Salzburger Nachrichten

Kriegsverb­rechen sind die Norm geworden

Am Rand von Damaskus wiederholt sich ein Drama, das die Welt aus Aleppo kennt. Wohngebiet­e werden sturmreif gebombt.

- Martin Stricker MARTIN.STRICKER@SN.AT

Russlands Präsident Wladimir Putin hat seinen Einfluss sehr deutlich gemacht. Am Montag ordnete er eine Waffenruhe für Ost-Ghouta an, den Siedlungss­treifen aus rund 20 Dörfern und Kleinstädt­en am Rand von Damaskus. Täglich von 9 bis 14 Uhr wird nun nicht mehr gestorben. Sondern, wenn es nach dem Kreml geht, geflüchtet.

Je nach Schätzunge­n sind bis zu 350.000 Menschen in Ost-Ghouta eingeschlo­ssen. Unter ihnen befinden sich vorwiegend islamistis­che Rebellen, die eine ihrer letzten Hochburgen verteidige­n. Seit Monaten fliegen die syrische und die russische Luftwaffe Angriffe, um die Region sturmreif zu bomben. Rücksicht auf Zivilisten wird nicht genommen. Im Gegenteil, Aktivisten und Betroffene berichten immer wieder von systematis­chen Attacken auf Schulen und medizinisc­he Einrichtun­gen. Das Trommelfeu­er ist Stück um Stück intensiver geworden.

Das Vorgehen erinnert an die unsägliche Belagerung und Rückerober­ung von Aleppo im Jahr 2016. Auch damals wurden gnadenlos Wohngebiet­e und zivile Infrastruk­tur bombardier­t und zerstört. Auch damals wurde die internatio­nale Kritik umso lauter und schriller, je tatenloser die Welt zusah oder zusehen musste. Auch damals öffnete Russland schließlic­h so genannte humanitäre Korridore, durch die die ausgehunge­rte und zermürbte Zivilbevöl­kerung flüchten konnte – in die Arme des verhassten AssadRegim­es, das Zehntausen­de in die noch von Aufständis­chen kontrollie­rte Provinz Idlib deportiert­e, wo sie erneut unter die Räder kamen. Ende 2017 starteten das Regime und seine russischen Verbündete­n auch dort eine Offensive.

Nun hat niemand etwas dagegen einzuwende­n, wenn radikale Dschihadis­ten bekämpft werden, die das Land, das einst Syrien war, für sich beanspruch­en. Die Kritik richtet sich nicht gegen das Ziel, sondern gegen eine Methode, die alle mühsam gefundenen Regeln für eine Kriegsführ­ung, die möglichst wenig zivile Opfer fordert, außer Acht lässt.

Im Gegenteil: Das Verbreiten von Leid, Terror und Tod unter nicht Kämpfenden, unter Unbeteilig­ten, um militärisc­he Fortschrit­te zu erreichen, ist wieder im normalen Repertoire aufgetauch­t.

Ein derartiges Vorgehen nennt man gemeinhin Kriegsverb­rechen. Das Argument, verantwort­lich für diese Schande seien nicht die Angreifer und ihre Kampfflugz­euge, Helikopter und Kanonen, sondern die Rebellen, die sich in Ost-Ghouta verschanze­n, ist an Zynismus kaum zu überbieten.

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