Indischer Juwelier soll Bank im großen Stil betrogen haben
Es ist der größte Bankbetrug in Indiens Geschichte. Es geht um umgerechnet 1,6 Milliarden Euro. Der Hauptverdächtige ist untergetaucht.
Auf der „Forbes“-Liste der reichsten Inder ist der Diamantenhändler Nirav Modi nur ein kleines Licht. Mit einem Vermögen von rund 1,8 Milliarden US-Dollar schafft es das 47-jährige Mitglied einer Diamantenhändlerdynastie aus dem indischen Mumbai gerade einmal auf Platz 85 der Liste. Er zählt Hollywood-Größen, darunter zum Beispiel Kate Winslet, zu seinen Kundinnen. Doch seit einigen Tagen liegt Nirav Modi dank seiner wahren Berufung unangefochten auf Platz eins in seiner Heimat: Er steht im Verdacht, der wohl größte Bankbetrüger Indiens zu sein.
Der in der Diamantenhochburg Antwerpen geborene Vater von drei Kindern verschwand im Jänner samt Familie spurlos. Nach ersten Ermittlungen geht es um umgerechnet 1,6 Milliarden Euro von nicht autorisierten Überweisungen der staatlichen Punjab National Bank (PNB). Die Polizei beschlagnahmte einen Rolls-Royce und eine Luxuswohnung an Mumbais bester Adresse und stellte zudem Edelsteine im Wert von umgerechnet rund 640 Millionen Euro sicher. Ein Dutzend Verdächtige wurden festgenommen. Der wichtigste Komplize soll Mehul Choksi gewesen sein. Er ist Nirav Modis Onkel. Laut legalen Dokumenten besitzt er 22 Firmen, die größtenteils auf die Namen nichts ahnender Slumbe- wohner eingetragen sind. Sowohl Modi als auch Choksi wiesen die Anschuldigungen zurück. Letzterer klagte in einem Brief an seine Angestellten, dass er und auch sein Neffe wegen des Skandals schwerlich fähig sein dürften, ihre Schulden zu bezahlen. „Am besten ist es, wenn Sie sich neue Jobs suchen“, schrieb der ebenfalls untergetauchte Choksi, der in der Vergangenheit für seine spendablen Pauschalzahlungen an Politiker und Beamte bekannt war. Modis Anwalt gab an, dass alle Transaktionen bei der Bank dokumentiert und die Anschuldigungen völlig falsch seien.
Der mögliche Betrug flog auf, als ein Komplize des Diamantenhändlerduos mehr Gier als Verstand an den Tag legte. Er marschierte forsch zu dem Nachfolger des pensionierten Mannes bei der PNB, der den Millionenbetrug ermöglichte, und verlangte wie in der Vergangenheit einen „Letter of Understanding“(LoU). „Wir hatten noch nie ein Problem mit den Briefen“, erläuterte der Mann dem zögerlichen Nachfolger von Modis mutmaßlichem Komplizen.
Das Dokument – ein De-factoKreditbrief – ermöglichte indischen Banken im Ausland, der jeweiligen Firmenniederlassung von „Nirav Modi“Bargeld für den Import exquisiter Diamanten bereitzustellen. Niemand in Mumbai kümmerte sich in den vergangenen Jahren aber darum, die Außenstände bei den beiden „Hauts Diamantaires“wieder einzutreiben. Denn die Swift-Anweisungen aus Mumbai liefen nicht über das zentrale Computersystem der PNB. Einige Bankangestellte konnten Passwörter tauschen und dem Diamantenhändler einen millionenschweren Gefallen nach dem anderen tun.
Der Börsekurs der PNB schrumpfte seit Bekanntwerden des größten Bankraubs der indischen Geschichte. Internationale Banken setzten das Geldinstitut auf ihre Beobachtungsliste. Finanzexperten in Indien fürchten, der Skandal könnte das komplette Finanzsystem der größten Demokratie der Welt in Verruf bringen.
Premierminister Narendra Modi wiederum, der nicht mit dem größten Bankräuber der indischen Geschichte verwandt ist, hat ein Imageproblem. Ein Foto vom World Economic Forum im schweizerischen Davos zeigt den Regierungschef in einem Gruppenfoto mit dem zufrieden grinsenden Nirav Modi.