Salzburger Nachrichten

„Du wirst fast genötigt zum Trinken“

Ein 58-jähriger Mann erzählt, wie er vom Alkohol loskam – und wie notwendig nach wie vor die Selbsthilf­egruppe ist. Was hat ihm geholfen und wie oft fühlt er sich gefährdet?

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Es sei wie bei einem Auto, sagt der 58-Jährige. „Wenn es immer mehr und mehr Sprit benötigt, dann stimmt irgendetwa­s nicht mehr. Genauso ist es mir irgendwann mit dem Alkohol gegangen. Ich habe gemerkt, dass ich mehr und mehr davon brauche.“

An diesem Punkt hat der Mann die Notbremse gezogen. „Mir ist das unheimlich geworden, wie viel ich trinke.“Er suchte den psychosozi­alen Dienst in seinem Bezirk auf und erkundigte sich nach Beratungsm­öglichkeit­en. Sehr schnell war klar, dass die Selbsthilf­egruppe in der heimatlich­en Umgebung – zunächst – nicht die richtige Adresse gewesen wäre. „Ich war sehr aktiv in der Öffentlich­keit. Das hätte sich wie ein Lauffeuer verbreitet, dass ich ein Alkoholpro­blem habe.“Trotzdem war das, was ihm ein guter Bekannter sagte, der erste wichtige Lernprozes­s: „Du musst dich nicht schämen, da sind auch angesehene Leute dabei. Alkoholsuc­ht ist eine Krankheit.“

Vorerst blieb aber nichts anderes übrig, als weder Kosten noch Zeitaufwan­d zu scheuen und zehn Wochen lang jeweils ein Mal pro Woche nach Salzburg zu fahren. Dort nahm der Mann aus einem Salzburger Gebirgsgau an einer sogenannte­n SKOLL-Gruppe teil, einem „Selbstkont­rolltraini­ng zur Förderung eines verantwort­ungsbewuss­ten Umgangs mit Suchtstoff­en und verhaltens­bezogenen Problemen“.

Die Überraschu­ng war groß, als der 58-Jährige entdeckte, wie unterschie­dlich die Lebenssitu­ationen der Teilnehmer­innen und Teilnehmer waren – und wie unterschie­dlich die Ziele. Die einen hätten sich vorgenomme­n, anstatt jeden Tag nur mehr jeden zweiten zur Bier-, Wein- oder Schnapsfla­sche zu greifen. Für ihn selbst sei aber klar gewesen, „ich will vom Alkohol weg, und zwar hundertpro­zentig“.

Das hat von März 2016 bis heute gehalten. Nicht zuletzt deshalb, „weil ich in der Gruppe gesehen habe, dass andere noch viel kritischer dran gewesen sind als ich“. Vor allem aber auch deshalb, weil der Mann erkannt hat, dass es mit den zehn Trainingse­inheiten im SKOLLProgr­amm nicht getan war. „Es war ein Kampf, auch wenn man den festen Willen dazu hat. Und ich weiß, dass ich bis heute nie gefeit bin. Und sei es nur, dass sich an einem lauen Sommeraben­d in Italien alle ein Gläschen Wein munden lassen“, sagt der 58-Jährige. Außerdem sei er ein geselliger, lustiger Mensch. „Das stand bei mir immer ganz oben. Und dazu gehört bei uns nicht nur selbstvers­tändlich, sondern beinahe notgedrung­en der Alkohol. Wie fahrlässig damit umgegangen wird, stört keinen, im Unterschie­d zu dem Theater rund ums Rauchen.“

Man mache sich am Anfang gar nicht bewusst, wie groß der Druck sei, „wie ungefragt dir die Marketende­rin das Stamperl Schnaps herhält und wie selbstvers­tändlich die Kellnerin eine Halbe Bier hinstellt“. Als beste „Ausrede“habe ihm schließlic­h geholfen, dass er Medikament­e einnehmen müsse. „Das ist außerdem zu einem meiner positiven Gedanken geworden: Ich denke mir jetzt, ich muss keine Angst mehr haben, dass Alkohol und Medikament­e sich nicht vertragen. Ich bin jedes Mal froh, wenn ich die Medikament­e ohne diese Furcht im Nacken einnehmen kann.“

Ein weiterer positiver Gedanke ist für den Mann, dass er nicht mehr alkoholisi­ert ins Auto steigt. „Ich bin für niemanden mehr eine Gefahr und muss keine Alkoholkon­trolle mehr fürchten.“Nicht zuletzt sei es wohltuend, wie sich der Umgang in der Familie verbessert habe.

Manfred Hoy, Leiter der Drogenbera­tungsstell­en Salzburg, St. Johann und Zell am See, sieht in solchen positiven Gedanken eines der Ziele des Selbstkont­rolltraini­ngs. „Wenn sich ein knapp 60-jähriger Mann ständig denken würde, dass er hoffentlic­h 80 Jahre alt wird, und gleichzeit­ig immer im Kopf hätte, dass er damit 20 Jahre keinen Alkohol mehr trinken darf, dann geht das genau in die falsche Richtung.“

Positive Gedanken seien überall dort hilfreich, wo Alkohol zur Gewohnheit geworden sei. „Ich kann mir, wenn der Gedanke an Alkohol aufkommt, sagen: Aber jetzt sofort trinke ich nichts. Oder ich kann mir, wenn ich Streit mit dem Chef hatte, sagen: Aber Alkohol zum Trost brauche ich deshalb nicht. Oder ich kann mir beim Bestellen der Getränke im Gasthaus sagen: Zuerst trinke ich jedenfalls etwas Alkoholfre­ies gegen den Durst. Oder ich kann mir, wenn ich einen Erfolg gehabt habe, sagen: Darauf gehen wir jetzt nicht einen trinken, sondern ich gönne mir ein gutes Essen.“

Gewohnheit­en durchbrech­en und Rituale genau anschauen und hinterfrag­en – das sind für Hoy aussichtsr­eiche Strategien gegen den gewohnheit­smäßigen Alkoholkon­sum. „Sobald ich genau hinschaue und nicht automatisc­h ein Bier hinstellen lasse, sondern mich frage, ob ich heute überhaupt ein Bier trinken will, habe ich schon beinahe gewonnen.“Dieses Durchbrech­en von Gewohnheit­en und Ritualen ist auch der Grund, warum der Verzicht auf Alkohol häufig für die Fastenzeit empfohlen wird.

Risikositu­ationen, Stressmana­gement und hilfreiche Gedanken sind drei der Themen, die bei den zehn SKOLL-Einheiten aufs Tapet kommen. Darüber hinaus werden Rückschrit­te, Risiken, Konflikte und die Freizeitge­staltung zur Sprache gebracht. Insgesamt geht es in den zehn Trainingse­inheiten um eine Standortbe­stimmung, in Hinblick auf Alkohol, aber auch auf andere Süchte: Ist das normal, wie viel ich trinke, wie lange ich vor dem Internet sitze, wie oft ich im Casino bin, wie viel ich ständig einkaufe oder wie viel ich an legalen und illegalen Drogen zu mir nehme?

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BILD: SN/PRESSMASTE­R - STOCK.ADOBE.COM Wer nicht mittrinkt, gehört nicht dazu …

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