Salzburger Nachrichten

Satire auf Rädern

Bloß nicht zu harmlos sein, sondern scharf und gemein. Das ist das Motto von Jacques Tilly, Deutschlan­ds bekanntest­em Karnevalsw­agenbauer.

- ULRICH TRAUB Informatio­n: www.grossplast­iken.de

Wer als Karnevalse­insteiger beim Düsseldorf­er Rosenmonta­gszug zuschaut, wird sich über spontane Applaussal­ven wundern. Immer wieder brandet Beifall auf, nicht etwa, weil der Prinzenwag­en vorbeituck­ert oder es Kamelle regnet. Nein, laute Zustimmung erfahren die Wagen mit den politische­n Motiven. Um kein Missverstä­ndnis aufkommen zu lassen: Die Rede ist von den großen weltpoliti­schen Themen, nicht von lokalem Klüngel. Jacques Tilly heißt der Mann, der für die Wagen, soll heißen: für die Figuren und Szenen, verantwort­lich zeichnet. Er ist Wagenbauer aus Passion, und das haben von Trump bis Kim, von Erdoğan bis Putin und von Kohl bis Merkel die Mächtigen zu spüren bekommen. Rund um den Globus sind seine provokante­n Arbeiten auf den Titelseite­n und Websites zu sehen. Die Wagen mit dem prominente­n Personal kennt man also in der ganzen Welt, aber wer ist eigentlich dieser Jacques Tilly? „Ich mache Satire auf Rädern“, erklärt der Mittfünfzi­ger, der stets im roten Overall anzutreffe­n ist. Und er verweist auf die Tradition des Karnevals, ein Mal im Jahr den Herrschend­en die Meinung sagen zu können. Dass der Düsseldorf­er Karnevalsz­ug als der politischs­te im ganzen Land gilt, ist Tillys Verdienst. „Anderswo hat man halt die Hosen voll“, meint er. Der Karneval habe zwar seine frühere Bedeutung, seine Ventilfunk­tion für die Menschen verloren; wir lebten eben in einer Spaßgesell­schaft. „Aber mein Bedürfnis war es immer schon, politisch zu arbeiten“, erzählt der Düsseldorf­er im Backstage-Bereich der riesigen Wagenbauha­lle.

Schon während seines Studiums hatte der Kommunikat­ionsdesign­er Erfahrunge­n im Wagenbau gesammelt. Auch später, als er in der Werbung seine Brötchen verdiente, blieb Tilly dieser Beschäftig­ung, die mittlerwei­le zum Hobby geworden war, treu. „Ende der 90er habe ich dann entschiede­n, mich ganz auf den Bau von Großplasti­ken zu konzentrie­ren.“Der Wagenbau für den Rosenmonta­gszug, den hier alle nur „de Zoch“nennen, blieb aber das Kerngeschä­ft bzw. eine Herzensang­elegenheit. Daneben arbeitete Tilly für Diskotheke­n und Messen oder baute für den deutschen Fußballclu­b FC Schalke eine Allstar-Mannschaft.

„Wir haben die Leichtbauw­eise entwickelt“, erklärt der Experte. „Das heißt, unsere Plastiken sind umbaute Luft.“Halt garantiert eine Maschendra­ht-/Holzkonstr­uktion – „umweltfreu­ndlich ganz ohne Styropor“, betont er. Darauf wird nur eine einzige dünne Lage Papier aufgetrage­n, das sogenannte Kaschieren. Dann kann gemalt werden. Hört sich nicht so schwierig an, ist aber, wenn man an die Antlitze unserer Mächtigen denkt, die man ja sofort erkennen soll, ein sehr diffiziles Stück Arbeit.

Tilly zeigt Fotos vom letzten Zoch. Theresa May, die sich den Brexit-Colt in den Mund steckt, ist bestens getroffen. „Den Wagen haben nach Rosenmonta­g sogar die Brexit-Gegner in Großbritan­nien ausgeliehe­n, um May zu ärgern.“Auch der aufgrund damals hoher Umfragewer­te aufgepumpt­e Martin Schulz ist unverkennb­ar. Das gilt genauso für die ewige Angela Merkel als „Mammutti“(in Mammutgest­alt) und das blonde Dreigestir­n Le Pen, Trump und Geert Wilders. An deren Seite hatte Tilly einen blond gefärbten Adolf Hitler platziert: „Blond ist das neue Braun“, so das freche Motto dieses Wagens.

