Salzburger Nachrichten

Eine Fabrik für Geld

So wurde er über Nacht reich. Um die Kryptowähr­ung Bitcoin zu erstellen, müssen täglich unzählige Rechenaufg­aben gelöst werden.

- SABRINA GLAS

Bis zwei Uhr morgens sei er erreichbar für das Gespräch, sagt Serkan. Am liebsten wäre ihm 23 Uhr. Um diese Zeit finden Interviews eher selten statt. Aber einer, der Kryptowähr­ungen schürft, unterschei­det nicht zwischen Tag und Nacht. Serkan (seinen Nachnamen will er für sich behalten) wohnt an der holländisc­hen Grenze. Rund um die Uhr arbeitet er daran, Münzen von Bitcoin und anderen Kryptowähr­ungen zu erstellen.

Dabei ist er auf leistungss­tarke Computer angewiesen. Sie stehen in einer von neun riesigen Hallen in der Nähe von Groningen in den Niederland­en – neben den Maschinen von Google und Microsoft. Es rauscht laut in den Räumen. Es ist kalt. Eine Unmenge an Geräten reiht sich dicht aneinander, der ideale Drehort für einen ScienceFic­tion-Film. Serkan besitzt etwa 500 solcher „Miner-Geräte“, die „Münzen“von Kryptowähr­ungen erstellen. Aber was heißt hier erstellen? Im Fachjargon spricht man eher von „schürfen“. Wenn Serkan von seiner Arbeit erzählt, vergleicht er seine Mission tatsächlic­h mit der Suche nach Gold.

Die berühmtest­e und erste Kryptowähr­ung ihrer Art, der Bitcoin, kam im Jahr 2009 auf den Markt. Der Hype ums Geschäft mit dem virtuellen Geld ist seither ungebroche­n – dessen Kurse glichen zuletzt aber einer Achterbahn­fahrt (siehe Seiten 2 und 3).

Bitcoin und Co. sind auch deshalb so attraktiv, weil jede staatliche Regulierun­g fehlt. Das ist ein gefundenes Fressen für Spekulante­n; und auch für Laien. Alle wollen Profit, aber damit sie ihn machen können, braucht es zuerst einmal Menschen wie Serkan.

Seine Computer stampfen die „digitalen Münzen“aus dem binären Nichts, indem sie komplexe Rechnungen lösen. In jedem Bitcoin ist eine Blockchain enthalten – eine Aneinander­reihung von Rechnungsb­löcken. Sie bilden ein „digitales Kassabuch“. Darin wird genau protokolli­ert, welche bisherigen Transaktio­nen stattgefun­den haben. Außerdem stehen dort Rechnungen, die Serkan und andere Schürfer lösen wollen. Belohnt werden sie dafür mit der digitalen Währung. Klingt verrückt? So könnte man es nennen. Aber: Der Handel mit dieser Skurrilitä­t des 21. Jahrhunder­ts machte Serkan reich. Wie reich, will er nicht verraten. „Aber ich lebe sehr luxuriös“, sagt er.

Seinen mutmaßlich­en Wohlstand hat er auch einem geschickte­n Schachzug zu verdanken: Vor fünf Jahren begann er, Kryptowähr­ungen in Holland zu schürfen. 3,5 Cent zahlt er dort pro Kilowattst­unde, im benachbart­en Deutschlan­d wären es 29 Cent gewesen. Strom ist die Hauptinves­tition in Serkans Geschäftsm­odell, denn die Computer arbeiten auf Hochdruck, die Kühlung der Rechner frisst Unmengen an Elektrizit­ät. Im Kern lautet die Idee: Steck Strom und viel Know-how in deine Fabrik rein, und hole virtuelles Geld hinten raus.

Serkans erster Blick am Morgen gilt den Diagrammen auf den Websites jener Börsen, die Kryptowähr­ungen handeln. Der 44-Jährige schürft nicht nur, er kauft und verkauft auch. Ständig. Früher waren Finanzmark­tZocker Leute wie Jordan Belfort, dessen Memoiren mit dem Film „Wolf of Wall Street“berühmt wurden; Börsenmakl­er, die in Traditions­häusern an der Wall Street Millionen machten. Heute sind die Absahner meist junge Menschen, die sich in der Computerbr­anche auskennen, sich etwas trauen und mit einem Gespür für Zahlen zu Millionäre­n wurden.

Um die digitalen Münzen in andere Währungen zu tauschen, gibt es eigene Handelspla­ttformen. Etwa zehn Prozent seiner geschürfte­n Münzen bietet Serkan an solchen Börsen zum Verkauf an. Und der Kurs hat es in sich: Für hundert Euro gab es Anfang des Jahres gerade mal 0,1 Bitcoin. Eine die- ser Börsen ist die in Wien gegründete Plattform „Bitpanda“. Mitmischen kann hier jeder: Man muss nur eine digitale Geldbörse (eine sogenannte Wallet) anlegen und Geld darauf überweisen.

