Kärnten hat sich verändert
Am Sonntag wählt ein Bundesland, in dem es „mehr Dialog“, „weniger Spaltung“, aber auch eine Umweltgiftaffäre gibt.
KLAGENFURT, WIEN. Es ist ruhiger geworden in Kärnten. Politisch wie wirtschaftlich. Die Zeiten der grellen und negativen Schlagzeilen sind vorbei. Skandalbundesland ade! Ein Land, das nur knapp dem totalen Finanzdesaster entgangen ist, versucht sich neu zu definieren. Die SN befragten Persönlichkeiten aus verschiedensten Lebens- und Arbeitsbereichen über ihre Einstellung zum südlichsten Bundesland.
Normalisierung
Herwig Zamernik. Der Musiker (Fuzzman, Naked Lunch) hatte sich einst mit dem Flashmob „Haltet Abstand“gegen die Auswüchse des Systems Jörg Haider engagiert. „Jene, die als FPÖ und BZÖ immer ihr Unwesen getrieben haben, wurden abgewählt. Heute herrscht ein Klima vor, in dem es nicht mehr in erster Linie darum geht, alle gegeneinander auszuspielen“, sagt der 45-jährige Wiener, der lang in Kärnten gelebt hat und immer noch gute Beziehungen dorthin hat. Die Spaltung zwischen den Menschen sei heute nicht mehr so massiv. Optimale Bedingungen für Kunst und Kultur sieht Zamernik aber auch heute nicht: „Es wird in Kärnten in erster Linie Volkskultur gefördert, das zeitgenössische, kritische Element bleibt da auf der Strecke.“In Wahrheit würden sich aber Brauchtum und moderne Kultur gut miteinander vertragen. Das System Haider sei mit dem Wegfall der Galionsfigur Geschichte, „jetzt gibt es eben die Strache-Jünger, und ich weiß nicht, ob die besser sind“. Und Bundeskanzler Sebastian Kurz agiere so, wie es einst Haider gemacht habe. Tatsache sei aber, dass er bei Auftritten im Ausland sich nicht mehr so für Kärnten genieren müsse: „Früher war es in Interviews immer die erste oder zweite Frage, wie man es denn mit diesen Nazis im Land überhaupt aushalten kann.“Anders als sein Bandkollege Oliver Welter, der im Personenkomitee von Landeshauptmann Peter Kaiser ist, würde sich Zamernik aber nie für einen Politiker engagieren.
Versöhnung
Josef Feldner. Der 79-jährige Obmann des Kärntner Heimatdienstes (KHD) hat eine erstaunliche Entwicklung hinter sich. Aus dem einstigen Scharfmacher in der Volksgruppenfrage ist ein besonnener, auf Dialog und Versöhnung konzentrierter Patriot geworden. „Der Volksgruppenstreit ist zu Ende“, schickte Feldner erst kürzlich aus. Und: „Gedenken wir gemeinsam der Opfer auf beiden Seiten. Zeigen wir im Kleinen, wie ein friedliches und partnerschaftliches Zusammenleben der Völker weltweit funktionieren könnte.“Wie er vom Saulus zum Paulus wurde? „Nicht nur die Jugend hatte kein Verständnis für den ewigen Streit. So konnte es nicht mehr weitergehen.“Auf Vorschlag von Ex-Kanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) erarbeitete Feldner mit den Slowenenvertretern Bernhard Sadovnik und Marjan Sturm unter der Moderation des Historikers Stefan Karner einen Kompromissvorschlag in der Ortstafelregelung. Die „Konsensgruppe“wurde zum Eisbrecher. Im heutigen Kärnten ortet der KHD-Chef eine „Kultur des Dialogs“. Zweisprachige Ortstafeln sind kein Thema mehr, in den Ortstafelgemeinden melden sich 50 Prozent der Kinder freiwillig zum Slowenischunterricht: „Das ist ein Riesenerfolg.“Für die Zukunft ist Feldner optimistisch: „Es ist gelungen, die einstigen Gegner zusammenzuführen. Die Jugend wird diesen Erfolgsweg weitergehen.“
Offenheit
Lojze Wieser. Mit einem offenen Brief an den grünen Spitzenkandidaten Rolf Holub hat der Verleger kürzlich seine Sorge ob eines möglichen Rechtsrucks in Kärnten kundgetan. Der 63-Jährige bekennt sich zur Fortsetzung des 2013 eingeschlagenen Weges in der Landespolitik. „Jede andere Option katapultiert dieses Land wieder in die Vergangenheit zurück und entfernt es vom offenen Geist.“In Kärnten sei die Bevölkerung zuletzt immer schon weiter als die Politiker gewesen, betont Wieser. In den vergangenen fünf Jahren sei Kärnten „etwas freier“geworden. Auch sei die ideologische Zuordnung nicht mehr so stark. Für die Zukunft wünscht er dem Land Hoffnung und Selbstvertrauen, mit Offenheit sich weiter der Vielsprachigkeit anzunähern. „Am romanischen, germanischen und slawischen Dreieck können ungeahnte Kräfte freigesetzt werden.“Wichtig sei es, das intellektuelle Potenzial in Kärnten zu halten: „Die Literatur ist ja leider schon außer Landes gekommen.“
Verharmlosung
Isa Priebernig. Die Biobergbäuerin „aus Leidenschaft“ist frustriert. Der Grund: der durch Hexachlorbenzol (HCB) verursachte Giftmüllskandal im Görtschitztal aus dem Jahr 2014. Sie und ihre Familie dürfen seither die eigenen Fleischprodukte nicht mehr essen, von der Politik und der Beamtenschaft fühlt sich Priebernig im Stich gelassen. „Wir sollen offiziell eine ,Genussregion‘ sein, haben im Tal aber eine Müllverbrennungsanlage, eine Giftmülldeponie und Asbest-Altlasten“, sagt sie. Bei diesem Etikettenschwindel „stehen einem ja die Haare zu Berge“. Eine seriöse Aufarbeitung des HCB-Skandals sei nicht gewünscht, vieles sei beschwichtigt und verharmlost worden. „Sie sagten uns, dass es sich ja um keine tödliche Dosis gehandelt habe. Wennst nicht umfallst, ist also alles anscheinend kein Problem“, sagt Priebernig, die gemeinsam mit Viktoria Brandstetter die Initiative „Rettet das Görtschitztal“anführt. Bei der beabsichtigten Aufwertung des Tals seien falsche Akzente gesetzt worden, kritisiert die Biobäuerin: „Breitbandinternet und Trüffel – schön und gut, aber wir brauchen eine nachhaltig gesunde Umgebung für unsere Familien.“