Die Hölle der Junkies
Der vielleicht härteste Entzug der Welt. Dank einer geheimen Kräutermixtur speien Drogenabhängige in Thailand alles Gift aus ihren Körpern. ITHOMAS
Für viele ist Thamkrabok die letzte Hoffnung. Ich beschließe, nach Bangkok zu fliegen. Mit dem öffentlichen Bus fahre ich 140 Kilometer Richtung Norden und steige wenige Kilometer nach der Stadt Saraburi direkt vor dem Kloster aus. Das liegt mitten im Regenwald. Gleich nach meiner Ankunft werde ich Zeuge eines berüchtigten Rituals, welches täglich hinter den Mauern des Klosters vollzogen wird.
Und das ist demütigend. Ein Dutzend Menschen kauert auf dem nackten Betonboden und speit sich die Seele aus dem Leib. Wieder und wieder. Männer, Frauen, Thais wie auch „Farangs“, so nennt man Ausländer hier in Thailand – vereint im kollektiven Leiden. Sie stöhnen, sie rülpsen, manche jammern. Ihre verzerrten Gesichter blicken ins Leere, vorbei an den zahlreichen Zaungästen, die mit ihren Kameras wahrhaft außergewöhnliche Bilder produzieren.
Für Scham ist hier kein Platz. Denkbar übler Geruch liegt in der Luft. Rhythmische Trommelmusik untermalt das Schauspiel. Ein Mönch entsorgt das Erbrochene. Ein Fest? Ein Ritual? Oder doch bloß der simple Kampf um Unabhängigkeit von tödlichen Substanzen?
„Das Gesöff schmeckt wie Magensäure“, raunt mir Martin ins Ohr und verzieht sein Gesicht. „Aber die Drogen müssen raus aus dem Körper“, setzt er fort und streicht mit der flachen Hand über seinen zwischen den Schultern hängenden, kahl geschorenen Kopf. Martin wurde mir vom Kloster zur Seite gestellt, er soll mich herumführen, meine Fragen beantworten, vielleicht auch ein Beispiel für einen gelungenen Entzug verkörpern. Vor zwei Jahren kam der heute 38-jährige Deutsche in Thamkrabok an, zugedröhnt, ohne Hoffnung.
Vier Monate später ist er drogenfrei und das angeblich bis heute. „Anfangs will man nur weg von hier. Zurück zu den Drogen, zurück ins Paradies“, schildert Martin. Neuankömmlingen werde deshalb alles weggenommen: Handy, Pass, Geld. Hier tragen alle dieselbe rote Baumwollkluft. Ein Vertrag wird unterzeichnet: Jeder der „Klienten“verzichtet darauf, das Kloster zu verklagen, egal was passiert.
Die Mindestaufenthaltsdauer hier liegt bei sieben Tagen, in denen die Süchtigen täglich ihr Gesöff einzunehmen haben. „Und ab dann grüßt täglich das Murmeltier. Aufstehen, essen, kotzen, leiden“, beschreibt Martin den Alltag. Große Schlafsäle, Stahlbetten, ein paar Bücher, im Eck ein kleiner Fernseher. Immerhin: Zwecks Reinigung besuchen die Geschundenen ein Mal am Tag eine Dampfsauna. Im abgesperrten Areal gibt es auch einen Shop, in welchem die Süchtigen ausschließlich mit Komplementärgeld bezahlen.
Ein Mal am Tag steht noch eine Gesprächsrunde auf dem Programm, geleitet von Phra Kongsak, einem 76-jährigen Mönch, der als einer der wenigen Geistlichen im Kloster fließend Englisch spricht. Thema sind die jeweiligen Verfehlungen, deren Erkennen und Aufarbeiten. Aber anders als in europäischen Entzugskliniken wird Sucht nicht als Krankheit gesehen. Hier steht eine klare buddhistische Haltung im Vordergrund: Gutes bewirkt Gutes und Schlechtes Schlechtes. In Martins Worten: „Du bist selbst für deine Probleme verantwortlich, und zwar ausschließlich. Weder die herzlose Mutter noch der misshandelnde Vater sind schuld an deiner Lebenssituation. Also tu etwas. Es liegt in deiner Hand, nur du kannst dein Leben ändern.“
„Plötzlich kann man sich auf niemanden mehr ausreden“, sagt Martin, „das ist hart, aber auch heilsam.“Nur durch diese Lebenseinstellung habe er den Entzug schaffen können. Mittlerweile fühle er sich blendend, sagt Martin, sei selbst Mönch hier im Kloster. „Ein merkwürdiger Mönch“, denke ich. Tätowierungen an Händen und Beinen, ein wenig ungepflegtes Äußeres, müder Blick, Zigarettenraucher. Und dann noch der chronische Blues in seinen Worten, der alles schwer macht, selbst die optimistischsten Aussagen.
