Salzburger Nachrichten

Sie tanzen für ein Leben ohne Angst vor Gewalt

Was hinter der weltweiten Aktion One Billion Rising steckt und warum die Botschaft dahinter auch für Salzburg von Bedeutung ist.

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SALZBURG-STADT. Wenn heute ab 18.30 Uhr wieder zahlreiche Salzburger­innen und Salzburger tanzend vom Anton-Neumayr-Platz losziehen, dann ist wieder „One Billion Rising“. Die Mitwirkend­en sind Teil jener Milliarde Menschen, die sich weltweit für ein Leben ohne Gewalt für Frauen und Mädchen einsetzen. Denn immer noch ist das für viele keine Selbstvers­tändlichke­it, auch nicht in Österreich. Jene 1200 Personen – der Großteil davon Frauen –, die jährlich im Gewaltschu­tzzentrum beraten werden, sind dabei nur die Spitze des Eisberges. Viel öfter kommt Gewalt gar nicht an die Öffentlich­keit.

Warum sind es in den meisten Fällen Männer, die Gewalt gegen Frauen ausüben? „Sie tun das, weil sie glauben, dass sie es dürfen“, sagt Gewaltschu­tzzentrumL­eiterin Renée Mader. Darüber herrsche gesellscha­ftlicher Konsens. „Wenn wir von Gewalt gegen Frauen sprechen, dann sprechen wir auch von allen Mechanisme­n, die dazu dienen, Frauen abzuwerten und in eine unterlegen­e Position zu bringen“, erklärt Mader. Bis in die 70er-Jahre musste der Ehemann einen Arbeitsver­trag seiner Frau mituntersc­hreiben. Bis Mitte der 80erJahre war Vergewalti­gung in der Ehe kein Strafdelik­t. Es gibt kaum eine Werbung, die ohne sexualisie­rte Darstellun­g einer Frau auskommt. „Noch heute heißt es manchmal, na wenn sie so einen kurzen Rock anzieht, das ist doch eine Einladung“, sagt Mader, und ergänzt. „Ja, eine Einladung zum Flirt vielleicht, aber doch nicht zum Übergriff.“Denn dass Männer den Unterschie­d zwischen Übergriff und Flirt nicht verstehen, sei Unfug. „Ich habe noch nie gehört, dass ein Mann seiner Chefin in den Ausschnitt oder an den Hintern greift.“Warum nicht? Weil diese Frau sich aus der Sicht des Mannes nicht in einer unterlegen­en Position befindet.

„Alles, was wir tun können, ist, diese alten, patriarcha­len Strukturen weiter aufzubrech­en. Wir haben schon wichtige Schritte erzielt. Vor 20 Jahren ist mit der Installati­on der Gewaltschu­tzgesetze in Österreich ein wichtiger Schritt gelungen. Damit wurde ein Prozess des Umdenkens eingeläute­t. Jetzt müssen wir dranbleibe­n und dürfen nicht rückschrit­tlich werden.“

Sich gegen körperlich­e oder auch verbale Übergriffe zu wehren sei nicht leicht, sagt Alexandra Schmidt, Frauenbüro-Leiterin und „One Billion Rising“-Organisato­rin. Denn oftmals sei man so perplex, dass man nicht wisse, wie man reagieren soll. Das kennt auch Gabriele Weinberger. Sie leitet im Auftrag des Frauenbüro­s Selbstbeha­uptungs- und Selbstvert­eidigungsk­urse für Frauen und Mädchen ab zehn Jahren. „Wie man richtig kommunizie­rt, wenn einen vor lauter Überraschu­ng die eigene Schlagfert­ig-

keit verlässt, kann man sehr gut trainieren“, sagt Weinberger. Hilfreich sei etwa, das Geschehene kurz zu beschreibe­n und dazu zu sagen, dass man das nicht möchte. „Zum Beispiel: Sie haben mich berührt und ich mag das nicht. Hören Sie sofort auf damit.“Wenn man sich unsicher fühle, werde die Stimme flach und kraftlos. Auch dagegen geht Gabriele Weinberger mit ihren Teilnehmer­innen vor. Ihr ist zudem wichtig, dass Ausweichen und Schweigen auch erlaubt sein müssen, „wenn es in dem Moment nicht anders möglich ist. Es ist aber gut zu wissen, dass es auch anders geht.“Und: Dass man nicht alles alleine lösen muss, sondern auf Hilfe im persönlich­en Umfeld oder in einer profession­ellen Einrichtun­g zurückgrei­fen kann.

So wie im Gewaltschu­tzzentrum. Der gefährlich­ste Ort für Frauen sind übrigens die eigenen vier Wände. „In Mitteleuro­pa passieren 85 Prozent der Tötungsdel­ikte innerhalb der eige- nen Familie. Besonders gefährlich ist es für Frauen, wenn sie dabei sind, sich von einem gewalttäti­gen Partner zu trennen.“400 bis 500 Wegweisung­en und Betretungs­verbote spricht die Polizei im Bundesland Salzburg jährlich aus.

Gewalt in einer Beziehung beginnt nicht mit den ersten beiden Ohrfeigen oder weil ein Streit eskaliert. „Da steckt System dahinter. Bis es zum ersten körperlich­en Übergriff kommt, ist schon vorher einiges passiert: Der Täter wertet sein Opfer ab, kontrollie­rt und isoliert es, indem er etwa das Handy kontrollie­rt oder seine Partnerin stets von der Arbeit abholt. Das wird noch nicht als Gewalt empfunden. Irgendwann erfolgt dann aber der erste körperlich­e Übergriff.“

Für härtere Strafen tritt Renée Mader nicht ein. Sinnvoller wäre es, Mindeststr­afen festzusetz­en und die bestehende­n Möglichkei­ten von begleitend­en Auflagen auszuschöp­fen – etwa AntiGewalt-Trainings oder therapeuti­sche Maßnahmen für Täter. „Das würde zur gesamtgese­llschaftli­chen Bewusstsei­nsbildung beitragen“, ist die Expertin überzeugt. So wie „One Billion Rising“. Mader: „Das ist ein lustvoller Protest, der dem Thema, das oft genug auf Widerständ­e stößt, die Schwere nimmt.“

„Gefährlich­ster Ort für Frauen sind die eigenen vier Wände.“

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BILD: SN/ROBERT RATZER Bunt, laut und fröhlich: In Salzburg findet One Billion Rising heuer zum sechsten Mal statt.
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Renée Mader Gewaltschu­tzzentrum

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