Theresa May wird realistischer
Die britische Premierministerin hat wieder einmal eine Grundsatzrede zum anstehenden Brexit gehalten. Sie war pragmatisch und richtig im Ton. Nur kommt sie mindestens ein Jahr zu spät. Theresa May hat eingestanden, was Experten längst unzählige Male betont haben: dass die Briten Kompromisse eingehen müssen und das Leben aller sich verändern wird. Auch wenn sie zumindest einige Details erwähnt hat, abermals ging es vor allem darum, was Großbritannien nicht will.
Das Königreich müsste längst weiter sein. Nach wie vor hat May keine Lösungsvorschläge für die wichtigsten Themen. Wie soll eine harte Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland vermieden werden? Die Vorstellung der Premierministerin, Zollunion und Binnenmarkt zu verlassen und trotzdem ohne Grenzkontrollen auszukommen, gehört ins Märchenreich der Brexiteers. Es wird Zeit, die Nordiren darauf vorzubereiten, dass sie wegen der Hardliner in der konservativen Partei wohl bald wieder eine Grenze vor der Tür haben werden – welche Form diese auch immer haben wird.
Vor knapp einem Jahr begann der auf zwei Jahre befristete Austrittsprozess. Fast zwei Jahre sind seit dem Brexit-Votum vergangen. Britische Politiker hielten etliche Reden und schrieben unzählige Zeitungsartikel – viel Rhetorik mit wenig Substanz. Die EU dagegen wartete mit Dokumenten und Entwürfen auf. Dass sich die BrexitAnhänger auf der Insel darüber empören, statt eigene Vorschläge zu präsentieren, zeigt, wie realitätsfremd einige Briten bis heute sind. May hat nun erstmals auch unbequeme Einsichten verkündet und bereitete ihre Landsleute auf ein Auf und Ab in den nächsten Monaten vor. Ob der Brexit all das wert ist? Diese Frage dürfte sich mancher Beobachter zu Recht stellen.