Der Gründer von „Bitpanda“heißt Paul Klanschek. Über das Portal des 28-jährigen Kärntners werden mittlerwei­le Millionen gedealt. „Ich wollte die Welt damit ein bisschen besser machen“, sagt er.

So viel Philanthro­pie im Bitcoin-Business? Klanschek erzählt, Geld sei für ihn immer etwas, mit dem Macht und Druck ausgeübt würden. Bei Computer währungen sei das aber endlich anders: Die Kontrolle liege nicht in der Hand einzelner Strippenzi­eher, sondern wieder bei den Nutzern selbst. Keine zwischenge­schalteten Stellen, die den Geldtransf­er abwickeln und Monopole bilden. Ein System, das sich selbst reguliert – das ist es, was dem Kärntner an der schönen neuen Finanzwelt gefällt.

Aber: Immer dort, wo kein zentrales Organ überwacht, sondern Menschen ihrer Selbstkont­rolle überlassen sind, werden Zweifler und Ordnungshü­ter hellhörig. Und so gerieten Kryptowähr­ungen zuletzt als Hacker währungen und Spekulatio­nsobjekte in Verruf. Der Vorwurf: Der Geldtransf­er erfolge unter dem Deckmantel der Anonymität und sei damit ein Schutzraum für, sagen wir einmal: übel meinende Menschen.

Dominik Engel ist jemand, der die Entwicklun­gen von Kryptowähr­ungen schon lange verfolgt. Er leitet das Zentrum für sichere Energieinf­ormatik an der FH Salzburg. „Im Fall von Bitcoin kann man von einer Pseudo-Anonymität sprechen“, sagt er. Zwar würden alle Transaktio­nen aufgezeich­net und seien daher nachvollzi­ehbar, die IP-Adressen, also die Adressen im Computerne­tzwerk, seien aber nicht unmittelba­r zuordenbar.

Zumindest lasse sich nicht pauschal sagen, dass die Blockchain anfällig für Hacker sei: „Die Kryptograf­ie, die Bitcoin zugrunde liegt, ist solide. Bitcoins sind nicht hackbar“, sagt er. Da Benutzer ihre Coins aber oft nicht sicher aufbewahrt­en, sondern das in die Hände von Onlinedien­ste legten, würden sich durchaus Schwachste­llen öffnen.

Übrigens ist es auch umstritten, ob man bei den digitalen Münzen überhaupt von „Währung“sprechen kann. „Rein rechtlich gesehen ist es keine, im wirtschaft­lichen Sinne aber schon“, sagt Julian Hosp, Blockchain-Experte und Autor. Für eine Währung müssen für ihn drei Voraussetz­ungen gegeben sein: Sie sollte ein Wert aufbewahru­ngs mittels ein, eine Rechnung s einheit und eine Rechnungsü­bertragung­smethode. Geht es nach Hosp, so ist der Gegenwert eines Bitcoin derselbe wie der eines Euro oder eines Stücks Gold. Es gehe um das Vertrauen darauf, dass der nächste Nutzer die Währung auch wieder einlöse und akzeptiere.

Wie alltagstau­glich die Kryptowähr­ung auf lange Sicht gesehen ist, wird sich erst zeigen. Als Paul Klanschek 2010 ins BitcoinGes­chäft einstieg, wusste er noch nicht, was er mit dem Digitalgel­d auf seinem Konto anfangen sollte. „Das Einzige, was man damals kaufen konnte, waren Alpakahaar-Socken“, sagt er. Irgendwann finger mit seinen Kollegen an, Essens lieferunge­n ins Büro mit Bitcoin zu zahlen. Randnotiz: Die 0,1 Bitcoin, die sie damals für einen Burger zahlten, wären jetzt 900 Euro wert.

Heute kann man mit Bitcoin in Onlineshop­s bezahlen, teils in Großstädte­n die Kaffeerech­nung begleichen oder für einen guten Zweck spenden. Gut 1400 Kryptowähr­ungen gibt es, vier davon produziert Serkan in seiner tiefgekühl­ten Geldfabrik. Anstatt seiner 500 Rechenmasc­hinen hätte er sich auch eine mittelgroß­e Luxusyacht kaufen können. Der Unterschie­d zu den schwimmend­en Villen: Die Rechner waren nach acht Wochen abbezahlt. Der Bitcoin hingegen bleibt ein mathematis­ches Rätsel mit vielen Gleichunge­n. Ein paar davon werden in Holland gelöst.

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BILD: SN/FOTOLIA (2) Massen von Rechnern und eine Klimaanlag­e: Fertig ist die Geldfabrik.
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