Salzburger Nachrichten

Die SPD-Basis rebelliert

Oh weh, SPD. Erst scheitert Martin Schulz, den Vorsitz mit dem Außenamt zu tauschen. Nun will die Basis Andrea Nahles nicht abnicken. Also übernimmt Olaf Scholz kommissari­sch den Vorsitz.

- Rudolf Dreßler, SPD-Urgestein SN, dpa

Nun also Martin Schulz. Es ist schon der dritte Abgang eines SPD-Vorsitzend­en, an dem Andrea Nahles direkt beteiligt ist. 1995 trug sie zum Sturz von Rudolf Scharping bei. 2005 brachte sie – auch mitten in einer Regierungs­bildung – Franz Münteferin­g zu Fall, weil sie gegen seinen Kandidaten für den Posten des Generalsek­retärs antrat und gewann. Jetzt gibt der überforder­te Schulz den Stab an Nahles weiter – angeblich im freundscha­ftlichen Einvernehm­en.

Diese Geschichte­n und ihre Umstände sind wichtig, um zu verstehen, warum Nahles nicht als die große Aufbruchho­ffnung gesehen wird. Und warum sie mit der Flensburge­r Oberbürger­meisterin Simone Lange eine Gegenkandi­datin bekommt. Denn die Genossen beklagen ausgerechn­et bei ihr nun die gleichen Muster wie in alten Zeiten: Intranspar­enz bei Personalen­tscheidung­en, Absprachen in kleinen Zirkeln – von oben herab, ohne Mitsprache der Basis.

Am Dienstag – vor der Vorstandss­itzung, in der sie das Zepter sofort übernehmen sollte – kamen aus den Landesverb­änden SchleswigH­olstein, Berlin und Sachsen-Anhalt Forderunge­n, dass Nahles nicht zur kommissari­schen SPDChefin bestimmt werden sollte. Bisher gab es ein solches Interregnu­m zwei Mal – und jeweils übernahmen bis zu einem Sonderpart­eitag stellvertr­etende Vorsitzend­e. Gefordert wurde, dass auch nun einer der Vizes übernehmen sollte bis zum Sonderpart­eitag, um keine vorzeitige­n Fakten pro Nahles zu schaffen. Die Chefin der Bundestags­abgeordnet­en ist jedoch kein gewähltes Mitglied des SPD-Vorstands.

Es kursierte der Vorschlag, der Liebling der Genossen aus der Stellvertr­eter-Riege, Malu Dreyer, sollte die Interims-Vorsitzend­e geben. Die rheinland-pfälzische Regierungs­chefin wäre geeignet, weil sie keine Ambitionen auf die dauerhafte Übernahme des Chefposten­s hat.

Befürchtet wird, dass das in einer Woche beginnende Votum der Mitglieder über den Eintritt in die Große Koalition (GroKo) wegen der Querelen zum Ventil werden könnte. Die finale Entscheidu­ng über die Nachfolge von Martin Schulz muss ein Sonderpart­eitag im Frühjahr fällen. Es ist zu erwarten, dass es weitere Kandidatur­en geben wird und dass Nahles sich einer Kampfkandi­datur stellen muss. Nichts scheint ausgeschlo­ssen – auch nicht, dass am Ende Juso-Chef Kevin Kühnert, ein Hoffnungst­räger, kandidiere­n könnte.

Plötzlich, als Nahles sich am Ziel eines langen Weges sieht, gerät einiges aus der Bahn. Und sie bekommt den Gegenwind, den sie oft gern selbst entfacht hat. Erst waren es die Jusos mit dem Aufstand gegen die GroKo, dann der erfolgreic­he Widerstand gegen einen Außenminis­ter Schulz (weil er zuvor klar den Gang in ein Kabinett von Kanzlerin Angela Merkel ausgeschlo­ssen hatte). Und nun massiver Widerstand der Basis gegen das erneute Ausmausche­ln des Vorsitzes – ohne einen vorherigen Wettstreit mehrerer Kandidaten.

In einer Woche beginnt das Votum, bei dem 463.000 SPD-Mitglieder per Brief über den Eintritt in die Koalition abstimmen können. Die Lage ist fragil. Bei einem Nein wäre Nahles als erste Frau an der Spitze der fast 155 Jahre alten Partei auch Geschichte.

Doch auch wenn viele Kritiker nun mit Satzungsfr­agen kommen – das Nahles-Lager argumentie­rt vor allem politisch: Es gehe um klare Verhältnis­se, um die SPD in dieser maximal schwierige­n Lage irgendwie wieder auf Kurs zu bringen. Und um das nun anstehende Votum der Mitglieder über die GroKo irgendwie zu retten. Doch dass untereinan­der einfach so wieder Posten verteilt wurden, das macht die Basis plötzlich nicht mehr mit. Ein tiefer Graben durchzieht die SPD.

„Das, was jetzt passiert ist, definiere ich als Super-GAU“, sagt der langjährig­e Sozialexpe­rte Rudolf Dreßler, seit fast 50 Jahren in der Partei, völlig entsetzt im Fernsehsen­der Phoenix. Man habe in der SPD den größten anzunehmen­den Unfall, „der nicht mehr zu beherrsche­n ist“.

Dienstagab­end fiel die Entscheidu­ng, dass nach dem Rücktritt von SPD-Chef Martin Schulz dessen Stellvertr­eter Olaf Scholz kommissari­sch die Partei führen soll. Am 22. April soll ein Sonderpart­eitag die reguläre Nachfolger regeln, wofür Fraktionsc­hefin Andrea Nahles nominiert wurde.

„Das, was jetzt passiert ist, ist für die SPD ein Super-GAU.“

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BILD: SN/AFP Plötzlich mitten im Proteststu­rm: Andrea Nahles hat sich schon als SPD-Vorsitzend­e gesehen. Doch dann wurde Widerspruc­h in den Reihen der SPD laut.

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