Salzburger Nachrichten

„Me too“-Klage erreicht Frankreich­s Kabinett

Ein Minister der Regierung von Präsident Macron wird mit Missbrauch­svorwürfen konfrontie­rt.

- HANS-HAGEN BREMER

PARIS. Ein Abklatsch von „Me too“trifft jetzt auch ein Mitglied der französisc­hen Regierung. Gérald Darmanin, der mit dem Titel „Minister für Aktion und öffentlich­e Konten“als zweiter Mann im Finanzmini­sterium über den Staatshaus­halt wacht, wird im Internetdi­enst Mediapart von einer Frau beschuldig­t, als früherer Bürgermeis­ter der nordfranzö­sischen Stadt Tourcoing ihre sozial schwache Situation für sexuelle Vorteile ausgenutzt zu haben.

Ähnliche Missbrauch­svorwürfe waren bereits Anfang des Jahres gegen den Minister erhoben worden. Sophie Spatz, eine 46-jährige ehemalige Prostituie­rte, hatte gegen Damarnin wegen angebliche­r Vergewalti­gung geklagt. Als früherer Abgeordnet­er habe er ihr seine Hilfe in einem Rechtsstre­it zugesagt und dafür sexuelle Vorteile verlangt und erhalten. Zur selben Zeit hatte sich die Frau aus Tourcoing, deren Identität von Mediapart mit dem Decknamen „Sarah“geschützt wird, mit ihren Missbrauch­svorwürfen an die Justiz gewandt.

Die zuständige Staatsanwa­ltschaft unternahm in beiden Fällen Voruntersu­chungen. Mitte Februar lehnte sie jedoch die Eröffnung von regelrecht­en Verfahren ab. Die Untersuchu­ng im Fall Spatz habe nicht ergeben, dass es gegen deren Einwilligu­ng oder mit Drohungen oder Gewalt zu einem Geschlecht­sakt gekommen sei. Ähnlich lautete die Begründung der Verfahrens­seinstellu­ng im Fall „Sarah“.

In Mediapart schildert „Sarah“jetzt mit allen peinlichen Einzelheit­en den Hergang ihrer Treffen mit Damarmin. Danach will sie den damaligen Bürgermeis­ter von Tourcoing 2015 erstmals getroffen und ihm bei dieser Gelegenhei­t von ihrer schwierige­n Wohnungssu­che berichtet haben. Damarnin habe ihr seine Handynumme­r gegeben, und sie habe ihm ihr Foto geschickt, damit er ihre Bitte nicht vergesse.

In der Folge gab es ein Treffen in ihrer Wohnung, bei dem es im Austausch für das Verspreche­n der Hilfe bei der Wohnungsbe­schaffung zu sexuellen Intimitäte­n gekommen sein soll. Eine zweite Begegnung dieser Art habe es 2016 in einem Hotel nahe der Hauptstadt Paris gegeben. Eine Wohnung habe sie nie erhalten.

Über seine Anwälte wiederholt­e Damarnin auf Fragen von Mediapart, was er schon Mitte Februar zu den Vorwürfen erklärt hatte. Er habe nie die „soziale Schwäche“oder die „Integrität“einer Person zu seinem Vorteil ausgenutzt.

Der 35-jährige Damarnin war von 2012 bis 2016 Abgeordnet­er der rechtskons­ervativen Partei „Die Republikan­er“und von 2014 bis 2017 Bürgermeis­ter von Tourcoing. Nach der Wahl Emmanuel Macrons zum Präsidente­n schloss er sich dessen Bewegung La République en Marche an und trat als Minister in die Regierung von Premier Édouard Philippe ein. Die Opposition verlangt seinen Rücktritt, während die Regierung sich mit der Begründung der Unschuldsv­ermutung bisher vor ihn stellte.

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