Stimme aus Latakia: „Du suchst eine Zucchini aus und plötzlich fallen Schüsse“
„Ich bin gerade zurück von einem Monat in Syrien – eine bizarre Welt. Du suchst dir eine schöne Zucchini auf dem Markt aus, plötzlich fallen Schüsse und alle rennen. Dabei war ich in Latakia, wo es vergleichsweise ruhig zugeht. Ich kann leichter nach Syrien einreisen als andere, mein Vater ist Syrer, meine Mutter Türkin, aufgewachsen bin ich in der Schweiz.
Dieses Mal war ich dort, weil ich mich als Freiwillige für ein Caritas-Projekt für junge Frauen gemeldet habe. Viele Mädchen werden schon in jungen Jahren verheiratet, weil es sich die Familie nicht länger leisten kann, sie zu versorgen. Auf der Straße Zuckerwatte oder Ähnliches zu verkaufen dürfen nur die Buben. Ein Mädchen trägt nichts zum Einkommen der Familie bei. Eine Hochzeit aber bringt erstens Brautgeld für die Eltern. Und zweitens denken sie, dass die Tochter dann geschützt ist. Vergewaltigt wird meist nicht die verheiratete Frau, sondern das Mädchen, das allein ist. Also wird eine Heirat als das kleinere Übel angesehen. Das ist für Europäer schwer nachzuvollziehen. In unserem Projekt haben wir zwölf- bis 17jährige Mädchen unterrichtet. Am wichtigsten war, dass wir ihnen gezeigt haben, wie sie Dinge herstellen können, die auf dem Markt verkauft werden. Kleine Schmuckstücke etwa. So haben sie eine Möglichkeit, der Kinderehe zu entgehen. Zurück in Europa, kann ich die Erinnerungen an die Kriegswirren nicht so einfach vergessen. Geräusche und Bilder verfolgen mich. Camouflage ist hier in London Mode, in Syrien ist es ein Kleidungsstück des Kriegs. Ich mag kein Feuerwerk und keinen Flugzeuglärm. Ich habe Probleme zu schlafen. Gleichzeitig schätze ich das Leben und die Sicherheit Europas nach einem Monat mit nur acht Stunden Strom am Tag und nur ein Mal pro Tag Wasser. Manchmal ist uns nicht bewusst, wie schön wir es hier haben. “