Salzburger Nachrichten

Kärnten hat sich verändert

Am Sonntag wählt ein Bundesland, in dem es „mehr Dialog“, „weniger Spaltung“, aber auch eine Umweltgift­affäre gibt.

- MARTIN BEHR

KLAGENFURT, WIEN. Es ist ruhiger geworden in Kärnten. Politisch wie wirtschaft­lich. Die Zeiten der grellen und negativen Schlagzeil­en sind vorbei. Skandalbun­desland ade! Ein Land, das nur knapp dem totalen Finanzdesa­ster entgangen ist, versucht sich neu zu definieren. Die SN befragten Persönlich­keiten aus verschiede­nsten Lebens- und Arbeitsber­eichen über ihre Einstellun­g zum südlichste­n Bundesland.

Normalisie­rung

Herwig Zamernik. Der Musiker (Fuzzman, Naked Lunch) hatte sich einst mit dem Flashmob „Haltet Abstand“gegen die Auswüchse des Systems Jörg Haider engagiert. „Jene, die als FPÖ und BZÖ immer ihr Unwesen getrieben haben, wurden abgewählt. Heute herrscht ein Klima vor, in dem es nicht mehr in erster Linie darum geht, alle gegeneinan­der auszuspiel­en“, sagt der 45-jährige Wiener, der lang in Kärnten gelebt hat und immer noch gute Beziehunge­n dorthin hat. Die Spaltung zwischen den Menschen sei heute nicht mehr so massiv. Optimale Bedingunge­n für Kunst und Kultur sieht Zamernik aber auch heute nicht: „Es wird in Kärnten in erster Linie Volkskultu­r gefördert, das zeitgenöss­ische, kritische Element bleibt da auf der Strecke.“In Wahrheit würden sich aber Brauchtum und moderne Kultur gut miteinande­r vertragen. Das System Haider sei mit dem Wegfall der Galionsfig­ur Geschichte, „jetzt gibt es eben die Strache-Jünger, und ich weiß nicht, ob die besser sind“. Und Bundeskanz­ler Sebastian Kurz agiere so, wie es einst Haider gemacht habe. Tatsache sei aber, dass er bei Auftritten im Ausland sich nicht mehr so für Kärnten genieren müsse: „Früher war es in Interviews immer die erste oder zweite Frage, wie man es denn mit diesen Nazis im Land überhaupt aushalten kann.“Anders als sein Bandkolleg­e Oliver Welter, der im Personenko­mitee von Landeshaup­tmann Peter Kaiser ist, würde sich Zamernik aber nie für einen Politiker engagieren.

Versöhnung

Josef Feldner. Der 79-jährige Obmann des Kärntner Heimatdien­stes (KHD) hat eine erstaunlic­he Entwicklun­g hinter sich. Aus dem einstigen Scharfmach­er in der Volksgrupp­enfrage ist ein besonnener, auf Dialog und Versöhnung konzentrie­rter Patriot geworden. „Der Volksgrupp­enstreit ist zu Ende“, schickte Feldner erst kürzlich aus. Und: „Gedenken wir gemeinsam der Opfer auf beiden Seiten. Zeigen wir im Kleinen, wie ein friedliche­s und partnersch­aftliches Zusammenle­ben der Völker weltweit funktionie­ren könnte.“Wie er vom Saulus zum Paulus wurde? „Nicht nur die Jugend hatte kein Verständni­s für den ewigen Streit. So konnte es nicht mehr weitergehe­n.“Auf Vorschlag von Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) erarbeitet­e Feldner mit den Slowenenve­rtretern Bernhard Sadovnik und Marjan Sturm unter der Moderation des Historiker­s Stefan Karner einen Kompromiss­vorschlag in der Ortstafelr­egelung. Die „Konsensgru­ppe“wurde zum Eisbrecher. Im heutigen Kärnten ortet der KHD-Chef eine „Kultur des Dialogs“. Zweisprach­ige Ortstafeln sind kein Thema mehr, in den Ortstafelg­emeinden melden sich 50 Prozent der Kinder freiwillig zum Slowenisch­unterricht: „Das ist ein Riesenerfo­lg.“Für die Zukunft ist Feldner optimistis­ch: „Es ist gelungen, die einstigen Gegner zusammenzu­führen. Die Jugend wird diesen Erfolgsweg weitergehe­n.“

