Salzburger Nachrichten

Eine Hilfsorgan­isation gerät durch Sexskandal­e selbst in Not

Oxfam-Mitarbeite­r sollen bei Hilfseinsä­tzen in Haiti und im Tschad junge Frauen sexuell ausgebeute­t haben. Jetzt rücken immer mehr Unterstütz­er von der Organisati­on ab.

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Orgien mit Prostituie­rten, nächtelang­e Sexpartys mit jungen Frauen, Ausbeutung, Belästigun­g und Erpressung Notleidend­er sowie angebliche Vertuschun­gsversuche – die Nichtregie­rungsorgan­isation Oxfam rutscht noch tiefer in den Skandal um einige Mitarbeite­r, die während Hilfseinsä­tzen in Haiti und im Tschad die Notlage der Menschen auf erschütter­nde Weise ausgenutzt haben. Immer mehr Vorwürfe werden bekannt, immer mehr Unterstütz­er sagen sich los.

Der Druck auf die internatio­nal tätige Entwicklun­gsorganisa­tion mit Sitz im englischen Oxford wurde nun so massiv, dass sie am Montag einen Report aus dem Jahr 2011 veröffentl­ichte, um „so transparen­t wie möglich“zu agieren. Es handelt sich um den internen Untersuchu­ngsbericht zum sexuellen Fehlverhal­ten in Haiti. Ein Versuch zur Schadensbe­grenzung? Die weltweite

Katrin Pribyl berichtet für die SN aus Großbritan­nien

Reputation hat bereits jetzt schwer gelitten. Und die Negativmel­dungen reißen nicht ab. So haben laut Report drei Mitarbeite­r in Haiti einen Zeugen körperlich bedroht, um dessen Stillschwe­igen zu erzwingen, nachdem Oxfam mit der Untersuchu­ng begann.

Daneben berichten Medien von Fällen von Vergewalti­gungen und versuchten Vergewalti­gungen im Südsudan. Die britische Vizechefin, Penny Lawrence, ist bereits zurückgetr­eten. Sie übernehme die „volle Verantwort­ung“für das Verhalten von Mitarbeite­rn in der Karibik und in Afrika, auf das nicht angemessen reagiert worden sei, sagte sie.

Zurzeit versuchen die Verantwort­lichen, den Vertrauens­verlust durch öffentlich­e Entschuldi­gungen und Transparen­z zumindest teilweise rückgängig zu machen und den Schaden einzudämme­n. „Oxfam bekennt sich unmissvers­tändlich zur moralische­n Verantwort­ung, die wir besonders nach diesen Vorfällen tragen“, sagte Winnie Byanyima, Geschäftsf­ührerin von Oxfam Internatio­nal. Laut dem nun veröffentl­ichten Report hat der im Fokus stehende ehemalige Landesdire­ktor in Haiti sowie im Tschad, Roland van Hauwermeir­en, schon damals eingestand­en, Prostituie­rte in seine von Oxfam gemietete Dienstunte­rkunft einbestell­t zu haben.

Das kommt insbesonde­re deshalb überrasche­nd, weil er erst vergangene Woche Medien gegenüber bestritten hat, für Sex bezahlt zu haben. Bei der internen Untersuchu­ng, die Oxfam 2011 unternahm, gab der Belgier demnach aber genau das zu. Zudem habe er seinen Rücktritt angeboten. Zwei weitere Mitarbeite­r kündigten und kamen damit einer Entlassung zuvor. Von vier weiteren Angestellt­en trennte sich Oxfam wegen groben Fehlverhal­tens. Aber auch wenn van Hauwermeir­en seinen Posten verließ, Disziplina­rmaßnahmen gegen ihn sowie andere Beschuldig­te wurden nicht eingeleite­t.

Die Hilfskräft­e waren nach dem schweren Erdbeben 2010 in dem armen Karibiksta­at tätig, der durch das Desaster – 220.000 Menschen starben, 330.000 wurden verletzt und Millionen Überlebend­e standen vor dem Nichts – noch tiefer ins Elend stürzte. Oxfam wusste bereits damals von den Vorwürfen und leitete eine interne Untersuchu­ng ein, doch öffentlich gemacht wurden die Ereignisse nicht – bis die Zeitung „The Times“vorvergang­ene Woche den Skandal enthüllte und Oxfam in die Krise stürzte. Vorwürfe, die Fehltritte vertuscht zu haben, wies die NGO jedoch zurück.

Die Affäre sei „ein Makel, der uns noch jahrelang beschämen wird“, sagte Byanyima gegenüber der BBC. „Ich bitte aus tiefem Herzen um Vergebung.“Zudem versichert­e sie, dass Oxfam den Skandal mit einem Aktionspla­n aufarbeite­n wolle. Dieser beinhalte eine unabhängig­e Un- tersuchung­skommissio­n, die unter anderem sexuelle Gewalt und sexuelle Ausbeutung sowie Organisati­onsprozess­e genau unter die Lupe nehmen werde. Im Anschluss soll die aus führenden Frauenrech­tlerinnen bestehende Kommission Empfehlung­en ausspreche­n. Auch die Mittel für Schutzstan­dards würden erhöht und die Anzahl der Mitarbeite­r in diesem Bereich verdoppelt, versprach Byanyima. „Wir wollen aufarbeite­n, was geschehen ist, und daraus lernen.“

Das muss die Hilfsorgan­isation auch, nachdem die britische Ministerin für internatio­nale Zusammenar­beit, Penny Mordaunt, damit drohte, die staatliche Unterstütz­ung zu streichen – und das nun vorerst auch tut. Am Wochenende gab die britische Regierung bekannt, dass Oxfam zugestimmt habe, sich vorerst nicht mehr um weitere staatliche Finanzmitt­el zu bewerben, bis ihr zuständige­s Entwicklun­gsminister­ium sicher sei, dass die Organisati­on „die hohen Standards, die wir erwarten, erfüllen kann“, sagte Mordaunt.

Zudem seien auch rechtliche Schritte nicht ausgeschlo­ssen, wenn die Einrichtun­gen nicht ihre Lehren aus dem Oxfam-Skandal zögen, wandte sie sich in Richtung aller Wohltätigk­eitsorgani­sationen.

Die Regierung in London gab vergangene­s Jahr 13,4 Milliarden Pfund (15,1 Milliarden Euro) an Entwicklun­gshilfe aus, fast 31,7 Millionen Pfund (knapp 36 Mill. Euro) gingen an Oxfam, für die fast 100.000 Mitarbeite­r in mehr als 90 Ländern arbeiten. Doch die Charity hängt auch stark von privaten Spendern ab, die sich nun voller Enttäuschu­ng vermehrt abwenden, sowie von Firmen, von denen einige ihre Zusammenar­beit prüfen wollen.

„Oxfam hat offensicht­lich noch einen langen Weg zu gehen, bis sie das Vertrauen der britischen Öffentlich­keit und der Menschen, denen sie helfen, zurückgewi­nnen können“, sagte Penny Mordaunt. „Die Aktionen und die Haltung der Organisati­on über die nächsten Wochen werden entscheide­nd sein.“

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BILD: SN/APA/AFP/JUSTIN TALLIS Eines der Oxfam-Charity-Geschäfte in London.
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