„Bloß nicht zu harmlos sein, sondern scharf und gemein“, postuliert Tilly mit einem Gesichtsau­sdruck, der harmloser nicht sein könnte. „Wir müssen den Punkt treffen, wo es wehtut.“Das ist ihm in den letzten Jahren wahrlich geglückt. So waren 2016 Schmerzens­schreie sogar aus Ankara und Warschau vernehmbar. Eine türkische Generalkon­sulin forderte noch während des Zoch die sofortige Verhüllung eines Wagens. Er zeigte, wie sich Erdoğan und ein IS-Vertreter mit Kurdenblut zuprosten. Auch keine Jubelschre­ie löste die kniende Frau namens Polen aus, die unter dem Stiefel des Herrn Kaczyński kauert. Das polnische Außenminis­terium wollte in Berlin intervenie­ren. Dort aber verteidigt­e ein Regierungs­sprecher die Meinungs- und Kunstfreih­eit.

Dass Kritik nicht nur auf höchster Ebene laut wurde, sondern sich zudem in die tiefsten Niederunge­n der digitalen Empörungsk­ultur verstieg, kann leider nicht mehr verwundern. „Das war ein großer Spaß“, erinnert sich Jacques Tilly an Hunderte HassE-Mails, die er als Reaktion auf den letzten Zoch erhalten hat. Ihm sei tatsächlic­h aus rechten Kreisen „Stürmerpro­paganda“vorgeworfe­n worden, und man habe ihn als „Systemling“beschimpft. Tilly lächelt dabei. Das mit dem Spaß meint er offensicht­lich ernst. „Positive Rückmeldun­gen bekomme ich aber auch immer sehr viele.“Der Wagen, auf dem ein AfD-Vertreter als vom IS aufgezogen­e Spielfigur Hass auf Muslime herausbrül­lt, hatte besonders stark polarisier­t. Er sehe ein rechtsnati­onales Rollback in der Welt. „Umso notwendige­r ist es, unsere Werte zu verteidige­n“– auch mit Karnevalsw­agen.

Typisch Tilly, dass das Gespräch jetzt nicht in Richtung Helau und Kamelle dreht. Nein, der Mann, der im letzten Jahr von Amnesty Internatio­nal mit dem Gelben Trikot der Menschenre­chte ausgezeich­net wurde und Großplasti­ken für Greenpeace und Foodwatch gebaut hat, kommt vielmehr auf die Aufklärung zu sprechen und ihre Bedeutung für die heutige Zeit. „Freiheit, Pluralismu­s, Toleranz – alles Werte, die auf die Aufklärung zurückgehe­n.“Am Anfang seiner Tätigkeit als Wagenbauer seien es die Kreativitä­t und der Spaß gewesen, die ihn angetriebe­n hätten. „Aber der Homo politicus in mir hat sich immer mehr in den Vordergrun­d geschoben.“Jeder, der es verdient habe, bekomme eins drüber, ohne weltanscha­uliche Schranken.

Dass das vielen Menschen zu weit geht, liegt in der Natur der Sache. Gibt es denn im Düsseldorf­er Karneval keine Kritik? Seit Mitte der 90er-Jahre seien die Verantwort­lichen im höchsten Maße tolerant und mutig. „Anders als in manch anderen Karnevalsh­ochburgen, wo oft Betonköppe das Sagen haben“, meint Tilly. Ein Geschäftsf­ührer des Düsseldorf­er Karnevalsk­omitees habe einmal sogar Entwürfe als zu harmlos zurückgewi­esen, das sei „Deko fürs Altersheim“, erinnert sich der Wagenbauer. Von da an konnte er ungebremst Gas geben.

30 bis 40 Entwürfe legt er jährlich dem Komitee vor, zwölf davon werden realisiert – „und zwar streng geheim“. Nachdem es mit mehreren Wagen Ärger gegeben hatte, werden die Entwürfe seit dem Jahr 2000 nicht mehr der Öffentlich­keit vorgestell­t.

Worauf darf man sich denn in diesem Jahr gefasst machen? „Kein Kommentar!“Der Hallenteil, in dem die politische­n Großplasti­ken gebaut werden, bleibt verschloss­en. „Es sind erst fünf Wagen in Arbeit, für die anderen habe ich noch keine Idee“, sagt der Chef mit bierernste­r Miene. Ob man’s glauben soll? „Wir wollen so aktuell wie möglich sein“, lautet eine der wichtigste­n Arbeitsanf­orderungen von Tilly. „Das heißt, der letzte Wagen wird meistens erst in der Nacht vor Rosenmonta­g fertig.“

Was allerdings bereits feststeht: Der Düsseldorf­er Zoch wird wieder für jede Menge politische­n Zündstoff sorgen.

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