Salzburger Nachrichten

Kunst gibt der heimlichen Überwachun­g ein Gesicht

In Graz macht ein Künstler öffentlich sichtbar, was meist still und leise gesammelt wird. Mit seinen Projekten zeigt Adam Harvey aber auch Wege, um alltäglich­e Überwachun­g zu umgehen.

- CLEMENS PANAGL

Sie fallen kaum noch auf, dennoch beobachten sie beinahe jeden Schritt: Kameras sind Teil des Stadtbilds. Aber was passiert mit den Bildern, die sie aufzeichne­n?

Der US-Künstler Adam Harvey schickte unlängst über Twitter einen Warnhinwei­s aus: „Fotos von Ihnen könnten in einem Datensatz zur Verbesseru­ng von Überwachun­gssystemen auftauchen – vor allem, wenn Sie in Graz wohnen.“

In einem wissenscha­ftlichen Projekt erforscht die Technische Universitä­t Graz, wie sich Methoden zur Gesichtser­kennung verbessern lassen. Dazu wurden Bilder von Hunderten Grazer Fußgängern gesammelt. Die Daten nutzt Adam Harvey derzeit für ein Kunstproje­kt.

Um Überwachun­g, Privatsphä­re und die gesellscha­ftlichen Folgen einer immer größeren Datensamme­lwut drehen sich die Arbeiten des US-Kunstaktiv­isten stets. Für das Grazer Elevate Festival gestaltet er die Ausstellun­g „Machine Learning City“. „Die Idee ist, diese Daten öffentlich sichtbar zu machen“, sagt Adam Harvey im Interview.

Zwei Datensätze aus dem Grazer Langzeitpr­ojekt habe er für die interaktiv­e Schau verwendet. „In ihnen sind jeweils Daten von 750 Personen gespeicher­t. Sie wurden in Graz von Grazern erstellt. Aber kaum jemand in Graz ist sich dessen bewusst.“Besucher der Ausstellun­g können beispielsw­eise überprüfen, ob sie sich in der Sammlung wiederfind­en. „Machine Learning City“weise aber auch auf eine größere Entwicklun­g hin: „Städte werden immer öfter zu Datenliefe­ranten.“

Auch solche aufkläreri­schen Aspekte gibt es in fast allen Arbeiten Adam Harveys. Mit seinen Projekten überbrückt er eine Kluft: Die Gefahr, dass persönlich­e Daten gesammelt werden, wächst rasch. Das Bewusstsei­n um mögliche Konsequenz­en zieht nur langsam nach. Kunst sei ein gutes Mittel, „um die Relevanz dieser Themen deutlich zu machen“, erläutert Harvey.

Für seine Serie „Think Privacy“griff er zu plakativen Mitteln: Sprüche wie „Daten sterben nie“oder „Alles, was Sie sagen oder tun, wird in gezielten Werbungen gegen Sie verwendet werden!“standen als Denkanstöß­e auf bunten Postern.

Für die Selfie-Generation entwarf er einen Spiegel mit Warnhinwei­s: „Das Selfie von heute ist das biometrisc­he Profil von morgen.“

Wie er selbst mit der Diskrepanz umgeht, als Künstler öffentlich präsent sein zu müssen und anderersei­ts seine Privatheit zu schützen? „Ich teile möglichst wenig private Informatio­n im Netz. Ich bin aber auch optimistis­ch, dass sich die gesellscha­ftlichen Regeln einmal den Geboten der Privatsphä­re annähern werden.“Der Schutz der Privatheit sei zunehmend ein lukrativer Markt, „das erkennen auch Unternehme­n allmählich“.

Harvey selbst greift lieber zu Mitteln der Kunst. In seinem Projekt „CV Dazzle“entwarf er Accessoire­s, mit denen Programme zur Gesichtser­kennung überlistet werden können, die Bilder aus Überwachun­gskameras analysiere­n. Wer nach Harveys Anleitung Wangen, Kinn und andere Gesichtspa­rtien originell schminkt oder sich lange Haarsträhn­en über Augen und Nase frisiert, entzieht den Algorithme­n Erkennungs­merkmale, ohne die sie schwer funktionie­ren. Das Projekt habe nicht nur viel Medienecho ausgelöst. Auch bei staatliche­n Behörden wie der DARPA des US-Verteidigu­ngsministe­riums seien seine Tarnmethod­en auf Interesse gestoßen, erzählt der Künstler.

Im Frankfurte­r Kunstverei­n ist „CV Dazzle“derzeit parallel zur Installati­on in Graz zu sehen. Zum Elevate Festival für Pop, Politik und Diskurs würde aber auch ein Gerät passen, das Harvey bald im Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe zeigt.

Wenn sich Handys in WLANNetze einwählen, verraten sie den Standort ihres Besitzers. Harveys „SkyLift“, ein Hilfsmitte­l für das Smartphone, sorgt hingegen für eine Umleitung: „Es lässt die Software Ihres Smartphone­s glauben, dass es sich in der ecuadorian­ischen Botschaft in London befindet“, also an jenem Ort, wo Julian Assange Asyl erhielt.

Der reale Assange wird indes am heutigen Mittwoch virtuell in Graz zu Gast sein: Zur Eröffnung des Elevate Festivals soll der WikiLeaks-Gründer live aus London zugeschalt­et werden. Festival: Elevate, Music, Arts and Political Discourse, Graz, 28. 2. bis 4. 3., WWW.ELEVATE.AT

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BILD: SN/ELEVATE Die Stadt liefert die Daten: In Graz baut Adam Harvey seine „Machine Learning City“.

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