In Pflanzen liegt Geschichte
Jahrzehntelang hütete die Österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit botanische Reste aus der Bronzezeit. Diese werden jetzt den Archäologen etwas zu erzählen haben.
In der Genbank der AGES, der Österreichischen Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit, lagerten seit 1980 zahlreiche archäologische Proben aus Griechenland, die nun dem Österreichischen Archäologischen Institut (ÖAI) an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften übergeben wurden. Die Proben stammen aus Ausgrabungen der spätbronzezeitlichen mykenischen Siedlung Aigeira und umfassen konservierte Reste von Linsenwicken, Ackerbohnen und Gerste.
Archäologie besteht schon sehr lange nicht mehr nur aus jenen Spezialisten, die sorgsam mit Schaufel, Pinselchen und Pinzetten auf Ausgrabungen hantieren. Archäologie ist Teamarbeit mit Fachleuten unterschiedlicher Disziplinen. Dazu gehören etwa Bauforschung, Statik, Kunstgeschichte, Biochemie, Epigraphik, Konservierung und Restaurierung, Genetik, Geodäsie, Geografie, Geologie, Geophysik, Metallurgie, Mikrobiologie, Numismatik, Palynologie, Petrographie, Seismologie, Soziologie und Zoologie.
Die Archäobotanik ist Teil der Umweltarchäologie und untersucht die Wechselbeziehungen zwischen Mensch und Pflanze anhand von pflanzlichen Überresten aus archäologischen Grabungen, wie Andreas G. Heiss vom Österreichischen Archäologischen Institut berichtet: „Wir helfen mit naturwissenschaftlichen Methoden archäologische Fragen zu beantworten, die die Pflanzenwelt betreffen. Pflanzenreste können Auskunft geben über die Landwirtschaft einer bestimmten Zeit, über die Ernährung, über Vorratshaltung und Zubereitung.“Solche Fragen sind also: Welche Kulturpflanzen wurden angebaut, wo wurde gedroschen, gemahlen, gebacken und gekocht, wie wurden die Böden bearbeitet, welche Rückschlüsse auf Böden und Klima lassen sich aus dem Spektrum der Kulturpflanzen und der Ackerbegleitflora ziehen? Dazu können Pflanzenreste etwas über das Sozialleben, über Vorlieben und Luxusgüter in einer Siedlung oder Region aussagen.
Pflanzenreste unterschiedlichster Natur sind auch aus Aigeira überliefert, wo vom 16. bis zum 11. Jahrhundert vor Christus eine spätbronzezeitliche mykenische Siedlung bestand. Bei Ausgrabungen in den 1970er-Jahren wurden Vorratsgefäße mit Linsenwicken, Ackerbohnen und Gerste entdeckt. Sie waren während eines Großbrands in der Bronzezeit verkohlt. „Das ist ein Glücksfall für die Archäologie, denn so wurden sie konserviert. Ohne dass besondere Bodenbedingungen herrschen müssten – wie sie bei Permafrost, in versalzten Böden oder in Mooren zu finden sind –, halten sich verkohlte Reste auch jahrtausendelang. Beim Verkohlungsvorgang bleiben die mikroskopischen Strukturen der pflanzlichen Zutaten erhalten und können zu ihrer Identifikation genutzt werden“, sagt Archäobotaniker Andreas G. Heiss. Diese Reste, andere biologische Funde und Tausende Erdproben, die der derzeitige ÖAI-Grabungsleiter Walter Gauß aus den Schichten der Stadt Aigeira entnehmen ließ, sollen nun untersucht werden. Für Andreas G. Heiss besonders spannend ist, dass „die Stadt, die erhöht in Küstennähe auf einem etwa 414 Meter über dem Meeresspiegel liegenden Plateau von 750 Quadratmetern Grundfläche lag, Fragen aufwirft, wie die Bewohner an Weizen, Öl und Wein kamen und wo sie ihre Tiere grasen ließen“.
Das antike Aigeira liegt an der Nordküste der Peloponnes am korinthischen Golf im Osten der Landschaft Achaia. Als älteste Zeugnisse menschlicher Besiedlung wurden in Felsspalten Keramikfragmente gefunden, die in das Ende der Steinzeit, in die Frühbronzezeit und die Mittelbronzezeit zu datieren sind. Die günstige Lage verschaffte der Stadt in der Antike großen Wohlstand. Sie verfiel nach dem Untergang des Römischen Reichs, wohl in der Folge eines schweren Erdbebens im 4. Jahrhundert nach Christus.
Die AGES betreibt am Standort in Linz Österreichs größte Genbank für pflanzengenetische Ressourcen: Dort lagern rund 5000 Muster von landwirtschaftlich genutzten Pflanzenarten, die als Samen auch bei Temperaturen von minus 20 Grad Celsius langfristig gesichert werden. Seit 1968 wird hier die genetische Vielfalt heimischer Nahrungspflanzen sowie von Heil- und Gewürzkräutern vor dem Verlust bewahrt, um sie für Züchtung, Forschung und künftige Nutzungen bereit zu halten, wie der Leiter der AGES-Genbank, Paul Freudenthaler, erklärt: „Wir wissen um unsere pflanzlichen Schätze, denn das Erbgut alter Pflanzen ist gerade im Hinblick auf den Klimawandel die Grundlage für unsere Ernährung.“
„Verkohlte Pflanzenreste sind ein Glücksfall für die Archäologie.“ Andreas G. Heiss, Archäobotaniker