Kurden in Afrin rufen um Hilfe gegen die Türkei
Der Einmarsch der Türken in Afrin mischt die Allianzen neu. Die Kurden in Nordsyrien haben sich mit den Truppen von Präsident Assad verbündet. Doch die Türkei warnt die syrische Regierung, der Kurdenmiliz zu Hilfe zu kommen.
Seit einem Monat läuft die türkische Offensive auf die von Kurden kontrollierte Region Afrin im Norden Syriens. Mütter, Frauen und Kinder betrauern wie auf diesem Begräbnis die Toten. Syriens Präsident Baschar al-Assad will nun Truppen in die Region schicken – weniger, um den Kurden zu helfen, als um die Kontrolle von syrischem Territorium durch den syrischen Staat zu sichern. Es könnte eine Allianz auf Zeit werden. Die Türkei hat die syrische Regierung indes vor einer Unterstützung der Kurdenmiliz YPG gewarnt.
Eine Meldung der staatlichen syrischen Nachrichtenagentur SANA sorgt im Nahen Osten für zusätzliche Unruhe. „Volkskräfte“, heißt es in der am Sonntagabend in Damaskus verbreiteten Depesche, würden binnen weniger Stunden in Afrin eintreffen, um den „Widerstand des Volkes gegen den Angriff des türkischen Regimes zu unterstützen“. Zuvor sollen Funktionäre der kurdischen Volksverteidigungsmilizen (YPG) und Vertreter des Assad-Regimes eine Vereinbarung getroffen haben, wonach die syrische Armee in Afrin den vor drei Wochen gestarteten Großangriff der türkischen Armee abwehren soll.
Nur zwölf Stunden später wurden die Absichtserklärungen aus Damaskus und Afrin von Sprechern beider Parteien wieder dementiert. Unbestritten sind dagegen Meldungen, nach denen mit dem Bau von provisorischen Truppenunterkünften in der Stadt Afrin begonnen wurde. Diese könnten von Mitgliedern der Nationalen Verteidigungskräfte (NDF) bezogen werden. Die Assad-treuen Milizen wurden am Montag an den Grenzen zur Region Afrin stationiert, wo sie angeblich auf weitere Befehle warten.
Liest man die SANA-Depesche aufmerksam, dann fällt auf, dass Kurden darin nicht erwähnt werden, wohl aber „das Volk“, bei dem es sich nach Damaszener Lesart in erster Linie um Syrer und dann erst um Kurden handelt. Mit anderen Worten: Ziel einer Intervention des Regimes in Afrin wäre keinesfalls die Verteidigung der von der YPG errichteten Autonomie, sondern die Kontrolle von syrischem Territorium durch den syrischen Staat, mit dem die syrischen Kurden in den letzten Jahren eine Reihe von Stillhalteabkommen schließen konnten.
Dennoch ist das Misstrauen auf beiden Seiten gewaltig. Was die Kurden und das Assad-Regime verbindet, ist Skepsis und Wut auf den türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan, der neben einem Regimewechsel in Damaskus möglichst viele YPG-Milizionäre „neutralisieren“will, wie es in der Amtssprache des türkischen Militärs heißt. Es wäre daher durchaus im Interesse von Damaskus und den syrischen Kurden, eine zeitlich begrenzte Militärallianz zu schmieden. Auch in der „Befreiungsschlacht“um Aleppo kämpften die YPG und die Assad-Armee gemeinsam gegen die von Ankara unterstützten Dschihadisten.
Die Türkei jedenfalls scheint eine solche Allianz in Betracht zu ziehen. Bei einem Besuch in Amman drohte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu unverhohlen mit Angriffen auf die syrische Armee, falls sie in der Region Afrin der kurdischen YPG zu Hilfe kommen würde. „Niemand und nichts“könne dann die türkischen Soldaten stoppen, warnte der Minister. Sollte die Assad-Armee jedoch nach Afrin kommen, um die YPG oder die PKK von dort zu vertreiben, sei dies „kein Problem“, fügte Çavuşoğlu einschränkend hinzu.
Beobachter halten es für möglich, dass über das weitere Vorgehen der Kampfparteien am Ende in Moskau und Washington entschieden wird. Ohne russisches Einverständnis dürfte die Assad-Armee wohl kaum in Afrin einrücken. Der türkische Staatspräsident Erdoğan hat dagegen deutlich gemacht, dass er in Syrien eigene Wege gehen will und Weisungen der Supermächte notfalls auch ignoriert.
Die türkische Afrin-Offensive lenkt indes von einer anderen Front ab. Sie begünstigt die erneute IS-Expansion in Syrien. Bereits vergangene Woche hatte US-Außenminister Rex Tillerson die Türkei aufgerufen, den Kampf gegen den IS fortzusetzen und ihre Angriffe auf die Kurdenmiliz einzustellen. Mehr als zwei Jahre lang hatte die Türkei die Aktivitäten des IS auf ihrem Territorium geduldet, weil diese sich auch gegen die syrischen und türkischen Kurden, also gegen den „Staatsfeind Nummer eins“, richteten. Dschihadisten aus Syrien und anderen islamischen Staaten sind auch an der Operation „Olivenzweig“in Afrin beteiligt.
Trotz amerikanischer Vermittlungsversuche ist eine Änderung der türkischen Grundsatzpositionen nicht zu erwarten. Es sei „skandalös und inakzeptabel“, dass die USA im Kampf gegen den IS weiterhin auf ein Bündnis mit der Kurdenmiliz YPG setzten, kritisierte der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu am Sonntag auf der Münchner Sicherheitskonferenz. Die USA begingen einen „großen Fehler, wenn sie auf eine Terrororganisation setzen, um eine andere Terrororganisation zu bekämpfen“.
Dass es den USA ohne die kampfkräftigen syrischen Kurdenmilizen niemals gelungen wäre, das vom IS errichtete „Kalifat“in Syrien und dem Irak zu zerstören, will die türkische Führung nicht erkennen.