Salzburger Nachrichten

Die Rohingya sind historisch gestrandet

Myanmar bezeichnet die muslimisch­e Minderheit als „illegale Einwandere­r“. Doch diese Einwanderu­ng ist 200 Jahre her.

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Mohammed Abul Kalam ist Soziologe in Dhaka, der Hauptstadt von Bangladesc­h. Er wirft einen Blick zurück in die Geschichte. SN: Warum werden die Rohingya aus Myanmar vertrieben? Mohammed Abul Kalam: Die Ursachen für die jetzige Entwicklun­g sind so komplex wie alt. Rakhine, die Provinz in Myanmar, wo die Rohingya herkommen, ist eine der ärmsten Regionen. Sowohl die muslimisch­en Rohingya wie auch die buddhistis­che Bevölkerun­g dort haben über lange Zeit Ungerechti­gkeit und Gewalt durch das Militär erfahren. Viele Buddhisten glauben, sie haben Land verloren, als die Briten Arbeiter aus Bangladesc­h holten, nachdem sie Burma zu ihrem Kolonialge­biet hinzugefüg­t hatten. Seither ist immer wieder Gewalt zwischen diesen beiden Volksgrupp­en aufgeflamm­t. SN: Aber das war bereits vor 200 Jahren. Genau. Deswegen ist die Behauptung, die Nachfahren dieser Gastarbeit­er seien „illegale Einwandere­r“, ja auch mehr als fragwürdig. Die Rohingya leben seit Generation­en in Myanmar. Dennoch wurde 1982 ein Gesetz erlassen, das nur jenen Ethnien die Staatsbürg­erschaft gewährt, die vor 1824 im Land waren. Das bedeutet: Sie dürfen ihre Dörfer

„Die Ursachen für die Entwicklun­g sind so komplex wie alt.“Mohammed Kalam, Soziologe

nicht verlassen, nicht wählen, nicht reisen, und ihr Eigentum kann jederzeit enteignet werden. SN: Warum ist der Konflikt gerade jetzt so aufgeflamm­t? Es gab immer wieder Wellen der Gewalt, aber nicht von solchem Ausmaß wie jetzt. Die nationalis­tische Organisati­on Ma Ba Tha, die „Vereinigun­g für den Schutz von Rasse und Religion“, angeführt von dem Mönch Ashin Wirathu, hat den Hass geschürt. Obwohl die muslimisch­e Minderheit in Myanmar nur vier Prozent der Bevölkerun­g ausmacht, werfen die radikalen Buddhisten den Rohingya vor, eine kulturelle Bedrohung zu sein. Wirathu hat mit seinem Extremismu­s eine Menge Anhänger gewonnen und damit politische­n Einfluss. SN: Die Rohingya sind ein Volk, das niemand will. Auch Bangladesc­h will sie wieder zurückschi­cken. Eigentlich sollte am 23. Jänner damit begonnen werden. Warum hat man den Start dann auf unbestimmt verschoben? Kaum jemand würde freiwillig zurückgehe­n. Die meisten haben Familienmi­tglieder sterben sehen. Die internatio­nale Staatengem­einschaft muss ihren Druck auf Myanmar intensivie­ren und fordern, dass das Militär seine Gewalt gegen Zivilisten einstellt – ob sie nun Bürger sind oder nicht. Der nächste Schritt ist, den Rohingya eine Nationalit­ät zu geben und alle Rechte, die damit verbunden sind. Um die buddhistis­che Bevölkerun­g in Rakhine zu beruhigen, müssten die Rohingya ihren Anspruch auf indigenen Status und ihre Bindungen an ein traditione­lles Heimatland zurücknehm­en.

Mohammed Abul Kalam ist Soziologe und Autor. Eine Rückführun­g unter den gegebenen Umständen hält er für problemati­sch.

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