Die Abgehängten machen die Protestparteien stark
Deutschland und Italien sind ein ungleiches Paar. Aber Exempel dafür, weshalb Europas Politik in Nöten ist.
Globalisten gegen die, die Mauern bauen
Zwei Mal blickt Europa an diesem Wochenende mit Bangen auf den Ausgang einer Abstimmung. Das SPD-Mitgliedervotum entscheidet darüber, ob Deutschland eine neue Regierung bekommt oder in eine richtige Regierungskrise gerät. Italiens Parlamentswahl kann die Rechte ans Ruder bringen oder ein politisches Patt produzieren, Instabilität inklusive.
Das sonst so stabile Deutschland erlebt jetzt, was für Italien und einen großen Teil Europas mittlerweile Normalität ist: Die Parteienlandschaft fächert sich auf. Die großen Parteien der Mitte verlieren an Zugkraft, die Randparteien wachsen. Dadurch wird das Regieren schwieriger.
Protest gegen die etablierte Politik treibt diese Entwicklung an. In Italien ist es längst ein Gefühl der Empörung über die „politische Klasse“schlechthin, in Deutschland der Verdruss über die wiederkehrende Konstellation der Großen Koalition. Gleichzeitig wird die Gesellschaft immer heterogener. Traditionelle politische Milieus lösen sich auf. Das bekommen vor allem die Sozialdemokraten auf dem Kontinent zu spüren, die einen Großteil der Arbeiterschaft an die Rechte verloren haben.
Das herkömmliche Links-RechtsSchema taugt folglich nicht mehr als Erklärungsmuster. Bestimmend ist vielmehr nun die Frontstellung zwischen kosmopolitisch Denkenden und ängstlich auf ihre Identität Achtenden, zwischen Globalisten und Nationalisten, zwischen inter- nationalistischen „Überall-Menschen“und bodenständigen „Irgendwo-Menschen“.
Die Globalisten bewegen sich in der globalisierten Welt wie Fische im Wasser. Diese Polyglotten können in Barcelona, London oder New York erfolgreich sein. Sie nutzen die Vorteile des zusammenwachsenden Europas. Als moderne Nomaden betrachten sie Migration als unvermeidliches Parallel-Phänomen einer grenzenlosen Welt.
Für die andere Gruppe ist die Globalisierung eher ein Schrecken. Sie umfasst Menschen, die durch das von außen Hereinstürmende um ihre soziale Existenz und ihre gewohnte Lebenswelt fürchten. Sie wollen neue Mauern anstelle einer Welt ohne Grenzen.
Migranten erscheinen als unliebsame Konkurrenz und Gefahr für die einheimische Kultur. Die Europäische Union erntet Kritik, weil sie nicht vor den Zumutungen der Außenwelt schützt und den Nationalstaaten Souveränität wegnimmt.
Diese Gegen-Globalisten sind politisch Anhänger einer geschlossenen Gesellschaft, nicht einer offenen Gesellschaft. In vielen Fällen sind sie auch regional und sozial Abgehängte. Sie füllen die Reihen der Trump-Anhänger und der Brexit-Befürworter, sie machen die AfD in Deutschland und ebenso Marine Le Pens Nationale Front in Frankreich stark.
Zu dieser Spaltung der Gesellschaft hat zunächst die nach dem Ende des Kalten Kriegs 1989/91 forciert betriebene Politik der Deregulierung und der Privatisierung geführt. Deutschland ist heute wieder ein geteiltes Land, weil Regionen entweder Gewinner oder Verlierer der Globalisierung sind. Wirtschaftlich hat die Globalisierung das untere Drittel der Gesellschaft abstürzen lassen.
Die Migrationskrise verschärft jetzt die Auseinanderentwicklung. Selbst das offene, in Ein- und Auswanderung geübte Italien fühlt sich inzwischen mit diesem Problem überfordert und von der EU im Stich gelassen.
Um Protestwähler zurückzugewinnen, aktivieren deutsche Politiker neuerdings den Heimat-Begriff. Sie meinen damit vor allem das Ziel, zwischen verschiedenen Regionen möglichst gleiche Lebensverhältnisse zu schaffen. Aber der PolitikProtest wird andauern, wenn die Bessergestellten nicht viel mehr für die Abgestürzten tun. Dies gilt für das reiche Deutschland – und noch mehr für notorische Krisenstaaten wie Italien oder Griechenland.
Im Sozialen muss demzufolge die Hauptaufgabe der EU liegen. Die Kritiker der Union übersehen allerdings, dass Europa globalen Konkurrenten wie China oder steuervermeidenden Großkonzernen künftig nur beikommen kann, wenn es seine Kräfte in Brüssel bündelt. Wirklich souverän ist nur noch der, der Souveränität abgibt.