Warum sich Politiker zu PR-Klonen machen lassen
Wir leben im Zeitalter der „Shitstorms“. Das produziert Amtsträger in Stromlinienform.
Im Gedenkjahr 2018 wird auch an die Säulenheiligen der Republiksgeschichte erinnert werden: an Leopold Figl, an Julius Raab und an Bruno Kreisky. Was unterscheidet diese Größen eigentlich von der heutigen Politikergeneration? Vieles. Aber ein Unterschied ist besonders markant und aufschlussreich: Über heutige Politiker gibt es kaum Anekdoten.
Die launigen Geschichten über Figl und Raab füllen ganze Bücher. Die brummigen Aussprüche Kreiskys – etwa jener vom Herrn Redakteur, der Geschichte lernen soll – sind fest im kollektiven Gedächtnis des Landes verankert. Aber heute? Nichts.
Vor lauter Angst, etwas Falsches zu sagen, sind die Politiker verstummt. Schon ein unbedachtes Wort genügt heute, um wochenlange Debatten und Rücktrittsforderungen auszulösen. Um „Shitstorms“zu vermeiden (selten hat man ein hässlicheres Wort gehört), geben Politiker nur noch Worthülsen von sich – Phrasen, die zuvor von Beratern am Reißbrett entworfen und hundertfach auf ihre Unbedenklichkeit abgeklopft worden sind.
Bruno Kreisky hatte noch Vergnügen daran, sich den Fragen der Journalisten zu stellen und spontan zu antworten. Deswegen erfand er das Pressefoyer nach dem Ministerrat. Viele seiner legendären Bonmots entstanden bei dieser Gelegenheit. Sein später Nachfahre Christian Kern hat das Pressefoyer in seiner ursprünglichen Form abgeschafft, und dabei ist es auch unter der jetzigen Regierung geblieben. Ein spontanes Frage-Antwort-Spiel mit Journalisten? Das ist für die Politiker viel zu riskant geworden. Nur vorgefertigte Botschaften bergen keine Gefahren in sich.
Man kann das professionelle Öffentlichkeitsarbeit nennen. Man kann darin aber auch eine Verarmung der politischen Debatte und der Politik insgesamt sehen. Diese Entwicklung ist nicht nur in Österreich zu beobachten. Wenn man sich die europäischen Regierungschefs ansieht, hat man mitunter das Gefühl, Klone vor sich zu haben. Mit wenigen Ausnahmen zeigen alle das gleiche smarte Auftreten, alle sagen die gleichen Sätze, ja, sie sehen sogar gleich aus. Nicht zufällig wurde jüngst in einer Politikerbiografie festgestellt, der Betreffende gleiche einer leeren Projektionsfläche, auf die jeder projizieren könne, was er wolle.
Unverwechselbare Typen mit Ecken und Kanten, wie es Figl, Raab und Kreisky waren, gibt es nicht mehr. Das hat direkte Rückwirkungen auf die politische Arbeit, und zwar negative: Denn um Großes bewerkstelligen zu können, wie es die drei Genannten getan haben, muss man zuvor Vertrauen in der Bevölkerung aufbauen. Vertrauen können die Bürger aber nur zu Menschen aus Fleisch und Blut fassen, nicht zu leeren PR-Hülsen.