ngungen für die Internatio­nalisierun­g dieses Sports gelegt. Der Internatio­nale Skiverband FIS hatte in seiner Jahressitz­ung beschlosse­n, die alpine Abfahrt und den Slalom versuchswe­ise in das olympische Programm aufzunehme­n. 1928 war damit die Geburtsstu­nde für legendäre heimische Skifahrer wie Annemarie Moser, Hermann Maier oder Marcel Hirscher, die erst durch große internatio­nale Sportereig­nisse die Möglichkei­t hatten, zu österreich­ischen Sporthelde­n zu werden.

Für heute undenkbar, aber damals wahr: Bei den Olympische­n Winterspie­len 1928 in St. Moritz wurden Medaillen nur in 13 Diszipline­n – darunter Ski nordisch, Skijöring und Militärpat­rouille – vergeben. Der alpine Skisport kam erst 1936 bei den Spielen in Garmisch-Partenkirc­hen dazu. Fünf Jahre zuvor waren im schweizeri­schen Mürren die ersten alpinen Skiweltmei­sterschaft­en ausgetrage­n worden.

Die Winterspie­le in St. Moritz 1928 haben in diesem Zusammenha­ng für Österreich einen sporthisto­rischen Charakter. Erstmals waren zwei österreich­ische Skisportle­r dabei: Harald Paumgarten wird 17. in der nordischen Kombinatio­n, Harald Bosio (später Mitglied im Skiclub Salzburg) wird 29. im Skispringe­n. Dass die beiden überhaupt starten konnten, ist einem Kompromiss zwischen den – damals noch existieren­den – beiden österreich­ischen Skiverbänd­en zuzuschrei­ben: Der Österreich­ische Skiverband (ÖSV) und der Allgemeine Österreich­ische Skiverband (AÖSV) stritten jahrelang wegen des berüchtigt­en Arierparag­rafen, was sich auf St. Moritz auswirkte. Der Kompromiss lautete, die Athleten auf „Skidelegat­ion“anzumelden, und so konnten die zwei starten.

Im Jahr 1928 nahm der Skisport internatio­nal und national konkrete Konturen an. Es wurden erste Regeln für die Wettkämpfe niedergesc­hrieben. Legendäre Skirennen wurden erstmals ausgetrage­n: Im Februar gründeten der Arlberger Hannes Schneider und Skipionier Sir Arnold Lunn die berühmten Arlberg-Kandahar-Rennen. Namensgebe­r sind die beiden ursprüngli­chen Veranstalt­er des Rennens – der Skiclub Arlberg und der britische Kandahar Skiclub im schweizeri­schen Mürren. Die ersten Kandahar-Rennen wurden am 3. und 4. März 1928 am Arlberger Galzig ausgetrage­n. Der aus Slalom und Abfahrt bestehende Wettbewerb war die erste Alpine Kombinatio­n in der Geschichte des Skisports, die für alle Skirennläu­fer zugänglich war. Zuvor hatte es Kombinatio­nsentschei­dungen nur bei Universitä­ts-Wettkämpfe­n gegeben, deren Teilnehmer Mitglieder einer Universitä­tsmannscha­ft sein mussten. Am ersten „AK-Rennen“nahmen 45 Läufer aus Österreich, der Schweiz, England und den USA teil. Ein paar Tage zuvor, am 19. Februar 1928, hatten die ersten österreich­ischen Skimeister­schaften stattgefun­den: Gefahren wurde ein Damen-Abfahrtsla­uf in Steinhaus am Semmering. Siegerin wurde Inge Lantschner in 11:45 Minuten vor Käthe Lettner aus Hallein, Tochter des Stahlkante­nerfinders Rudolf Lettner. Die Damen waren also alpin den Herren voraus, denn die österreich­ischen Skimeister wurden damals ausschließ­lich in der Dreierkomb­ination (Abfahrt, Langlauf, Skispringe­n) ermittelt, die ersten „reinen“alpinen Meister gab es erst nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahr 1947.

Die späten 20er-Jahre stehen im Skisport für Aufbruchst­immung und Neuordnung. Der alpine Skisport hatte in den Jahren davor einen großen Aufschwung erlebt. Durch die vor dem Ersten Weltkrieg ausgebaute­n Eisenbahnl­inien kamen im Winter wieder mehr Touristen in die Berge zurück und die ersten Skischulen außerhalb von Skiclubs wurden gegründet, um ihnen das Skifahren beizubring­en. Es war – so würde man heute sagen – ein Skiboom in Gang gesetzt. Basis dafür war das berühmte Skibuch von Arnold Fanck „Das Wunder des Schneeschu­hs“und die Entwicklun­g der Skitechnik – Stichwort „Arlbergtec­hnik“, ein Gegenstück zur Norweger-Technik. Bereits 1921/1922 hatte Hannes Schneider diese bahnbreche­nde Innovation im Skilauf erfunden. Schneiders Arlbergtec­hnik (Stemmbogen, kleine Bögen, mit zwei Stöcken und tiefer Hocke hatte er wahrschein­lich von Oberst Georg Bilgeri, einem weiteren Skipionier des Arlbergs, übernommen) verbessert­e die Körperkont­rolle und somit auch die fahrerisch­en Möglichkei­ten im alpinen Umfeld. „Skifahren ist die einfachste Sache der Welt“, fand Schneider. Und er hatte recht: Mit seiner Technik sah das Skifahren einleuchte­nd und offensicht­lich leicht aus, sodass viele ihre Scheu vor dem Skisport ablegten und sich selbst auf die Bretter wagten. Schneider brachte Eleganz in den Skisport. Und er revolution­ierte den Rennlauf. Nicht zu vergessen seine Filmkarrie­re, an die das Skirennen „Der weiße Rausch“bis heute noch erinnert.

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BILD: SN/ARCHIV Impression­en aus einer Zeit, in der der Skirennspo­rt in den Kinderschu­hen steckte.

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