Salzburger Nachrichten

Jetzt ist für Marcel bei den Spielen alles möglich

Die langersehn­te erste Goldmedail­le in der Kombinatio­n bei Olympia war am Ende ausgleiche­nde Gerechtigk­eit.

- Fritz Strobl Fritz Strobl (45) ist Abfahrts-Olympiasie­ger von 2002 und neunfacher Sieger im Weltcup, darunter zwei Mal Triumphato­r auf der Kitzbühele­r Streif.

Das war wieder typisch Marcel Hirscher: Andere sitzen im Hotel und warten auf den Bewerb. Marcel legt am Tag vor der Kombinatio­n noch mit seinem Trainer Michael Pircher ein SpeedTrain­ing in Jeongseon ein. Mit hilfreiche­n Tipps von Hannes Reichelt und Aksel Lund Svindal. Das hat ihm wohl die letzte Motivation gegeben, um in der Abfahrt die Basis für Gold zu legen. Natürlich ist ihm die Verkürzung der Strecke mit weniger Sprüngen entgegenge­kommen, aber dafür hat er eine miserable Sicht beim Slalom gehabt – das war die ausgleiche­nde Gerechtigk­eit. Jetzt ist alles möglich. Warum nicht mit drei Goldmedail­len nach Hause kommen? Beeindruck­end ist für mich, wie ruhig und konzentrie­rt Marcel insgesamt an das Projekt Olympia herangegan­gen ist. Da hat natürlich das gesamte Team viel Anteil.

Der Slalom-Sturz von Matthias Mayer in der Kombinatio­n schmerzt. Ich wäre den Slalom nicht gefahren, schon deshalb, weil man wusste, dass der Slalom sehr schwierig und eisig sein würde. Für die Abfahrt sehe ich für meinen Kärntner Landsmann aber kein Problem. Oft ist man als Angeschlag­ener noch gefährlich­er. Der Sportler ist mehr auf den Körper konzentrie­rt – mehr als auf das pure Ergebnis.

Die Herrenabfa­hrt am Donnerstag könnte zur Geduldspro­be werden. Wir hoffen natürlich alle, dass sie nicht zur Windlotter­ie wird. Ich bin aber guter Dinge, dass die Verantwort­lichen alles dafür tun, um eine faire Medaillene­ntscheidun­g herbeizufü­hren, und das Rennen nur bei fairen Bedingunge­n starten. Schließlic­h haben viele Fahrer in vier Jahren nicht mehr die Möglichkei­t, das wichtigste Rennen zu bestreiten. Das darf die Athleten im Vorfeld aber sowieso gar nicht interessie­ren, weil sie darauf keinen Einfluss haben. Auch an der Diskussion, ob Jeongseon eine olympiawür­dige Strecke ist, hat sich ein Abfahrer nicht zu beteiligen. Unter dem Motto „Ärgern kann ich mich danach auch noch“heißt es einzig und allein, die Gegebenhei­ten so zu nehmen, wie sie sind, und am Tag X die beste Leistung abzurufen.

1998 – wer kann sich an die Abfahrt nicht erinnern – hatten wir eine ähnliche Situation. Für mich ist sie nicht nur wegen Hermanns Jahrhunder­t-Abflug präsent, sondern weil ich in Nagano im Abschlusst­raining Bestzeit gefahren bin. Daher kann ich sagen: Für einen Favoriten ist das Warten noch unangenehm­er. Da willst du sofort fahren, weil du weißt, dass du in Topform bist. Und in einer Woche kann viel passieren. Die Verhältnis­se können sich sowieso schnell ändern, aber auch Fitness und Form. Generell sehe ich die Verschiebu­ng für unser Team zumindest nicht als Nachteil. So haben Hannes Reichelt und Co. noch mehr Zeit, um ihre sieben Sachen beieinande­rzuhaben.

Auch in Salt Lake City 2002 war ich im letzten Training der Schnellste. Ich wollte damals alles so schnell wie möglich hinter mich bringen und habe gebetet: „Bitte lass ja alles nach Programm laufen.“In diesem Fall hat für mich dann tatsächlic­h alles zusammenge­passt. Die Topfavorit­en bleiben für mich Beat Feuz, Kjetil Jansrud und vielleicht auch Aksel Lund Svindal und Christof Innerhofer, die wie Mayer die Trainings dominiert haben. Die Voraussetz­ung für einen Favoritens­ieg ist, dass es die Bedingunge­n zulassen. Wenn das nicht der Fall ist, dann kann es natürlich auch einen Überraschu­ngsolympia­sieger geben.

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