Platten, die die Welt bedeuten
ICHmag Popmusik. Immer schon. Genauer gesagt: Seit dem späten Volksschulalter. Mit zwölf Jahren kaufte ich mir die erste Single in der Schallplattenabteilung eines Warenhauses: „Kiss and Say Goodbye“von The Manhattans. Die erste LP bekam ich von meinem Bruder, der mich von seichten Versuchungen wie ABBA, Boney M. oder Amanda Lear abhalten wollte: „The Dark Side of the Moon“von Pink Floyd. Vergeblich. Auf dem Plattenteller drehten sich weiterhin „SOS“, „Mamma Mia“, „Queen of Chinatown“und „Daddy Cool“.
Der Plattenkauf signalisierte den Eintritt ins Erwachsenenalter. Das Wühlen im engen und damals noch verrauchten (!) Plattenladen, umgeben von ausschließlich Älteren (von denen nicht wenige Vokuhila-Haarschnitt trugen), faszinierte. Zu Hause dann das Öffnen der eingeschweißten LP, das Studieren der Innenhülle, Songtext-Übersetzen sowie der erste Griff zum Tonarm des Plattenspielers – fast schon weihevolle Akte. Höchstes Glück. Später fuhr ich nach München, wo es größere Plattenläden gab, und kehrte – stolz, aber auch um viel Taschengeld erleichtert – mit Raritäten und Novitäten aus Vinyl heim.
Die absolute Krönung des adoleszenten Plattensammlers: der Trip nach London. Die Objekte der Begierde lagerten auf mehreren Etagen. Wahnsinn. Die Sammlung wuchs ständig – bis zum Beginn der CD-Ära. Mein erster Silberling? „Around the World in a Day“von Prince. Die Begeisterung ob der technischen Innovation hielt sich in Grenzen, die Sammellust hielt an. Und heute? Ich sitze auf der Couch, nutze Streaming-Dienste, die mir nicht nur den Londoner PlattenMegastore von einst ins Wohnzimmer beamen. Freue mich darüber, selten Gehörtes mit ein paar Fingertipps aufstöbern zu können. Schwelge in Erinnerungen. Bin von der technischen Errungenschaft fasziniert. Wahnsinn. Aber höchstes Glück?
Das Überangebot – über 30 Millionen verschiedene Songs – schreckt mich ab. Was zudem fehlt, ist der haptische, der sinnliche Zugang zum Medium. Keine Innenhülle, kein Booklet. Jetzt könnte ich alle Coverversionen von „Daddy Cool“hören. Stattdessen dreht sich „The Dark Side of the Moon“auf dem Plattenspieler.