Später laufe ich den erstbesten Dschungelpfad hinauf, der steil bergauf führt. Unter mir liegt das fast vier Quadratkilometer große Areal des Klosters. Riesige schwarze Statuen ragen aus dem Dschungel, hinauf bis in den Himmel. Ein schwarzer See liegt im grünen Einerlei. Alte Fahrzeuge verrosten auf ihren Dächern liegend zwischen Urwaldgewächsen. Mönche in rostbraunen Kutten tummeln sich auf den ausgedehnten Betonflächen. An den Rändern des Areals sieht man abenteuerliche Hüttenkolonien unter Bäumen. Dann steht er plötzlich vor mir. Charaktergesicht, unangepasst, rebellisch, Österreicher. Kleine verrückte Welt: Paul ist auf Besuch in seiner alten Heimat. Auch er war Mönch in Thamkrabok, auch er war drogensüchtig. Das ist Jahre her. „Du bist Journalist?“, fragt er nach wenigen Sätzen. „Dann komm. Ich hab da was für dich.“
„Sind die nicht irre? Ist das nicht völlig verrückt?!“, fragt Paul, als er eine Plane wegzieht – und den Blick freigibt auf Hunderte Behälter, die im Dschungel abgelagert wurden. Auf den Containern sind teils Aufkleber mit Totenköpfen zu sehen, es riecht unangenehm. Zähe Flüssigkeit tropft aus lecken Behältern auf den Dschungelboden. „Die sacken die Kohle ein und lassen den Sondermüll einfach verrotten“, meint Paul und lacht sarkastisch, während er von einer Lagerstätte zur anderen geht. Irritiert, enttäuscht und in Gedanken versunken folge ich ihm.
Zwei halb verweste Hundekadaver liegen einen halben Meter vor mir im Gestrüpp. „Vergiftet von den Mönchen“, sagt Paul. Wie verträgt sich so etwas mit dem buddhistischen Glauben? Paul schaut mich an und sagt: „Nicht nur Christen predigen Wasser und trinken Wein. Auch Buddhisten tun das. Willkommen im Leben.“
Und dann erzählt Paul auch noch Details aus dem Klosterleben. Ich höre Geschichten von Einzelzellen für rebellierende Junkies, von Epileptikern, denen bei Anfällen „Jesuspatscherl“in den Mund gesteckt worden seien statt Medikamente. Und von Süchtigen, die die Umstände dermaßen überfordert hätten, dass sie Selbstmord begingen.
Und trotzdem: Auch für Paul und viele andere sei Thamkrabok die Rettung gewesen. Nur Wunderdinge könne eben auch dieses Kloster nicht vollbringen. Und dass auf dem Gelände gedealt würde, verstehe sich von selbst, sagt Paul – mit der Selbstverständlichkeit eines Menschen, der von persönlichen Erfahrungen und nicht bloß von Vermutungen erzählt. „Süchtige, die nach Drogen gieren, lügen hier nicht weniger als anderswo“, sagt er. Ich denke an Mönch Martin. An seine Worte und seinen vermeintlichen Sieg über seine Sucht, der für mich so gar nicht spürbar war. Und das Tun eines Menschen verrät bekanntlich mehr als seine Worte, wohl auch hier in Thamkrabok.
In den nächsten Tagen konfrontiere ich die Leitung des Klosters mit den Vorwürfen, die ich zu hören bekommen hatte. Zunächst hieß es lapidar, dass „jeder für seine eigenen Verfehlungen verantwortlich“sei, und man daher nicht über andere richten solle. Dann schickt das Kloster aber doch eine schriftliche Stellungnahme: Keinesfalls würden toxische Substanzen rund um den Tempel gelagert, und schon gar nicht dort im Boden versickern. Tatsächlich habe ein Bruder große Mengen natürlicher Farbe aus Mineralien oder Kräutern hergestellt und in Container abgefüllt – diese seien jedoch nicht giftig. Auch werde im Klosterladen etwa Benzin in Whiskyflaschen verkauft. Soll heißen: Man verwende oft Flaschen und Gebinde für einen anderen als den ursprünglichen Inhalt.