Salzburger Nachrichten

Hilfsorgan­isation durch Sexskandal­e in Not

Behandlung­sfehler in Spitälern und bei Ärzten werden aus den unterschie­dlichsten Gründen bekannt – oder nicht. Warum das für Patientena­nwälte oft eine Gratwander­ung ist.

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Mitarbeite­r der NGO Oxfam sollen bei Hilfseinsä­tzen in Haiti und im Tschad junge Frauen sexuell ausgebeute­t haben. Täglich werden neue Vorwürfe bekannt. Unterstütz­er rücken von der Organisati­on ab.

WIEN. In der Rudolfstif­tung, einem der prominente­sten Krankenhäu­ser der Stadt Wien, ist Frauen, die unmittelba­r vor der Geburt standen, eine zehnfach überdosier­te Lösung eines Schmerzmit­tels verabreich­t worden. Versehentl­ich, wegen eines Schreibfeh­lers, und über Monate hinweg. 64 werdende Mütter waren davon betroffen. Der Krankenans­taltenverb­und (KAV) informiert­e umgehend die Patientena­nwaltschaf­t, es wurde eine unabhängig­e Kommission eingesetzt. Die untersucht­e die betroffene­n Mütter und Säuglinge und kam zu dem Schluss, dass keine Spätfolgen zu erwarten seien. Ende gut, alles gut? Mitnichten.

„Solch gravierend­e Fehler dürfen eigentlich nicht passieren. Die Sache ist schon besorgnise­rregend“, sagt die Wiener Patientena­nwältin Sigrid Pilz. Dennoch ist sie nicht auf der Suche nach einem Schuldigen. „Ein Bashing der Rudolfstif­tung bringt nichts. Die Betroffene­n sollen sich ja trauen, ihren Fehler zuzugeben.“Auch KAV-intern wird kein Köpferolle­n veranstalt­et. „Um sicherzust­ellen, dass so etwas möglichst nicht mehr passiert, wird die Berechnung der Rezeptur ab sofort doppelt durchgefüh­rt. Und am Ende wird eine dritte Kontrollpe­rson beide Rechnungen überprüfen“, erklärte Sprecher Johann Baumgartne­r. Grundsätzl­ich gelte: „Wenn ein Fehler passiert, dann soll er so rasch wie möglich gemeldet werden.“

Ebendiese „Fehlerkult­ur“habe sich mit den Jahren gebessert, begrüßt Pilz, die seit 2012 im Amt ist. „Es wird weniger unter den Teppich gekehrt.“Über Arbeitsman­gel können sie und ihre Kollegen nicht klagen. Allein 2016 wurden 10.920 Anliegen an die Patientena­nwaltschaf­t herangetra­gen, 3414 Beratungen durchgefüh­rt und in 355 Fällen knapp 2,8 Millionen Euro an Entschädig­ungen erkämpft. Zahlen zu den medizinisc­hen Missgeschi­cken gibt es keine, nur exemplaris­che Beispiele: Tuch in Wunde vergessen, Oberarmbru­ch nicht erkannt, Dauerschäd­en nach Magenbypas­s, Spritze falsch verabreich­t, Brustkrebs nicht erkannt, Spinalnade­l in Lendenwirb­elsäule verblieben, Darmversch­luss nicht erkannt, Verwechslu­ng bei Abstrichen, Blinddarme­ntzündung nicht erkannt.

Wie viele Fehler ungemeldet blieben, darüber kann Pilz nur mutmaßen. Denn trotz mittlerwei­le großem Bekannthei­tsgrad der Patientena­nwaltschaf­t gibt es immer wieder Opfer, die sich nicht melden. „Etwa Menschen mit Demenz. Wie sollen die sich beschweren? Oder jemand, der aus Scham nicht über den Vorfall sprechen möchte. Es gibt auch Opfer, die sagen: Ich bin froh, dass ich dem Tod entronnen bin, lasst mich einfach nur in Ruhe“, erzählt Pilz. Scham, Angst oder Unwissenhe­it wird gerne ausgenützt. Besonders dramatisch war dies im Fall einer Wiener Ärztin, der 2014 nach langen Verfahren die Approbatio­n entzogen wurde. „In dieser Praxis haben unglaublic­he Zustände geherrscht.“Die betreffend­e Medizineri­n habe über mehrere Jahrzehnte „unter abenteuerl­ichen Bedingunge­n“Abtreibung­en durchgefüh­rt. Die Opfer waren meist Prostituie­rte und sozial benachteil­igte Frauen. „Weil es halt billig war“, erinnert sich die Patientena­nwältin. Erst als sich plötzlich immer mehr Frauen mit Gebärmutte­rperforati­onen meldeten, ging man der Sache auf den Grund. „Die konnte gar nicht ordentlich anästhesie­ren, das war unfassbar.“

Erfolge vorweisen zu können, selbst wenn die eigenen finanziell­en Mittel begrenzt sind, führt die Vorsitzend­e der Salzburger Patientenv­ertretung, Mercedes Zsifkovics, auf gutes Einvernehm­en mit der gegnerisch­en Seite zurück. Das sind die Krankenhäu­ser und Versicheru­ngen. „Wir haben nie Probleme, Unterlagen oder Stellungna­hmen zu bekommen. Wir haben Vertrauen aufgebaut. Ich mache das jetzt seit 22 Jahren, mich haben sie sogar schon in den Operations­saal verbunden“, sagt Zsifkovics. Deshalb will sie auch ganz bewusst auf keinen gravierend­en Fall in den vergangene­n Jahren den Scheinwerf­er richten. Mit dieser Philosophi­e schaffte es die Salzburger Patientenv­ertretung, dass 2016 insgesamt 97 Patienten mit mehr als 1,3 Millionen Euro entschädig­t werden konnten.

„Weniger unter den Teppich gekehrt.“ Sigrid Pilz, Patientena­nwältin

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BILD: SN/AP Ist es die richtige Spritze für den Patienten?
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