Droht der nächste blaue Absturz?
Zwei Mal hat es die FPÖ in einer Regierungsbeteiligung bereits zerrissen. Auch diesmal tappt die FPÖ von einem Rückzieher zum nächsten.
WIEN. Montagabend, Wien. Der FPÖ-Bundesvorstand tritt zusammen. Er gibt den Startschuss für die Aufarbeitung der Vergangenheit der Freiheitlichen. Eine Steuerungskommission soll eingesetzt werden, die Historiker mit der Aufarbeitung der FPÖ-Geschichte – inklusive dunkler Schatten – beauftragen soll.
Es handelt sich nicht um den einzigen Sprung über den eigenen Schatten, zu dem die FPÖ als frischgebackene Regierungspartei ansetzen muss. Im Gegenteil: Denn neben den Schatten der Vergangenheit macht auch die allerjüngste Regierungsvergangenheit den Freiheitlichen zu schaffen. Und dabei treffen nicht nur die Folgen des Skandals um die „Liederbetätigung“in einer FPÖ-nahen Wiener Neustädter Burschenschaft die FPÖ hart. Burschenschafter bilden das Kaderpersonal der blauen Regierungstruppe und sind vor allem in den Kabinetten dutzendweise vertreten. Schwierig also, wenn der blaue Innenminister Herbert Kickl das Auflösungsverfahren gegen eine Verbindung einleiten muss.
Schwierig auch für FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, als er auf dem Burschenschafterball Antisemitismus in den eigenen Reihen verurteilte. Damit löste er unter seinen Facebook-Fans einen Shitstorm aus. „Ich wünsche der FPÖ bei ihrem Kniefall vor der Lüge alles Gu- te“, war eines der zitableren Postings. Ähnliche Aufregung unter Strache-Verehrern hatte auch die blaue Zustimmung zum ZwölfStunden-Arbeitstag ausgelöst. Diesmal hieß es auf Facebook „Kniefall vor der ÖVP“und „ganz sicher nie mehr die FPÖ“.
Die Mutation zur Regierungspartei bringt es mit sich, dass die FPÖ der Reihe nach alte inhaltliche Positionen räumen muss. Beispielsweise FPÖ-Sozialministerin Beate Hartinger-Klein. Sie wehrte sich nur kurz gemäß der FPÖ-Parteilinie gegen den geplanten Zugriff auf das Vermögen von Arbeitslosen. Bald darauf wurde sie unter dem Druck des Kanzlers und mit dem Segen des eigenen Parteichefs in dieser heiklen Frage entmachtet.
Auch seine seit Jahren vertretene proserbische Linie brachte Strache in den letzten Tagen in Probleme – und zu einem veritablen Umfaller. Nach der in einer Belgrader Tageszeitung wiedergegebenen Interview-Aussage, dass der Kosovo „zweifelsohne ein Teil Serbiens“sei, musste die FPÖ umgehend zurückrudern und dementieren. Denn diese FPÖ-Haltung ist unvereinbar mit der österreichischen Regierungspolitik. Doch der Schaden war bereits angerichtet. Der prominente CSUEuropapolitiker Bernd Posselt forderte prompt Straches Rücktritt.
Auch bei der „ersten und wichtigsten Forderung“der FPÖ in den Regierungsverhandlungen, dem Ausbau der direkten Demokratie nach Schweizer Vorbild, hatten die Freiheitlichen kräftig zurückrudern müssen. Sie gaben sich mit einer extrem verwässerten Variante zufrieden. 900.000 Volksbegehrens-unterschriften sind nun als Voraussetzung für eine Volksabstimmung geplant – so viele gab es bei 39 Volksbegehren nur zwei Mal. Die Kammer-Pflichtmitgliedschaft – wie versprochen – abzuschaffen, gelang der FPÖ ebenso wenig wie die Durchsetzung der zentralen Forderung nach einer CETA-Volksbefragung. Auch die Abschaffung der ORF-Gebühren vermochte die FPÖ nicht im Regierungsprogramm unterzubringen. Was sie nicht hindert, nun erneut mit Vehemenz den Kampf gegen die „Zwangsgebühren“zu starten.
Die FPÖ ist somit nach der anfänglichen Euphorie bereits relativ rasch in den Mühen der Ebene einer Regierungsbeteiligung angekommen. Im Hinterkopf haben viele in der Partei wohl das mahnende Bild, dass die Opferung inhaltlicher Positionen am Altar der Regierungsbeteiligung bereits zwei Mal zur Parteirevolution samt dem Abgang der Führungsmannschaft geführt hat.
„Ein zweites Knittelfeld ist denkbar.“Friedhelm Frischenschlager
In den 80ern, als Jörg Haider Norbert Steger auf dem Innsbrucker Parteitag ablöste; und im September 2002 beim Parteiputsch in Knittelfeld, wo der Stern Heinz-Christian Straches aufzugehen begann.
Friedhelm Frischenschlager, liberaler FPÖ-Minister während der blauen Regierungsbeteiligung in den 80er-Jahren und späterer Mitbegründer des Liberalen Forums, hält ein zweites Knittelfeld für „durchaus denkbar“. „Jetzt ist noch die Wohlfühlphase, aber ich kann mir vorstellen, dass die Enttäuschungen sehr groß sein werden.“Regierungsbeteiligung bedeute eben auch, „unangenehme Dinge zu tun“. Für Frischenschlager ist ab- sehbar, dass die FPÖ Opfer ihrer eigenen Strategie werde. „Wenn ich über viele Jahre diese Art von Stimmenmaximierung betreibe und nur die Emotionen abhole, die mir nützen, dann habe ich in der Regierung natürlich Riesenprobleme.“Hinzu komme die Unglaubwürdigkeit und auch Gefährlichkeit in der Europapolitik. Es sei heute fast vergessen, dass die Freiheitlichen für den Öxit geworben hätten.
Und es habe auch Folgen, dass die FPÖ so massiv in die Arbeiterebene eingedrungen sei. „Wenn die Erwartungen, die da erweckt wurden, nicht erfüllt werden, dann haben sie ein ernsthaftes Problem.“
So wie einst im Jahr 2002.