Fürs Ende der Gemütlichkeit braucht’s Kraft
Calexico sprengen stets Grenzen. Dafür wählen sie neuerdings härtere Mittel. Anders geht es nicht in Zeiten neuer Abschottung.
Joey Burns und John Convertino nehmen ihren Job ernst. Deshalb mussten sie dieses Mal aufdrehen. Und das tun sie gleich am Anfang. „End Of The World With You“eröffnet das neue Album ihrer Band Calexico. Gesungen wird voller Sehnsucht. Der Sound aber kratzt, zieht Furchen, schlägt überraschend unbarmherzig zu. Eisig unfreundliche Gitarren bieten dem Gesang Paroli. Dieser Sound sprengt Grenzen. Dafür treten Calexico immer schon an. Und in Zeiten, da neue Grenzen – und dazu an manchen Stellen gleich auch Mauern – gebaut werden, fühlen Burns und Convertino, dass man aufdrehen muss.
Calexico weiten – zunächst fest auf ganz traditioneller Basis stehend – den Spielraum der Rockmusik aus. Berühmt wurden sie am Ende der 1990er-Jahre, weil sie folkigen, countryesken Sound und beeindruckendes Songwriting mit der Folklore Mexikos anreicherten. Dafür standen sie einst auch mit Mariachi-Bläsern auf der Bühne.
Sie nahmen damals das Nahliegende, denn daheim ist die Band in Tucson, Arizona, wohin von jeher die Musik über die Grenze zu Mexiko im Süden schwappt und wo sie sich mit Rock und Country verbündet. Und ebendiese Grenze soll, wenn es nach Präsident Donald Trump geht, dicht gemacht werden.
Burns erinnert sich, dass der Drang, ein neues Album zu machen, durch den Wahlerfolg Trumps beschleunigt wurde. Diese Wahl verstärkt die Polarisierung der Kräfte. Und ebendiese Polarisierung ist das Gegenteil dessen, wofür die international besetzte Band steht. Es geht in ihrer Musik stets um Gemeinschaft, um Kooperationen, die keine Schranken kennen. Es geht aber nicht um ein Mischmasch, sondern um die Betonung der Eigenständigkeit aller Zutaten. Das beherrscht kaum eine Band besser als Calexico.
Tucson ist für die Band die Homebase. Daheim sind Calexico längst in aller Welt, weil ihre cinemaskopische Musik stilprägend war. Calexico nehmen Einflüsse zwischen klassischem Rock und lateinamerikanischem Feuer, zwischen Jazz und Blues und Folk auf. Weil solche Offenheit als Grundhaltung bei ihnen daheim in den USA von höchster Stelle nicht mehr als selbstverständlich angesehen wird, mussten sie aufdrehen.
Zuletzt hatten sie sich mit den Werken „Algiers“(2012) und „Edge Of The Sun“(2015) eher in Sanftheit und Sehnsüchtigkeit aufgehalten. Damit ist es dieses Mal vorbei. Burns und Convertino nehmen ihren Job ernst, was bedeutet: Sie müssen und wollen mit ihrer Musik auf die Welt reagieren.
Deshalb klingt das neue Album „The Thread That Keeps Us“nach Protest, nach Widerstand, nach Kritik. Es tauchen härtere und lautere Gitarren auf als je zuvor. Der Grundton ist kämpferisch.
Zu banal aber wäre es, diese Haltung ganz wörtlich in Songs zu übersetzen. „Ein Songtext ohne Poesie ist nicht viel wert“, sagt Burns im Interview. Also dachte er sich beim Schreiben einen Trick aus. Es schwebte ihm ein Paar vor – beide aus unterschiedlichen Kulturkreisen, aber konfrontiert mit den gleichen, drängenden Fragen nach neuen Grenzen, zu Umweltproblemen und Gründen für politisches Engagement.
Und so lassen Calexico diese beiden auf die Probleme der Welt treffen. Das geht nicht ohne Verzerrung, ohne, dass die Lautstärkeregler hochgedreht werden. So entstehen heftige, zerfetzte Klänge, Verzerrung, Misstöne – alles in für Calexico durchaus ungewohnter Intensität. Trotzdem geht es in diesen Songs auch ganz klassisch um die Liebe, aber es geht eben um die Liebe in schweren Zeiten, die nicht von der Innenwelt verursacht sind, sondern Bedrängnis von außen bringen. „Love in the age of the extremes“wird zur zentralen Textzeile eines beeindruckend dichten Albums.
„Kritik ist wichtig. Aber ein Songtext ohne Poesie ist nicht viel wert.“Joey Burns, Musiker