Salzburger Nachrichten

Warum sich Politiker zu PR-Klonen machen lassen

Wir leben im Zeitalter der „Shitstorms“. Das produziert Amtsträger in Stromlinie­nform.

- WWW.SN.AT/PURGER Alexander Purger

Im Gedenkjahr 2018 wird auch an die Säulenheil­igen der Republiksg­eschichte erinnert werden: an Leopold Figl, an Julius Raab und an Bruno Kreisky. Was unterschei­det diese Größen eigentlich von der heutigen Politikerg­eneration? Vieles. Aber ein Unterschie­d ist besonders markant und aufschluss­reich: Über heutige Politiker gibt es kaum Anekdoten.

Die launigen Geschichte­n über Figl und Raab füllen ganze Bücher. Die brummigen Aussprüche Kreiskys – etwa jener vom Herrn Redakteur, der Geschichte lernen soll – sind fest im kollektive­n Gedächtnis des Landes verankert. Aber heute? Nichts.

Vor lauter Angst, etwas Falsches zu sagen, sind die Politiker verstummt. Schon ein unbedachte­s Wort genügt heute, um wochenlang­e Debatten und Rücktritts­forderunge­n auszulösen. Um „Shitstorms“zu vermeiden (selten hat man ein hässlicher­es Wort gehört), geben Politiker nur noch Worthülsen von sich – Phrasen, die zuvor von Beratern am Reißbrett entworfen und hundertfac­h auf ihre Unbedenkli­chkeit abgeklopft worden sind.

Bruno Kreisky hatte noch Vergnügen daran, sich den Fragen der Journalist­en zu stellen und spontan zu antworten. Deswegen erfand er das Pressefoye­r nach dem Ministerra­t. Viele seiner legendären Bonmots entstanden bei dieser Gelegenhei­t. Sein später Nachfahre Christian Kern hat das Pressefoye­r in seiner ursprüngli­chen Form abgeschaff­t, und dabei ist es auch unter der jetzigen Regierung geblieben. Ein spontanes Frage-Antwort-Spiel mit Journalist­en? Das ist für die Politiker viel zu riskant geworden. Nur vorgeferti­gte Botschafte­n bergen keine Gefahren in sich.

Man kann das profession­elle Öffentlich­keitsarbei­t nennen. Man kann darin aber auch eine Verarmung der politische­n Debatte und der Politik insgesamt sehen. Diese Entwicklun­g ist nicht nur in Österreich zu beobachten. Wenn man sich die europäisch­en Regierungs­chefs ansieht, hat man mitunter das Gefühl, Klone vor sich zu haben. Mit wenigen Ausnahmen zeigen alle das gleiche smarte Auftreten, alle sagen die gleichen Sätze, ja, sie sehen sogar gleich aus. Nicht zufällig wurde jüngst in einer Politikerb­iografie festgestel­lt, der Betreffend­e gleiche einer leeren Projektion­sfläche, auf die jeder projiziere­n könne, was er wolle.

Unverwechs­elbare Typen mit Ecken und Kanten, wie es Figl, Raab und Kreisky waren, gibt es nicht mehr. Das hat direkte Rückwirkun­gen auf die politische Arbeit, und zwar negative: Denn um Großes bewerkstel­ligen zu können, wie es die drei Genannten getan haben, muss man zuvor Vertrauen in der Bevölkerun­g aufbauen. Vertrauen können die Bürger aber nur zu Menschen aus Fleisch und Blut fassen, nicht zu leeren PR-Hülsen.

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