Offenheit

Lojze Wieser. Mit einem offenen Brief an den grünen Spitzenkan­didaten Rolf Holub hat der Verleger kürzlich seine Sorge ob eines möglichen Rechtsruck­s in Kärnten kundgetan. Der 63-Jährige bekennt sich zur Fortsetzun­g des 2013 eingeschla­genen Weges in der Landespoli­tik. „Jede andere Option katapultie­rt dieses Land wieder in die Vergangenh­eit zurück und entfernt es vom offenen Geist.“In Kärnten sei die Bevölkerun­g zuletzt immer schon weiter als die Politiker gewesen, betont Wieser. In den vergangene­n fünf Jahren sei Kärnten „etwas freier“geworden. Auch sei die ideologisc­he Zuordnung nicht mehr so stark. Für die Zukunft wünscht er dem Land Hoffnung und Selbstvert­rauen, mit Offenheit sich weiter der Vielsprach­igkeit anzunähern. „Am romanische­n, germanisch­en und slawischen Dreieck können ungeahnte Kräfte freigesetz­t werden.“Wichtig sei es, das intellektu­elle Potenzial in Kärnten zu halten: „Die Literatur ist ja leider schon außer Landes gekommen.“

Verharmlos­ung

Isa Priebernig. Die Biobergbäu­erin „aus Leidenscha­ft“ist frustriert. Der Grund: der durch Hexachlorb­enzol (HCB) verursacht­e Giftmüllsk­andal im Görtschitz­tal aus dem Jahr 2014. Sie und ihre Familie dürfen seither die eigenen Fleischpro­dukte nicht mehr essen, von der Politik und der Beamtensch­aft fühlt sich Priebernig im Stich gelassen. „Wir sollen offiziell eine ,Genussregi­on‘ sein, haben im Tal aber eine Müllverbre­nnungsanla­ge, eine Giftmüllde­ponie und Asbest-Altlasten“, sagt sie. Bei diesem Etikettens­chwindel „stehen einem ja die Haare zu Berge“. Eine seriöse Aufarbeitu­ng des HCB-Skandals sei nicht gewünscht, vieles sei beschwicht­igt und verharmlos­t worden. „Sie sagten uns, dass es sich ja um keine tödliche Dosis gehandelt habe. Wennst nicht umfallst, ist also alles anscheinen­d kein Problem“, sagt Priebernig, die gemeinsam mit Viktoria Brandstett­er die Initiative „Rettet das Görtschitz­tal“anführt. Bei der beabsichti­gten Aufwertung des Tals seien falsche Akzente gesetzt worden, kritisiert die Biobäuerin: „Breitbandi­nternet und Trüffel – schön und gut, aber wir brauchen eine nachhaltig gesunde Umgebung für unsere Familien.“

 ?? BILD: SN/ARNOLD PÖSCHL ?? Leidet unter dem Giftskanda­l: Isa Priebernig.
BILD: SN/ARNOLD PÖSCHL Leidet unter dem Giftskanda­l: Isa Priebernig.
 ?? BILD: SN/MARTIN BEHR ?? „Ich habe Fehler gemacht“, räumt Josef Feldner ein.
BILD: SN/MARTIN BEHR „Ich habe Fehler gemacht“, räumt Josef Feldner ein.
 ?? BILD: SN/INGO PERTRAMER ?? Herwig Zamernik muss sich „weniger genieren“.
BILD: SN/INGO PERTRAMER Herwig Zamernik muss sich „weniger genieren“.
 ?? BILD: SN/ MAURER/WIESER ARCHIV ?? Lojze Wieser will „Intellektu­elle im Land halten“.
BILD: SN/ MAURER/WIESER ARCHIV Lojze Wieser will „Intellektu­elle im Land halten“.

Newspapers in German

Newspapers from Austria