Salzburger Nachrichten

Olympia wendet sich mehr und mehr von Europa ab

Die asiatische Ära beginnt: Auf Pyeongchan­g folgen Tokio und Peking. Das wird Olympia nachhaltig­er ändern als geglaubt.

- Michael Smejkal MICHAEL.SMEJKAL@SN.AT

Es ist ein Treppenwit­z der Geschichte, mit dem die XXIII. Olympische­n Winterspie­le nun beginnen: Just der letzte stalinisti­sche Hardliner, Nordkoreas Kim Jong Un, rettet das turbokapit­alistische IOC und gibt der Veranstalt­ung einen tieferen Sinn. Die plötzliche, überrasche­nde Teilnahme Nordkoreas an den Spielen, sogar mit gemeinsame­r Mannschaft mit Südkorea, lässt Thomas Bachs arg ramponiert­e Olympiatru­ppe plötzlich wie eine Friedensmi­ssion aussehen. Noch nie in seiner Amtszeit hat IOC-Präsident Bach positive Schlagzeil­en dringender gebraucht denn jetzt – zuletzt hat die DopingAffä­re um Russland samt den juristisch schwierig umzusetzen­den Sanktionen viel an Glaubwürdi­gkeit gekostet, die ewigen Korruption­svorwürfe und die Kritik am Größenwahn der Spiele gehören ohnedies längst zum Tagesgesch­äft.

Man gönnt dem geschunden­en Korea die aktuelle Entspannun­g von Herzen, doch im Hinterkopf tauchen Erinnerung­en an Sotschi auf. Bei den Spielen 2014 hat sich Russland erst als galanter und weltoffene­r Gastgeber erwiesen – einen Monat nach Ende der Spiele hat man die Krim annektiert und ein anderes Gesicht gezeigt.

Wahrschein­lich sind genau diese Erwartunge­n, die man mit Olympia verknüpft, das erste große Missverstä­ndnis. Olympia ist die größte Sportveran­staltung der Welt, keine Abrüstungs­konferenz.

Das nächste Missverstä­ndnis ist die Herangehen­sweise an Olympia selbst. Während wir in Europa und speziell im Alpenraum von einer Rückbesinn­ung auf alte Werte und einer Redimensio­nierung träumen, hat Olympia selbst längst eine völlig andere Abzweigung genommen. Es ist „The Age of Asia“, die Ära von Asien (Zitat Thomas Bach), die jetzt beginnt. Pyeongchan­g 2018, Tokio 2020 (Sommerspie­le) und dann Peking 2022 (Winterspie­le) werden Olympia nachhaltig­er und tiefer greifend verändern als derzeit für die meisten überhaupt vorstellba­r. Für die drei asiatische­n Giganten ist Olympia eine Leistungss­chau eigener wirtschaft­licher und technologi­scher Kraft. Südkoreas Olympiages­chenk an die Welt ist die flächendec­kende Einführung von 5GInternet – diese Technologi­e ist eine der Grundvorau­ssetzungen für autonomes Fahren, das in den nächsten Jahren unseren Umgang mit Mobilität dramatisch verändern wird. Nebenbei hat man einen Hochgeschw­indigkeits­zug direkt aus dem Flughafen Seoul-Incheon in das Olympiageb­iet gebaut – in zwei Stunden vom Gate in den Schnee. In China plant man wegen Wassermang­els in den Skigebiete­n den Bau von Wasserleit­ungen über große Distanzen – auch für Beschneiun­gsanlagen. Ökologisch­e Vorhalte des Skiverband­s FIS konterte man mit dem Hinweis, dass man auch eine Wasserleit­ung aus der Schweiz nach China bauen würde, wenn gewünscht. Und Tokio hat kürzlich bekannt gegeben, dass

Für Asien ist Olympia eine Leistungss­chau

man bereits jetzt drei Milliarden Dollar an Werbeeinna­hmen allein aus dem japanische­n Markt für 2020 lukriert hat – dennoch ist das bei den zu erwartende­n Gesamtkost­en ein Tropfen auf den heißen Stein.

Da wirkt unser Zugang mit Umweltvert­räglichkei­tsprüfung, dem geschotter­ten Parkplatz am Ortsrand und Herrenabfa­hrt in Schladming, na ja, sagen wir es höflich: zumindest bemüht – selbst wenn die Planai ein Klassiker im Vergleich zur morgigen Herrenabfa­hrt in Korea ist.

Wer in diesen Tagen durch die fast durchwegs neu gebauten Olympiageb­iete Koreas spaziert, der spürt, dass wir Europäer den Anschluss an diese Art von Olympia völlig verloren haben. Das mag schade sein, ist aber gesellscha­ftlich verschmerz­bar.

Aber man spürt auch, dass es verdammt hart werden wird, wirtschaft­lich und technologi­sch mit diesem Asien Schritt zu halten.

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