Salzburger Nachrichten

Es spießt sich am Rindfleisc­h

Die Verhandlun­gen über einen Freihandel­svertrag zwischen der EU und dem südamerika­nischen Staatenbun­d Mercosur sind fast abgeschlos­sen. Doch es gibt noch tierische Unstimmigk­eiten.

-

Eigentlich sollte das Handelsabk­ommen zwischen der EU und den südamerika­nischen Mercosur-Staaten bereits seit einigen Wochen fertig sein. Doch im Endspurt spießt es sich an dem Punkt, der beiden Seiten am wichtigste­n ist: an den zusätzlich­en Mengen Rindfleisc­h, die von den unendlich großen Weidefläch­en Argentinie­ns, Brasiliens, Paraguays und Uruguays kommen können. Am Freitag sind die Teams um die Chefverhan­dler der EU und des Mercosur, Sandra Gallina von der Handelssek­tion der EU-Kommission und den brasiliani­schen Botschafte­r Costa Filho, erneut ohne echten Durchbruch auseinande­rgegangen. Ab 19. Februar, also nach dem Karneval, wird in der paraguayis­chen Hauptstadt Asunción weiterverh­andelt.

„Es gibt noch einiges zu tun“, sagte Kommission­ssprecher Daniel Rosario am Freitag.

Zuletzt soll die EU signalisie­rt haben, das Kontingent für zollfreie Rindfleisc­himporte von zuvor 70.000 auf 99.000 Tonnen anzuheben. „Dieses Angebot ist völlig inakzeptab­el für die heimischen Rinderbaue­rn, die bisher verhandelt­en“, kritisiert­e der heimische Bauernbund. Schon 70.000 Tonnen brächten den heimischen Familienbe­trieben und besonders Almbauern enorme Verluste, weil die riesigen Farmen in der Pampa um die Hälfte billiger produziert­en als Österreich­s Bauern. Großer Widerstand kommt auch aus Irland, das ohnehin negative Auswirkung­en durch den Brexit befürchtet, sowie Frankreich und Belgien. Vorige Woche demonstrie­rten zwei Dutzend Bauernvert­reter mit ihren riesigen Traktoren in Brüssel.

Der europäisch­e Dachverban­d der Landwirte und Genossensc­haftsbetri­ebe Copa-Cogeca warnt vor einem „Überangebo­t auf unserem Markt“. Das würde Wachstum und Arbeitsplä­tze in den ländlichen Gebieten gefährden, betonte der Vorsitzend­e der Arbeitsgru­ppe „Rindfleisc­h“von Copa und Cogeca, Jean-Pierre Fleury. Über 75 Prozent der aktuellen Rindfleisc­himporte in die EU von insgesamt 246.000 Tonnen stammten bereits aus diesen Ländern.

Tatsächlic­h sind die Produktion­sbedingung­en kaum vergleichb­ar: Agrarbetri­ebe in der EU haben im Schnitt 16 Hektar, wobei das Spektrum von 133 Hektar in Tschechien bis zu weniger als einem Hektar in Rumänien reicht. Die südamerika­nischen Fazendas und Haziendas hingegen bewirtscha­ften mehrere Hundert Hektar. Der heimische Bauernbund moniert auch gravierend­e Mängel etwa bei Hygiene, Pflanzen- und Tierschutz sowie Naturund Umweltschu­tz. EU und Mercosur-Staaten verhandeln seit Ende der 1990er-Jahre über einen Abbau von Zöllen und anderen Handelshem­mnissen. Die EU hofft bei Autos und Autoteilen sowie Milchprodu­kten auf einen besseren Marktzugan­g in Südamerika. Zugleich soll der Schutz von Herkunftsb­ezeichnung­en und Qualitätss­tandards gestärkt werden. Die Exporte aus der EU in die MercosurSt­aaten beliefen sich 2016 auf 42 Mrd. Euro an Gütern und 22 Mrd. Euro an Dienstleis­tungen. 85 Prozent der EU-Ausfuhren in die vier südamerika­nischen Länder mit insgesamt rund 260 Millionen Einwohnern unterliege­n noch Zöllen. Entspreche­nd groß wäre der Effekt, argumentie­ren die Befürworte­r des Abkommens. Außerdem würden wichtige Märkte besetzt, bevor es andere wie etwa China tun.

Kritiker wie Martin Häusling, Grünen-Abgeordnet­er im EU-Parlament, weisen vor allem auf die geringeren Umweltstan­dards und insbesonde­re auf die Gefahr weiterer Abholzung von Wäldern zur Gewinnung von Weidefläch­en hin. Gegen den Willen der Bevölkerun­g würden europäisch­e Märkte „für Gentech-Soja und andere mit Pestiziden hochbelast­ete Rohstoffe, 600.000 Tonnen Agro-Treibstoff­e aus zweifelhaf­ten Quellen sowie Tonnagen von Hormon- und Gammelflei­sch geöffnet“, wendet er ein. Häusling spielt auf den Skandal um Gammelflei­sch aus Brasilien an, der im Vorjahr zu einem vorübergeh­enden EU-Importstop­p führte. Bei knapp 20 (von mehr als 4000) Produzente­n war vergammelt­e und veraltete Ware entdeckt worden.

Angesichts des protektion­istischen Kurses von US-Präsident Donald Trump treibt die EU ihre Verhandlun­gen über Freihandel­sabkommen mit anderen Ländern und Regionen verstärkt voran. Im Dezember hat die EU einen Deal mit Japan verkündet. Mit Mexiko laufen Gespräche über die Modernisie­rung eines bestehende­n Abkommens, auch mit Australien und Neuseeland wurde die Aufnahme von Verhandlun­gen angekündig­t.

 ?? BILD: SN/SUNSINGER - STOCK.ADOBE.COM ?? Argentinie­n und Rindfleisc­h gehören zusammen wie Wien und der Tafelspitz.
BILD: SN/SUNSINGER - STOCK.ADOBE.COM Argentinie­n und Rindfleisc­h gehören zusammen wie Wien und der Tafelspitz.

Newspapers in German

Newspapers from Austria