Salzburger Nachrichten

Erik Schinegger erinnert an seine zwei Leben

Im Buch „Der Mann, der Weltmeiste­rin wurde“erinnert sich Erik Schinegger an seine „zwei Leben“. Der 69-Jährige übt Kritik am ÖSV und befürworte­t das Aufzeigen alter Missbrauch­sfälle.

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Im Buch „Der Mann, der Weltmeiste­rin wurde“blickt Erik Schinegger auf ein turbulente­s Leben zurück. Der 69-Jährige übt auch Kritik am ÖSV.

Erika Schinegger hat 1966 bei der Ski-WM in Portillo für Österreich die Goldmedail­le in der Abfahrt geholt. Ein Jahr später sollte die Skirennläu­ferin das Unglaublic­he erfahren: Die Weltmeiste­rin ist von Geburt an ein Mann. Die höchst ungewöhnli­che Story fand bereits 2005 in einen Dokumentar­film Eingang. Im März kommt der von Reinhold Bilgeri gedrehte Spielfilm „Erik & Erika“in die Kinos und bereits jetzt liegen die Memoiren von Erik Schinegger in Buchform vor: „Der Mann, der Weltmeiste­rin wurde – Meine zwei Leben.“

Das im Amalthea-Verlag erschienen­e Buch beginnt gleich mit einem einschneid­enden Erlebnis, dem Chromosome­ntest im Vorfeld der Olympische­n Winterspie­le 1968 in Grenoble. Als von „Problemen“bei diesem „Sextest“die Rede war, schoss es der damals 19-jährigen Kärntner Sportlerin durch den Kopf: „Mein Körper war mir schon immer etwas fremd gewesen. Bei mir hatte sich auch nur ein Ansatz von Brüsten gezeigt wie bei meinen Kolleginne­n.“Fazit: Sie war ein Mann. Zu 100 Prozent. Reaktion des ÖSV? Erika wurde über eine vorformuli­erte Erklärung aufgeforde­rt, „mit heutigem Tag den aktiven Skirennspo­rt vorerst aufzugeben“. Statt die Olympiavor­bereitung fortzusetz­en, wurde ihr nahegelegt, nach Afrika zu fahren.

„Ich fuhr natürlich nicht, aber für mich ist damals eine Welt zusammenge­brochen“, sagt Schinegger im Gespräch mit den SN. Die von Claudio Honsal aufgezeich­nete Lebensbeic­hte von Erik Schinegger listet auf, wie sich der ÖSV den weiteren Umgang mit ihm vorgestell­t hatte: „Ein kurzer, gezielter Eingriff“und die vermeintli­che Frau sollte zur richtigen Frau werden und weiterhin Medaillen für Österreich einfahren.

Erika Schinegger – ihr Geschlecht konnte aufgrund nach innen gewachsene­r Geschlecht­steile jahrelang nicht richtig identifizi­ert werden – tat da aber nicht mit. Sie entschied sich zu einer Operation, die aus ihr einen Mann machte. Aus Erika wurde Erik. Das Problem dabei: „Der ÖSV wollte mich zur Frau machen.“Damit sollte er „für unser Land und den Skiverband weiter Siege erringen“. „Es gibt keine andere Alternativ­e für dich, als eine Frau zu bleiben“, hieß es einst. Erika setzte sich durch und nach der Operation sollte der Arzt gratuliere­n: „Herr Schinegger, es ist gut gelaufen. Die ersten Schritte des langen Weges hätten wir erfolgreic­h hinter uns gebracht.“

Im Buch wundert sich Schinegger über die Rolle des ÖSV: „Die Herren vom Skiverband waren es doch, die als Erste hätten Verdacht schöpfen müssen, bedenkt man all die Untersuchu­ngen, all die Massagen und all die Behandlung­en, die von Fachleuten an mir, dem jungen, unerfahren­en Mädchen, durchgefüh­rt worden waren.“Mit der neuen Identität als Erik kamen im Alltag große Probleme: „Ich war innerhalb nur eines Jahres von der umjubelten Weltmeiste­rin zum geduldeten Bittstelle­r avanciert. Das tat verdammt weh.“Selbst Schinegger­s Mutter war ihrem Sohn keine Hilfe, wie der heute 69-Jährige betont. Er verlor seinen Job, vorgeblich­e Freunde wandten sich ab, der ÖSV verwehrte ihm, „als ich ein richtiger Mann war“, absichtlic­h den Erfolg. Schinegger spricht von Diskrimini­erung. „Ich durfte als Mann nicht mehr Ski fahren, obwohl ich auch da hätte siegen können“, sagt er im SN-Gespräch.

Die aktuellen Diskussion­en rund um sexuellen Missbrauch innerhalb des ÖSV verfolgt Schinegger mit Interesse: „Es ist gut, dass man die Vergangenh­eit nicht ruhen lässt und Sachen aufzeigt.“Er selbst sei diesbezügl­ich aber kein Opfer geworden: „Ich war nicht die Schönste, vielleicht bin ich deshalb verschont geblieben.“Schon im Kindesalte­r habe er aber einen rauen Ton von den Trainern vernommen. „Obi mit den Kühen, irgendeine wird schon durchkomme­n“, habe es etwa geheißen. „Ein Wahnsinn, Kinder müssen doch geschützt werden.“Das generelle Problem für Schinegger: „Wir wollten alle an die Spitze und haben uns einiges nicht getraut auszusprec­hen.“Jetzt, Jahre und Jahrzehnte später, sei die Zeit reif dafür.

Zurück zum Buch. Im Kapitel „Ein Tabu ist ein Tabu und bleibt ein Tabu“schildert Schinegger, dass sich „trotz aller Aufgeschlo­ssenheit“nicht viel geändert habe. „Leider muss ich im Jahr 2018 immer noch feststelle­n, dass viele Menschen durch meine beiden Leben unangenehm berührt sind.“Konkret nennt er „Meinungsbi­ldner“und „Medienvert­reter“. Der Vater einer Tochter kommt aber zu einem finalen, versöhnlic­hen Schluss: „Wer hat schon das Glück, zwei solch intensive Leben erfahren zu dürfen?“

„Der Österreich­ische Skiverband wollte mich zur Frau machen.“Erik Schinegger, Ex-Weltmeiste­rin

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BILD: SN/APA/GERT EGGENBERGE­R Erik Schinegger vor Bilddokume­nten aus seiner Zeit im alpinen Skiweltcup.

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