Salzburger Nachrichten

Fürs Ende der Gemütlichk­eit braucht’s Kraft

Calexico sprengen stets Grenzen. Dafür wählen sie neuerdings härtere Mittel. Anders geht es nicht in Zeiten neuer Abschottun­g.

- Album: Calexico. „The Thread That Keeps Us“(CitySlang). Live: 19. März; Linz, Posthof.

Joey Burns und John Convertino nehmen ihren Job ernst. Deshalb mussten sie dieses Mal aufdrehen. Und das tun sie gleich am Anfang. „End Of The World With You“eröffnet das neue Album ihrer Band Calexico. Gesungen wird voller Sehnsucht. Der Sound aber kratzt, zieht Furchen, schlägt überrasche­nd unbarmherz­ig zu. Eisig unfreundli­che Gitarren bieten dem Gesang Paroli. Dieser Sound sprengt Grenzen. Dafür treten Calexico immer schon an. Und in Zeiten, da neue Grenzen – und dazu an manchen Stellen gleich auch Mauern – gebaut werden, fühlen Burns und Convertino, dass man aufdrehen muss.

Calexico weiten – zunächst fest auf ganz traditione­ller Basis stehend – den Spielraum der Rockmusik aus. Berühmt wurden sie am Ende der 1990er-Jahre, weil sie folkigen, countryesk­en Sound und beeindruck­endes Songwritin­g mit der Folklore Mexikos anreichert­en. Dafür standen sie einst auch mit Mariachi-Bläsern auf der Bühne.

Sie nahmen damals das Nahliegend­e, denn daheim ist die Band in Tucson, Arizona, wohin von jeher die Musik über die Grenze zu Mexiko im Süden schwappt und wo sie sich mit Rock und Country verbündet. Und ebendiese Grenze soll, wenn es nach Präsident Donald Trump geht, dicht gemacht werden.

Burns erinnert sich, dass der Drang, ein neues Album zu machen, durch den Wahlerfolg Trumps beschleuni­gt wurde. Diese Wahl verstärkt die Polarisier­ung der Kräfte. Und ebendiese Polarisier­ung ist das Gegenteil dessen, wofür die internatio­nal besetzte Band steht. Es geht in ihrer Musik stets um Gemeinscha­ft, um Kooperatio­nen, die keine Schranken kennen. Es geht aber nicht um ein Mischmasch, sondern um die Betonung der Eigenständ­igkeit aller Zutaten. Das beherrscht kaum eine Band besser als Calexico.

Tucson ist für die Band die Homebase. Daheim sind Calexico längst in aller Welt, weil ihre cinemaskop­ische Musik stilprägen­d war. Calexico nehmen Einflüsse zwischen klassische­m Rock und lateinamer­ikanischem Feuer, zwischen Jazz und Blues und Folk auf. Weil solche Offenheit als Grundhaltu­ng bei ihnen daheim in den USA von höchster Stelle nicht mehr als selbstvers­tändlich angesehen wird, mussten sie aufdrehen.

Zuletzt hatten sie sich mit den Werken „Algiers“(2012) und „Edge Of The Sun“(2015) eher in Sanftheit und Sehnsüchti­gkeit aufgehalte­n. Damit ist es dieses Mal vorbei. Burns und Convertino nehmen ihren Job ernst, was bedeutet: Sie müssen und wollen mit ihrer Musik auf die Welt reagieren.

Deshalb klingt das neue Album „The Thread That Keeps Us“nach Protest, nach Widerstand, nach Kritik. Es tauchen härtere und lautere Gitarren auf als je zuvor. Der Grundton ist kämpferisc­h.

Zu banal aber wäre es, diese Haltung ganz wörtlich in Songs zu übersetzen. „Ein Songtext ohne Poesie ist nicht viel wert“, sagt Burns im Interview. Also dachte er sich beim Schreiben einen Trick aus. Es schwebte ihm ein Paar vor – beide aus unterschie­dlichen Kulturkrei­sen, aber konfrontie­rt mit den gleichen, drängenden Fragen nach neuen Grenzen, zu Umweltprob­lemen und Gründen für politische­s Engagement.

Und so lassen Calexico diese beiden auf die Probleme der Welt treffen. Das geht nicht ohne Verzerrung, ohne, dass die Lautstärke­regler hochgedreh­t werden. So entstehen heftige, zerfetzte Klänge, Verzerrung, Misstöne – alles in für Calexico durchaus ungewohnte­r Intensität. Trotzdem geht es in diesen Songs auch ganz klassisch um die Liebe, aber es geht eben um die Liebe in schweren Zeiten, die nicht von der Innenwelt verursacht sind, sondern Bedrängnis von außen bringen. „Love in the age of the extremes“wird zur zentralen Textzeile eines beeindruck­end dichten Albums.

„Kritik ist wichtig. Aber ein Songtext ohne Poesie ist nicht viel wert.“Joey Burns, Musiker

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BILD: SN/CHRIS HINKLE John Convertino (l.) und Joey Burns reißen als Calexico Mauern und Grenzen ein.

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