Salzburger Nachrichten

Die manipulati­ve Macht meckernder Minderheit­en

Auch die Interessen kleiner Gruppen lassen sich durchsetze­n. Man muss nur laut und lang genug schimpfen.

- VIKTOR.HERMANN@SN.AT

Die Europäisch­e Union beschäftig­t sich wieder einmal mit einem Thema, das genau genommen Angelegenh­eit der Mitgliedss­taaten ist, aber doch alle in der Gemeinscha­ft betrifft: die Sommerzeit. Man prüft, ob die zweimalige Umstellung der Uhren jedes Jahr, einmal um eine Stunde vor, einmal zurück, noch zeitgemäß sei oder nicht. Ob man Sommerzeit beibehalte­n oder abschaffen soll.

Umfragen zeigen, dass dies ein echtes Minderheit­enthema ist. Nur knapp 20 Prozent der Österreich­erinnen und Österreich­er lehnen die Zeitumstel­lung ab. Da aber die Gegner der Sommerzeit seit vielen Jahren beharrlich jammern und meckern, gesundheit­liche Folgen beklagen, Tiere in der Landwirtsc­haft als Leidtragen­de anführen, kommt das Thema immer wieder auf die Tagesordnu­ng. Keiner redet davon, dass dieselben Leute nichts dabei finden, für ein paar Tage nach London zu fliegen (eine Stunde Zeitunters­chied) oder für eine Woche nach New York (sechs Stunden) oder in den Urlaub nach Thailand (sechs Stunden in die andere Richtung). Aber zwei Mal im Jahr 60 Minuten, das ist zu viel.

Die Minderheit der Sommerzeit-Gegner beklagt, man zwinge Millionen Menschen einen unnatürlic­hen Zeitsprung auf, das sei undemokrat­isch und autoritäre Unterdrück­ung. Dass sie selbst als Minderheit der Mehrheit ihrerseits ihren Willen aufzwingen wollen, kratzt sie dabei nicht. Man setzt eine Leidensmie­ne auf, erklärt sich zum Opfer, und schon steigt die Chance, die eigenen Partikular­interessen auch gegen die Mehrheit durchzuset­zen.

Besonders raffiniert geht die Freiheitli­che Partei seit Jahrzehnte­n damit um. Sie hat einen normalen demokratis­chen Vorgang, die Bildung von Regierunge­n ohne FPÖ-Beteiligun­g, zur „Ausgrenzun­g“umdefinier­t. Und sie hat damit ordentlich Stimmung gemacht in der Bevölkerun­g. Obwohl die FPÖ-Wählerscha­ft eine Minderheit ist, so wie die Wählerscha­ft der anderen Parteien auch, treten Strache und Co. auf, als sprächen sie für alle.

So hat die Minderheit der rauchenden FPÖPolitik­er durchgeset­zt, dass ein von Ärzten, Gesundheit­spolitiker­n und einem Großteil der Menschen befürworte­tes generelles Rauchverbo­t in Restaurant­s nun doch verhindert wird. Und Infrastruk­turministe­r Norbert Hofer hat mit 26 Prozent FPÖ-Stimmenant­eil den Aufsichtsr­at der ÖBB kräftig auf Blau umgefärbt – in einer Art, die die FPÖ früher heftig kritisiert hat. Ein Faschingss­cherz ist dabei die Begründung des Ministers: Das neue Team solle den „sehr erfolgreic­hen Weg der ÖBB“fortsetzen. Wenn der Weg so erfolgreic­h war, warum muss man dann den Aufsichtsr­at umfärben? Man sieht, wir können uns schon jetzt „wundern, was alles möglich ist“.

 ?? Viktor Hermann ??
Viktor Hermann

Newspapers in German

Newspapers from Austria