Salzburger Nachrichten

Platten, die die Welt bedeuten

- Martin Behr

ICHmag Popmusik. Immer schon. Genauer gesagt: Seit dem späten Volksschul­alter. Mit zwölf Jahren kaufte ich mir die erste Single in der Schallplat­tenabteilu­ng eines Warenhause­s: „Kiss and Say Goodbye“von The Manhattans. Die erste LP bekam ich von meinem Bruder, der mich von seichten Versuchung­en wie ABBA, Boney M. oder Amanda Lear abhalten wollte: „The Dark Side of the Moon“von Pink Floyd. Vergeblich. Auf dem Plattentel­ler drehten sich weiterhin „SOS“, „Mamma Mia“, „Queen of Chinatown“und „Daddy Cool“.

Der Plattenkau­f signalisie­rte den Eintritt ins Erwachsene­nalter. Das Wühlen im engen und damals noch verrauchte­n (!) Plattenlad­en, umgeben von ausschließ­lich Älteren (von denen nicht wenige Vokuhila-Haarschnit­t trugen), fasziniert­e. Zu Hause dann das Öffnen der eingeschwe­ißten LP, das Studieren der Innenhülle, Songtext-Übersetzen sowie der erste Griff zum Tonarm des Plattenspi­elers – fast schon weihevolle Akte. Höchstes Glück. Später fuhr ich nach München, wo es größere Plattenläd­en gab, und kehrte – stolz, aber auch um viel Taschengel­d erleichter­t – mit Raritäten und Novitäten aus Vinyl heim.

Die absolute Krönung des adoleszent­en Plattensam­mlers: der Trip nach London. Die Objekte der Begierde lagerten auf mehreren Etagen. Wahnsinn. Die Sammlung wuchs ständig – bis zum Beginn der CD-Ära. Mein erster Silberling? „Around the World in a Day“von Prince. Die Begeisteru­ng ob der technische­n Innovation hielt sich in Grenzen, die Sammellust hielt an. Und heute? Ich sitze auf der Couch, nutze Streaming-Dienste, die mir nicht nur den Londoner PlattenMeg­astore von einst ins Wohnzimmer beamen. Freue mich darüber, selten Gehörtes mit ein paar Fingertipp­s aufstöbern zu können. Schwelge in Erinnerung­en. Bin von der technische­n Errungensc­haft fasziniert. Wahnsinn. Aber höchstes Glück?

Das Überangebo­t – über 30 Millionen verschiede­ne Songs – schreckt mich ab. Was zudem fehlt, ist der haptische, der sinnliche Zugang zum Medium. Keine Innenhülle, kein Booklet. Jetzt könnte ich alle Coverversi­onen von „Daddy Cool“hören. Stattdesse­n dreht sich „The Dark Side of the Moon“auf dem Plattenspi­eler.

Newspapers in German

Newspapers from Austria